Oh là là: Flirten nach BRAVO
Gestern gegen 16 Uhr, EMMA-Themen-Konferenz. Auf dem Tisch ein Ausdruck von sage und schreibe 100 Flirttipps für Mädchen von Bravo.de. Titel: „So fällst Du Jungs auf: 100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung“. Für Frauen jenseits der Dreißig eine unerwartete Zeitreise. Nehmen wir kurz Flirttipp Nummer 20 als Beispiel: „Stolpere in Deinen Schwarm hinein. Entschuldige Dich überschwänglich bei ihm. Er wird dich total niedlich finden, weil Du ein kleiner Tollpatsch bist.“ So ein, pardon, Mist steht in Bravo (und in Bravo Girl) ja seit jeher. Auch der Tipp, verträumt an einer Haarsträhnen zu zwirbeln („Das wirkt mädchenhaft und süß!“) kommen einer irgendwie bekannt vor.
„Ich schreibe zehn Punkte, warum Bravo Frauen wie mir rückblickend die Jugend versaut hat“, schlägt Kollegin 1 vor, Jahrgang 1980. „Wieso der Aufwand? Bravo liest doch kein Mensch mehr“, befindet Kollegin 2, die die Zeitschrift noch aus den 1970ern kennt. Selbst unsere derzeitige Praktikantin, mit ihren 18 Jahren näher an der Zielgruppe als jede EMMA-Redakteurin, zuckt gleichmütig mit den Schultern und sagt: „Die haben wir früher mal gelesen (in dem Fall heißt das: vor einer Ewigkeit von etwa vier Jahren). Meistens haben die Jungs sich die Bravo gekauft, um sich die Fotos von den nackten Mädchen anzugucken.“ Aha. Auch daran hat sich scheinbar nix geändert.
Kurz für Menschen unter 25, die mit dem Internet und Smartphones aufgewachsen sind: Damals, vor Erfindung des World Wide Webs und laaaaange bevor es Facebook, Twitter, Youtube und Snapchat gab, ja sogar noch vor Myspace und StudiVZ, lasen jungen Menschen ein Blättchen aus krumpeligem Papier, in dem ziemlich - sagen wir mal - phantasievolle Artikel über Stars und Sternchen standen, die bei Teenagern gerade angesagt waren (inklusive Autogrammkarten und lebensgroßer Poster). Sowie seitenlange küchenpsychologische Lebensberatung („Psychotest: Wie selbstbewusst wirkst du?“). Und ausführlich bebilderte Sextipps. Voilà, die Bravo.
Heute kämpft das Heft mit sinkender Auflage. Weil Kollegin 2 ja Recht hat: Liest irgendwie niemand mehr. Die 100 Flirttips sind dafür sogar ein Beleg: Sie standen schon seit Anfang Juli online - unbemerkt. Klar: Jugendliche betreiben heute lieber einen eigenen YouTube-Kanal – und sind damit bisweilen so erfolgreich, dass sie die Bundeskanzlerin interviewen dürfen, wie in diesen Tagen ein Typ, der sich im Netz LeFloid nennt.
Doch wenige Stunden nach der Themenkonferenz: Das Internet brummt. Der Hashtag #flirtennachbravo trended auf Twitter. Der Zorn über die 100 Tipps schafft es schließlich sogar auf die Startseite des Freemail-Anbieters Gmx.de – erreicht also selbst Menschen, die zwar keine Nachrichten aber dafür E-Mails lesen. Vor allem Frauen machen sich über die Liste lustig: „Regel 1-99: Verbiege dich komplett, um den Jungs zu gefallen. Nur dann bist du was wert. Regel 100: Sei du selbst. Yolo“, twittert eine. „Essenz der #flirtennachbravo-Tipps: Unterwürfigkeit und Anpassung. Die 70er wollen ihre Zeitung zurück“, schreibt die Nächste. Oder auch: „Klau das Auto deiner Eltern und fahr den süßen Boy an. Du kannst ihn dann jeden Tag im Krankenhaus besuchen.“ So viel Aufmerksamkeit hat Bravo seit Jahren nicht mehr bekommen. Warum die Aufregung?
Zwei Antworten liegen auf der Hand. Erstens: Früher oder später begreifen Frauen mit einer Mischung aus Scham und Wut das Ausmaß der Manipulation solcher Artikel. Es hält sie, das nur am Rande, meistens nicht davon ab, diese Artikel weiterhin zu lesen. Das zeigt der breite Markt an Frauenmagazinen (Online wie Print), die ja alle nichts anderes tun, als Bravo mit dieser Liste getan hat: Frauen zu Wesen zu erziehen, die Männern gefallen wollen und sollen.
Selbstverständlich kommt diese Botschaft stets mit dem Rat: Sei natürlich und sei du selbst. Weshalb schon 12-Jährige anfangen, ihren Körper zu optimieren. Denn, so die Logik: Eine Frau ist erst dann sie selbst, wenn sie so locker und so schön ist, wie es das aktuelle Schönheitsideal gerade definiert – und das erreicht sie mit dem Lippenstift auf Seite 12, dem Kleid auf Seite 30 und der Diät auf Seite 56. Um es mit Bravo zu sagen: „Binde dir einen orangen- oder pfirsichfarbenen Schal um. Der bringt deinen Teint zum Leuchten und lässt dich attraktiver wirken“ (Flirttipp Nummer 43).
Zweitens: Frauen nutzen das Internet mittlerweile sehr erfolgreich, um sich gegen solche Rollenklischees zu wehren. Und vor allem Gegenentwürfe zu präsentieren.
Der „Shitstorm" von dem nun die Rede ist, kommt aber auch aus einem dritten Grund nicht von ungefähr: Denn das Netz brummt ja schon seit Tagen - nicht wegen der biederen Bravo-Liste, sondern wegen der heißen Hotpants. Unter dem Hashtag #hotpantsverbot debattiert gefühlt ganz Deutschland, ob es jetzt prüde oder angemessen ist, dass die Leiterin einer Werkrealschule in Horb-Altheim Regeln für Kleidung an ihrer Schule einführen will (EMMA berichtete). Die Bravo-Liste, ein Nebenschauplatz.
Der Hauptschauplatz ist ohnehin der Frauenkörper an sich, über den hier mal wieder ausführlich verhandelt wird, egal ob es um Hotpants oder diese Flirttipps geht. Und wie so oft gibt es auch diesmal nur zwei Pole in der Diskussion: Frauen sollen züchtig und gefällig sein. Oder: Frauen sollen (jetzaberwirklichendlichmalsuperfreiwillig) sexy sein. Heilige und Hure. Was Frauen niemals dürfen: Einfach mal sein.
Bravo hat die 100 Tipps mittlerweile übrigens gelöscht. Das Magazin schreibt: „In der vergangenen Woche haben wir einen Artikel zum Thema ‚100 Tipps für eine Hammer-Ausstrahlung’ veröffentlicht, der bei einigen von Euch, aber insbesondere in der breiten Medien-Öffentlichkeit, für Diskussion sorgt. Kritik ist, dass wir ein rückständiges Frauenbild transportieren. Tatsächlich sind einige der Tipps absolut unglücklich, und insgesamt genügt der Beitrag nicht dem Qualitätsanspruch, den wir an uns selber stellen. Hierfür möchten wir uns ausdrücklich entschuldigen.“ Immerhin: Ein kleiner Erfolg.