Nie mehr ein Mensch zweiter Klasse!

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Am 9. Dezember nimmt die Nicaraguanerin Bianca Jagger in Stockholm den Alternativen Friedensnobelpreis entgegen. Das Ex-Jet-Set-Girl erhält ihn für den Einsatz gegen Unrecht und Krieg.

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Zwischen den Bildern liegen 23 Jahre. Auf dem einen führt ein nackter junger Mann ein weißes Pferd in den legendären New Yorker Nachtclub Studio 54, auf dem Rücken des Schimmels sitzt eine schöne Frau im langen Gewand: Bianca Jagger, die ihren 32. Geburtstag mit Ehemann Mick, Andy Warhol, Liza Minelli, etc. zelebriert. Auf dem anderen Bild sehen wir eine ernste Frau in einem Flüchtlingslager in Albanien, um die sich bedrückte Kinder scharen: Bianca Jagger bei einer ihrer vielen Missionen an den Katastrophen- und Kriegsfronten dieser Welt, wo sie sich seit zwanzig Jahren engagiert.
Jetzt erhielt die in Paris lebende geborene Nicaraguanerin den "Alternativen Nobelpreis" dafür, dass sie gezeigt hat, "wie man Berühmtheit in den Dienst von Ausgebeuteten und Benachteiligten stellt": für die UreinwohnerInnen von Lateinamerika, gegen die Todesstrafe und den Krieg sowie immer wieder für die Frauen an allen Fronten dieser malträtierten Welt. Dabei hat sie nicht nur einmal ihr Leben riskiert.
Die acht Jahre "Sex, Drugs and Rock'n'Roll" an der Seite des Rolling Stones scheinen im Leben des heute 59-jährigen Ex-Models eigentlich eher die Ausnahme gewesen zu sein. Denn Bianca Perez Morena de Macias ist das Engagement in die Wiege gelegt worden. Zwar war der Vater ein privilegierter Banker, doch nutzte das der berufslosen Mutter und den drei Kindern wenig, nachdem er die Familie verlassen hatte. Der soziale Abstieg war rasant, Bianca musste das Nonneninternat verlassen, weil die Mutter die Schule nicht mehr bezahlen konnte. Aus der Zeit stammt wohl auch ihr Lebensmotto: "Ich habe mir geschworen, dass ich mich nie mehr wie ein Mensch zweiter Klasse behandeln lasse, nur weil ich eine Frau bin."
Mit 16 verließ Bianca das vom diktatorischen Regime Somozas geknebelte Land, ging nach Paris, jobbte als Model, studierte Politik und heiratete mit 26 den Leadsänger der Rolling Stones, Mick Jagger, mit dem sie später auch drei Kinder hatte.
Als Weihnachten 1972 über Nicaragua das Jahrhunderterdbeben ausbrach, an dessen Folgen über 10.000 Menschen starben, saßen Bianca und Mick gerade beim Puter-Essen in London. Noch am nächsten Tag kehrte sie in ihr Heimatland zurück, um ihre Eltern in dem verwüsteten Land zu suchen. Als sie begriff, wie lebensnotwendig wirkliche Hilfe war – die von der Welt gespendeten Millionen flossen geradewegs in die Taschen des korrupten Regimes – krempelte sie die Ärmel hoch und handelte.
Das Motto von Bianca Jagger lautete ab jetzt: Handeln statt Jammern. Und zwar im Weltmaßstab. Seither ist sie in zahlreichen Organisationen aktiv und Gremien vertreten: von amnesty international bis Human Rights Watch, und als Ehrenbotschafterin des Europarates kämpft sie für den Erhalt der Regenwälder, die Abschaffung der Todesstrafe und die Rechte der Frauen. Auch bei den Protesten gegen den Irak-Krieg stand sie in vorderster Front.
Der "Alternative Nobelpreis" wurde 1980 von der schwedischen Familie Uexküll ins Leben gerufen und verstand sich bisher als Gegenentwurf zum klassischen Nobelpreis. Die Unterscheidung aber fällt bei den mutigen Entscheidungen des etablierten Nobelpreiskomitees zunehmend schwerer. Wangari Maathai zum Beispiel, die in diesem Jahr den "echten" Nobelpreis erhält, bekam 1984 den alternativen. Vielleicht auch darum und um den Blick auf die Dritte Welt zu richten, haben die Initiatoren diesmal die Wahl des Alternativen Nobelpreises in Indien verkündet. Überreicht aber wird auch er in Stockholm.
Das Jet-Set-Leben hat Bianca Jagger einst sicherlich auch Spaß gemacht. Aber noch unendlich befriedigender scheint für sie das Engagement gegen Unrecht und Gewalt, für die Schwächeren und vor allem die Frauen zu sein. Wie sehr sich das lohnt und wie viel auch ein einzelner Mensch erreichen kann, das hat sie selbst bei einem Schlüsselerlebnis 1981 erfahren.
Es war in Honduras, wo Bianca gerade zu einem Besuch in einem Gefangenenlager weilte. Da kamen die Todesschwadronen und verschleppten 30 bis 40 Männer aus dem Lager. Sie verfolgte zusammen mit den Frauen und Kindern der Entführten die Kidnapper. Die Frauen haben geschrieen, argumentiert und gedroht: Damit, dass sie die von dem Verbrechen gemachten Fotos in der ganzen Welt verbreiten würden.
"Ich habe gedacht, sie bringen uns alle um", erzählte Bianca Jagger später. "Aber dann ließen sie uns gehen – und die Männer mit. Da habe ich gesehen, dass ein kleines bisschen Mut Leben retten kann."

EMMA 6/2004

 

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