Olympia 2024: Das Feuer entfachen

124 Jahre Kampf der Frauen um Teilnahme bei Olympia, um Gleichberechtigung in den Disziplinen, um ihre Freiheit und um ihre Würde.
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"Ouvrons grand les Jeux", "Games Wide Open" oder "Offene Spiele" – so lautet das Motto von Olympia 2024. Die Wettkämpfe der 10.500 Athletinnen aus 206 Ländern sind in ganz Paris verteilt, viele finden unter freiem Himmel statt. Zu guter Letzt werden die Medaillen im Park am Trocadéro vor dem Eiffelturm vor Tausenden Fans verliehen werden.

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Paris ist zum dritten Mal, nach 1900 und 1920, Gastgeber und darf eine wahrhaft historische Premiere feiern: Erstmals in der Geschichte von Olympia werden gleich viele Sportlerinnen wie Sportler an den Start gehen: 5.250 Männer und 5.250 Frauen. Und: Frauen treten in allen Disziplinen an! Das hat nur schlappe 124 Jahre gedauert.

DIE PIONIERIN

Erstmals antreten durften Frauen 1900, ebenfalls in Paris, vier Jahre nach den ersten Spielen in Athen. Dass sie in der olympischen „Königsklasse“, der Leichtathletik, starten durften, haben Frauen der Pariserin Alice Milliat zu verdanken. Die passionierte Schwimmerin, Hockeyspielerin, Ruderin und Sportfunktionärin forderte 1920 vom Internationalen Olympische Komitee (IOC) die Teilnahme von Frauen in der Leichtathletik. Das IOC lehnte ab.

Die Französin und Ruderin Alice Milliat erkämpfte 1920 die Öffnung der Olympsichen Leichtathletik-Disziplinen für Frauen.
Die Französin und Ruderin Alice Milliat erkämpfte 1920 die Öffnung der Olympsichen Leichtathletik-Disziplinen für Frauen.

Gemeinsam mit anderen Frauen gründete Milliat kurzerhand den „Internationalen Frauensportverband“ und setzte Frauenspiele auf. Die fanden am 24. März 1921 erstmals in Monte Carlo statt. Über hundert Sportlerinnen aus England, Frankreich, Italien und der Schweiz nahmen teil. Die Frauen begeisterten die Menge im Hürdenlauf, Weitsprung, Kugelstoßen und Sprint. Und das über zehn Jahre lang. Das IOC musste den Erfolg der Frauenspiele anerkennen. Von nun an waren die Frauen auch in der Leichtathletik bei Olympia dabei. Von Spielen zu Spielen kamen weitere Disziplinen dazu – um jede einzelne mussten die Sportlerinnen hart kämpfen. Erst 1996 wurde Frauenfußball olympisch und erst seit 2014 wird auch eine Olympiasiegerin im Skispringen gekürt.

GEGEN GESCHLECHTERAPARTHEID

Wer weiß, ob wir so weit wären, wenn nicht 1995 – und wieder in Paris –, ein Jahr vor den Spielen in Atlanta, drei Frauen die feministische Fackel von Milliat weitergetragen und dem IOC den Kampf angesagt hätten. Da riefen Linda Weil-Curiel, die Anwältin und Kämpferin für Frauenrechte auch in islamischen Ländern, Annie Sugier, Physikerin und Präsidentin der Liga der internationalen Frauenrechte, sowie die belgische Parlamentsabgeordnete Anne-Marie Lizin die Aktion „Atlanta Plus“ ins Leben.

Den Ausschlag gab die Eröffnungsfeier der Spiele in Barcelona 1992. Dort waren 34 von 169 teilnehmenden Nationen frauenfrei einmarschiert. Darunter die allseits Verdächtigen: Iran, Kuwait, Katar und Pakistan.

„Das ist Geschlechter-Apartheid!“, protestierten die drei Frauen in Paris – und hatten auch gleich einen Präzedenzfall im Stadion. Denn Südafrika war erstmals wieder bei den Spielen in Barcelona dabei, nachdem es 24 Jahre lang ausgeschlossen war. Der Grund: Das Land hatte sich strikt geweigert, schwarze SportlerInnen zu schicken. Rassen-Apartheid. „Wie kann es also sein, dass das IOC ein Land jahrelang sperrt, weil es einen Teil seiner Menschen wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert – aber bei der Diskriminierung wegen des Geschlechts munter beide Augen zudrückt?“, fragte damals Linda Weil-Curiel.

Linda Weil-Curiel und Annie Sugier begannen 1995 mit dem Kampf um Parität. - Foto: epd/IMAGO
Linda Weil-Curiel und Annie Sugier begannen 1995 mit dem Kampf um Parität. - Foto: epd/IMAGO

Die drei Feministinnen beriefen sich mit „Atlanta Plus“ auf die „Charta der Olympischen Spiele“, die „Diskriminierung wegen Rasse oder Geschlecht für unvereinbar mit der olympischen Bewegung“ erklärt. Sie mobilisierten weltweit Sportverbände, PolitikerInnen und Medien, um die Charta durchzusetzen, die allen Delegationen die Teilnahme untersagt, die Frauen ausschließen. Theoretisch. Praktisch musste das noch durchgesetzt werden. Der damalige französische Präsident Jacques Chirac schloss sich der Forderung der Feministinnen an und verlangte von der UNESCO, aktiv zu werden. In Deutschland schlossen sich auf Anregung von Heiner Geißler die CDU/CSU-Frauen sowie die SPD-Bundestagsfraktion dem Protest an und auch die skandinavischen Länder protestierten. Doch das IOC und das für Deutschland agierende NOC beließen es ganz nach Tradition des Altherren-Clubs beim Alten.

