Die Female Fighters in Brüssel
Europa ist zwar eine Frau, doch das Schicksal des Kontinents bestimmten bislang hauptsächlich Männer. Ursula von der Leyen wurde als Überraschungskandidatin der Staats- und RegierungschefInnen zur ersten Frau an der Spitze der EU-Kommission gewählt – einer riesigen Behörde mit einem Heer von 30.000 EU-BeamtInnen. Ihr Job ist es, die Europäische Union zu verwalten. Doch erklärtes Ziel der Christdemokratin ist es, Europa „die Sprache der Macht“ beizubringen.
Nur wenige der Kommissarinnen besetzen dabei „klassisch weibliche“ Ressorts wie Gleichstellung, Bildung oder Kultur. Ihre Aufgabengebiete sind vielmehr jene, die in der EU als schwierig bis unlösbar gelten: Migration, Rechtsstaatlichkeit, Wettbewerb, Finanzdienstleistungen. Und die Frauen der von-der-Leyen-Kommission, sie fallen auf. Sie sind die eigentlichen Stars des Kabinetts.
Margrethe Vestager (EU-Kommissions-Vizepräsidentin für Wettbewerb, Dänemark)
Bunte Elefanten. Sie strickt, wann immer sich die Gelegenheit bietet. In Sitzungen, Videokonferenzen, im Flugzeug. Warum Elefanten? „Weil sie in Gruppen leben, die von Frauen geleitet werden“, sagt die dänische EU-Kommissions-Vizepräsidentin. „Sie achten aufeinander und vergessen nichts. Sie sind eindrucksvolle Tiere.“
Margrethe Vestager ist so, wie die EU gern wäre. Selbstbewusst, dynamisch, durchsetzungsstark. Ihr Markenzeichen: knallbunte Wickelkleider zu ergrautem Kurzhaarschnitt. Wann immer die mächtige Digital- und Wettbewerbskommissarin im Brüsseler Pressesaal auftaucht, bedeutet das Ärger für die großen Tiere. Google, Amazon und Facebook belegt sie mit Milliardenstrafen wegen unerlaubter Steuerdeals. US-Präsident Trump nannte sie noch verächtlich „the tax lady“. Sein Nachfolger Biden und dessen Finanzministerin Yellen schwenkten langsam um in Richtung Vestager und die Big-Tech-Konzerne – wollten zumindest theoretisch – stärkeren Regeln unterwerfen.
Zuletzt musste die 52-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin aber auch Niederlagen einstecken: Der Europäische Gerichtshof kippte im Dezember 2020 vorläufig ihre Entscheidung, Apple zu einer milliardenschweren Steuernachzahlung zu verdonnern. Ins Rennen um den Topjob als EU-Kommissionspräsidentin stieg die Liberale zu spät und zu halbherzig ein – und unterlag Ursula von der Leyen. Anders als männliche Mitbewerber nahm Vestager das sportlich, gratulierte ihrer neuen Chefin sofort und bot ihr loyale Zusammenarbeit an.
Sie ist die vielleicht mächtigste Frau im von-der-Leyen-Team und sicher die, die sich am besten zu inszenieren weiß. Als der Tonmann beim letzten ZDF-Interview keine Tasche an ihrem Kleid findet, um das Mikro-Netzteil zu verstecken, zieht sie ein Strumpfband aus der Schreibtisch-schublade und befestigt die Batterie am Oberschenkel. Ein Medien-Profi.
Dass ihr Gleichberechtigung wichtig ist, versteht sich von selbst. In ihrem Büro lehnt eine alte Holzleiter an der Wand, die sie mal aus dem dänischen Parlament mitgenommen hat. „Wenn du als Frau weiterkommen willst, solltest du immer eine Karriereleiter dabeihaben.“
Ylva Johansson (EU-Innenkommissarin, Schweden)
„Ich will die europäische Stimme sein, wenn es um Migration und Sicherheit geht, und ich glaube, es ist wichtig, dass diese Stimme eine Frauenstimme ist“, antwortet Ylva Johansson auf die Frage, ob sie nicht längst an ihrem Ressort verzweifelt ist.
Die schwedische Sozialdemokratin führt das Innenressort in der EU. Ihr Job ist es, nach Jahren des Stillstandes, endlich ein europäisches Asylsystem zu schaffen. Sie versucht es mit Humanität, aber auch mit Härte. Eine Quote für die Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Mitgliedsstaaten hat sie fallengelassen. Ihr Vorschlag besteht heute darin, dass die einen Länder MigrantInnen aufnehmen und die anderen „Abschiebe-Partnerschaften“ übernehmen. Abschiebe-Partnerschaften? „Die Mehrheit derer, die heute irregulär kommen, sind keine Flüchtlinge, sie müssen nicht verteilt, sondern zurückgebracht werden.“
Frauen erreichten Europa eher auf legalem Wege über Umsiedlungsprogramme, also, sagt Johansson, versuche sie diese stärker zu finanzieren.
Die 57-Jährige trägt das Venus-Symbol, ein Symbol der neuen Frauenbewegung, als silberne Kette um den Hals und hat eine klare feministische Agenda. „Ich versuche, das Versteckte ans Licht zu holen, egal ob es um häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch von Kindern oder Menschenhandel geht.“
Die Brüsseler Politik-Blase hält die Schwedin für rückständig, geradezu altmodisch. 1994 gehörte sie der weltweit ersten Regierung an, in der gleichviel Männer und Frauen arbeiteten. Brüssel habe sich wie eine „Reise in die Vergangenheit“ angefühlt. Wieso? „Meetings, bei denen Männer leise beginnen sich zu unterhalten, sobald eine Frau spricht, komische Geräusche machen, oder den Vorschlag einer Frau als den ihren ausgeben.“
Das erste Geschlechter-ausgeglichene EU-Kommissarskollegium hat daran offenbar noch nicht viel geändert, aber die „female fighters“ in der Kommission seien ein Anfang. „Alle Frauen, die es als Politikerinnen bis hierhin geschafft haben – nachdem sie gekämpft, gekämpft und gekämpft haben – haben jetzt eine Menge Erfahrung darin, sich nicht kleinmachen zu lassen, sich gegenseitig zu unterstützen. Das ist unsere Stärke, dass wir das voneinander wissen.“
Frauen seien oft die besseren Politikerinnen, weil sie „schneller auf den Punkt kommen, pragmatischer und konkreter sind“. Der Kampf in der EU-Kommission hat für sie gerade erst begonnen. Und sie stellt klar: „Jede meiner weiblichen KommissarskollegInnen weiß, dass es einen Sonder-platz in der Hölle gibt: für Frauen, die andere Frauen nicht unterstützen.“