Niki de Saint Phalle schießt scharf!
„1961 schoss ich auf: Papa, alle Männer, kleine Männer, große Männer, bedeutende Männer, dicke Männer, Männer, meinen Bruder, die Gesellschaft, die Kirche, den Konvent, die Schule, meine Familie, meine Mutter, alle Männer, Papa, auf mich selbst, auf Männer. Ich schoss, weil es Spaß machte und mir ein tolles Gefühl gab. Schussbereit! Zielen! Feuer! Rot, gelb, blau – das Gemälde weint, das Gemälde ist tot.“
Mit ihren „Schießbildern“ erregte die damals 31-jährige Niki de Saint Phalle erstmals Aufsehen. In atemberaubender Intensität erfasst das bemerkenswerte Regiedebüt der Schauspielerin Céline Sallette den Schmerz, die Leidenschaft und die Kreativität der Künstlerin, gespielt von Charlotte Le Bon. Deren Spiel lässt begreifen, wie und warum Niki so radikal wurde.
Die Künstlerin zerstört das Alte, um Neues zu erschaffen. Ihre berühmt gewordenen Nanas, diese gewaltigen, rächenden aber auch tröstenden Urmütter, formt sie aus Pappabfällen und bemalt sie grell. Der Film erzählt die Zeit davor. Die Spanne von der jungen Ehefrau und Mutter – die später Mann und Kinder verlässt für ihren Bruder in der Kunst, Jean Tinguely – bis zum Aufbruch.
Wir sehen in Rückblenden den allmächtigen Vater, französischer Uradel, nach dem Mädchen greifen, da ist sie zwischen sieben und elf Jahren. Die Mutter guckt weg. Der Alptraum wird Niki nie verlassen. Doch sie wird erst im Alter von 64 darüber sprechen.
Eindrücklich auch die Clique in Paris von jungen, radikalen KünstlerInnen, in der Niki die einzige Frau ist. Sie nimmt in den frühen 60er Jahren die folgende Frauenbewegung rasant vorweg.
ALICE SCHWARZER