„Noch 18 Femizide bis Weihnachten“
Seit einigen Wochen kann man an Berliner Hauswänden und Bauzäunen ungewöhnliche Botschaften lesen. „Femizid ≠ Familiendrama“ - „Papa hat Mama umgebracht“ – „Noch 18 Femizide bis Weihnachten“. An manchen Wänden stehen Namen und ein Datum. „25/19/19: Gabriela, 60, von ihrem Ehemann ermordet“. Oder: „04/09/19: Katja, erwürgt.“
Über Frauenmorde in Beziehungen werde in Deutschland „viel zu wenig gesprochen“, klagt Camille vom Kollektiv „femplak“ im Interview mit Bento. „Und wenn doch, dann heißt es: Es ging um Eifersucht oder die Frau hat was Falsches gekocht, deswegen wurde sie getötet. Wir wollen diese Erzählung ändern.“ Denn meist werde „nicht hinterfragt, was es bedeutet, dass das Opfer eine Frau war“.
Französin Camille hat die Idee der feministischen Plakat-Botschaften gegen Männergewalt aus Frankreich. Dort hatte Marguerite Stern von den Femen gemeinsam mit vielen Mitstreiterinnen ganz Paris mit den Namen der 114 Frauen plakatiert, die 2018 von ihren (Ex)Männern getötet wurden (EMMA berichtete).
Papa hat Mama umgebracht
Im Nachbarland tobt gerade der Kampf für einen besseren Schutz der Frauen vor Gewalt in Beziehungen. 150.000 Menschen, überwiegend Frauen, waren am 23. November in Paris und rund 30 weiteren französischen Städten auf die Straße gegangen. Ihr Ziel: Polizei und Justiz müssen die Beziehungsgewalt ernster nehmen und schneller handeln. Wenige Tage später stellte Präsident Macron sein Anti-Gewalt-Programm vor. Dazu gehört zum Beispiel der Einsatz einer elektronischen Fußfessel, um Täter auf Distanz zu halten. Tausend neue Frauenhaus-Plätze sollen geschaffen werden. LehrerInnen sollen geschult werden, um Hinweise auf Häusliche Gewalt zu erkennen.
In Deutschland war es dagegen vergleichsweise still um die epidemische Gewalt gegen Frauen, obwohl auch hierzulande kein Tag vergeht, an dem nicht ein Mann versucht, seine (Ex)Frau umzubringen. An jedem zweiten bis dritten Tag gelingt es ihm. 122 Frauen wurden laut Bundeskriminalamt im Jahr 2018 von ihren (Ex)Männern getötet.
Doch langsam gerät auch hierzulande einiges in Bewegung. Gerade setzte sich die Zeit auf die Spur der 122 Frauen und veröffentlichte die Hintergründe der jeweiligen Tat auf einer Doppelseite. „Viele Frauen haben langes Leid hinter sich, bevor ihnen das Leben genommen wurde. Viele haben sich juristisch gewehrt und die zerstörerische Beziehung beendet, und doch haben sie nicht überlebt“, schreibt die Zeit. Und beklagt: „Diese Taten werden von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Sie bleiben fort, wo sie meistens passieren, hinter verschlossenen Türen. Es gibt nicht mal ein genaues Wort für das Geschehen.“
Der Mord an einer Frau ist Teil systema- tischer Gewalt
Das wollen Feministinnen ändern. In anderen Ländern ist das Wort „Femizid“ längst ein fester Begriff. Die Architekturprofessorin Kerstin Wolff fordert in ihrer Petition „Stoppt das töten von Frauen" auf change.org von Frauenministerin Giffey, das „geschlechtsbedingte Töten“ endlich als solches zu benennen und wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Fast 74.000 Menschen unterschrieben bisher.
Auch Camille von „femplak“ erklärt: „Es geht um strukturelle Faktoren wie Abhängigkeit, Besitzansprüche und Sexismus. Der Mord an einer Frau ist Teil systematischer Gewalt. Und alle Frauen, die ich kenne, haben irgendwann mal Gewalt erfahren. Sei es Street Harassment, Gewalt vom (Ex)Partner oder Vergewaltigung.“
Die Plakate hätten aber auch das Ziel, dass sich „Frauen, die von Häuslicher Gewalt betroffen sind, unterstützt fühlen. Wir wollen mit unseren Aktionen zeigen: Wir sind da, obwohl wir euch nicht kennen. Wir werden immer laut sein für euch. Eure Lebensrealitäten existieren und das werden wir erzählen.“
Vielleicht hängen die Plakate ja demnächst auch in anderen Städten?