Für Meldepflicht und Mindestalter
Liebe Politikerinnen und Politiker,
Sie beraten in diesen Wochen über ein neues Prostitutionsgesetz. Darin sind eine Meldepflicht und ein Mindestalter von 21 für Prostituierte vorgesehen – bisher. Gerade laufen sogenannte „Sexarbeiterinnen“ dagegen Sturm, indem sie sich auf das „Recht auf freie Berufsausübung“ berufen. Eine Meldepflicht, sagen sie, sei „stigmatisierend“.
Ich möchte Ihnen von meinen Erfahrungen als ehemalige Prostituierte erzählen, damit Sie wissen, warum ich für ein Mindestalter und für eine Meldepflicht bin.
Ich komme aus einer, gelinde gesagt, schwierigen Familie. Mit 15 bin ich an einen Loverboy geraten, der mein Schutzbedürfnis und meine Unerfahrenheit ausgenutzt und mich an einen Bordellbetreiber „verkauft“ hat. Die Masche der Loverboys ist ausgefuchst und sie funktioniert. Sie haben einen guten Blick für Mädchen, die angeschlagen und bedürftig sind.
Mit 15 Jahren
bin ich an einen Loverboy geraten
Machen Sie sich bitte klar, dass junge Menschen sehr beeinflussbar sind und dass Alkohol und Drogen im Spiel sind. Und wenn man einmal in dem Milieu drin ist, dann kommt man nicht mehr raus. Das Milieu ist ein geschlossenes System, man hat keine Kontakte mehr nach draußen.
Viele der Mädchen erleben ihre ersten sexuellen Kontakte auf dem Straßenstrich oder im Bordell. Die Freier verlangen Sachen von ihnen, von denen sie noch nie gehört haben und die sie sich gar nicht vorstellen können. Aber wie sollen sie sich den Freiern und ihren „Wünschen“ widersetzen? Wie soll ein junges Mädchen sich durchsetzen, wenn sie Druck vom Freier bekommt und ihrem Zuhälter oder ihrer Familie das Geld abliefern muss? Deshalb bin ich für ein Mindestalter. Denn eine 21-Jährige kann sich gegen Psychoterror und Gewalt besser zur Wehr setzen als eine 18-Jährige.
Als ich aus Polen in deutsche Bordelle kam, dachte ich, jetzt würde alles besser. Aber das Gegenteil war der Fall. Ich war schockiert, wie normal Prostitution in Deutschland ist und wie respektlos die Freier mit den Frauen umspringen. Verzeihung, aber Deutschland ist ein Puff!
Ich habe die deutsche Sprache nicht gesprochen und kannte mich nicht aus. Auch die Frauen in den Bordellen waren überwiegend Ausländerinnen, wie ich. Sie wurden oft versteckt und permanent ausgetauscht. Kein Mensch kann nachvollziehen, wo sie sind. Deshalb bin ich für eine Meldepflicht. Sie wäre ein Schutz für die Prostituierten selber.
Die Freier verlangen Sachen, die die
Mädchen noch nie gehört haben
Die so genannten „Sexarbeiterinnen“ sagen, die Meldepflicht würde sie „stigmatisieren“. Das ist ein Satz von Profiteuren. Wenn etwas die Frauen stigmatisiert, dann ist es das Milieu, in dem die Frauen behandelt werden wie der letzte Dreck. Was mir die Frauen, die ich als Streetworkerin auf der Straße treffe, erzählen ist so schlimm, dass meine Motivation von Tag zu Tag wächst, dafür zu kämpfen, dass das alles irgendwann aufhört.
Die Frauen erzählen, dass sie Hunger haben. Die Frauen erzählen, dass sie sich nicht waschen können. Die Frauen erzählen, dass die Freier Perversionen von ihnen verlangen, die sie nicht ertragen können. Die Frauen wollen aussteigen, aber sie wissen nicht, wie und wohin. Und wenn sie zum Arbeitsamt gehen, werden sie gefragt: „Wo sind Sie gemeldet?“ Sie sind aber nirgendwo gemeldet. Auch deshalb bin ich für eine Meldepflicht.
Und wo wir schon dabei sind: Ich bin auch für eine verpflichtende Gesundheitsuntersuchung. Kürzlich ist mir eine Frau begegnet, die Unterleibskrebs hat. Sie müsste sich dringend behandeln lassen. Aber sie wird von ihrer Mutter in ihrem Heimatland erpresst. Ihre Kinder leben bei der Mutter und sie droht, sie ins Heim zu geben, wenn sie kein Geld mehr schickt. Also steht sie weiter auf der Straße. Und sie ist kein Einzelfall. Die Frauen werden von ihrem Zuhälter erst zum Arzt geschickt, wenn es gar nicht mehr anders geht.
Wenn etwas die Frauen stigmatisiert, dann das Milieu
Ich sage Ihnen all das, weil Ihnen ein paar sogenannte „Sexarbeiterinnen“, die ihre fragwürdigen Interessen durchsetzen wollen, etwas über Prostitution erzählen wollen, was mit der Realität der meisten Prostituierten nichts zu tun hat. Sorgen Sie dafür, dass Ihr Gesetz den Hunderttausenden anderen etwas nützt und sie schützt. Am besten davor, überhaupt in die Prostitution zu gehen.
Denn: Jeder Tag im Milieu ist einer zu viel. Die Folgen für die Frauen sind irreparabel.
Ihre Jana Koch-Krawczak
Jana Koch-Krawczak hat ihre Erfahrungen unter dem Titel „Du verreckst schon nicht!“ veröffentlicht (mgv). Sie ist Mitglied des Netzwerks SPACE international, in dem sich Ex-Prostituierte gegen Prostitution organisiert haben