Für die Spiele in Atlanta 1996 war der Vorlauf der Initiative noch zu knapp gewesen. Da liefen von 170 Nationen noch immer 34 frauenfrei ein. Doch von Spielen zu Spielen schickten mehr und mehr Länder auch Frauen. Heute ist die olympische Charta gegen Geschlechterapartheit umgesetzt. Kein Land darf mehr ohne Frauen zu Olympia reisen. Selbst Afghanistan, in dem Frauenrechte und Frauensport de facto nicht mehr existieren, muss eine Frau im Team haben. Paris ist also ein Sieg für uns Frauen, bevor der erste Wettkampf überhaupt startet.

DAS KOPFTUCH

Und trotzdem geht der Kampf der Frauen für olympische Gleichheit auch neben den Arenen und Sportplätzen weiter. Der gegen das Kopftuch zum Beispiel.

Während die Frauen im Iran Tag für Tag mit demonstrativ offenem Haar auf die Straße gehen – und damit ihre Freiheit und ihr Leben riskieren – , dürfen die iranischen Sportlerinnen nicht mal drüber nachdenken, es abzulegen. Um etwaiges „Fehlverhalten“ zu verhindern – frau erinnere sich an die iranische Kletterin Elnaz Rekabi, die sich beim Wettkampf einfach ihr Kopftuch abzog, müssen die Sportlerinnen dem Teheraner Regime sogar eine Art Pfand hinterlassen. Bei den Wettkämpfen und jedem öffentlichen Auftritt muss das Kopftuch getragen werden, sonst kann sich die Familie der Athletin warm anziehen – und das Bankkonto der Sportlerin eingezogen werden. So viel zum „Recht auf das Kopftuch“ bei Olympia.

Die iranischen Fußballerinnen werden vom Regime gezwungen, mit Kopftuch zu spielen. - Foto: IMAGO
Die iranischen Fußballerinnen werden vom Regime gezwungen, mit Kopftuch zu spielen. - Foto: IMAGO

Und das IOC zeigt traditionell keine Flagge zu dem Thema. Im September 2023 ließ es verkünden: „Jede Athletin und jeder Athlet darf ihren/seinen Glauben genauso repräsentieren wie sein Land.“ Was das mit dem Glauben zu tun hat und was aber ein Land mit seinen Sportlerinnen macht, das schert das IOC wenig.

Von allen teilnehmenden Ländern hat nur Frankreich ein Kopftuchverbot sowie ein Verbot für andere religiöse Symbole ausgesprochen. Eine Haltung, die in deutschen Medien verhöhnt wird. Die sehen die „Religionsfreiheit“ der Sportlerinnen in Gefahr. Die Europäische Frauenlobby, in der über 2.000 Frauenorganisationen vereint sind, und der auch die „Atlanta Plus“-Initiatorinnen Linda Weil-Curiel und Annie Sugier angehören, protestiert seit 1996 gegen die Verschleierung von Sportlerinnen bei den Spielen. So auch in diesem Jahr. „Collectif JOP 2024“ heißt ihre Initiative. In einer Petition riefen sie das IOC dazu auf, Iran und Afghanistan von den Spielen auszuschließen, weil diese Länder ihre Sportlerinnen unter das Kopftuch zwingen. Außerdem machten die Aktivistinnen mit einem symbolischen Fackellauf vor der Eröffnung der Spiele auf Frauenrechte aufmerksam. Unter ihnen: Sportlerinnen aus dem Iran und Afghanistan, die allesamt gegen das Kopftuch und für ihre Freiheit als Frau kämpfen. Und gemeinsam sagen sie den ach so toleranten KopftuchfreundInnen: „Ihr glaubt, für die Freiheit der verschleierten Frauen zu kämpfen. Dabei sind es die Frauen, die das Kopftuch nicht tragen wollen, die um ihre Freiheit kämpfen müssen!“

ENTBLÖSST RENNEN?

Neben ihrer Freiheit ist es auch immer ihre Würde, die für Frauen bei Olympia auf dem Spiel steht. Du bist eine starke Sportlerin? Okay, aber du bleibst Objekt. Im Vorfeld der Spiele 2024 legten sich die US-Leichtathletinnen mit dem Sporthersteller Nike an. Der hatte für die Läuferinnen einen knallpinken, hautengen Bodysuit mit hoch ausgeschnittenem Bein entworfen. „Der Intimbereich wird entblößt“, kommentierte die frühere Weitspringerin Tara Davis-Woodhall das Modell, und Queen Claye, eine frühere Hürdenläuferin, fragte, ob die Athletinnen nicht gleich von einem Enthaarungszentrum gesponsert werden könnten. Und Ex-Läuferin Lauren Fleshman spottete: „Profis sollten den Höhepunkt ihrer Karriere vor einem Millionenpublikum nicht halbnackt absolvieren müssen, um Sponsoren und Sportfunktionäre zu befriedigen!“ Die Männerausstattung hingegen bleibt unverändert: Muscle-Shirt, enge Leggins. Doch siehe da: Nike lenkte ein. Sportlerinnen können nun wählen, ein Modell mit Bein ist auch für sie möglich.

Die deutschen Beach-Volleyballerinnen spielen in einem Hauch von nichts. So verlangt es der Verband. - FOTO: IMAGO
Die deutschen Beach-Volleyballerinnen spielen in einem Hauch von nichts. So verlangt es der Verband. - FOTO: IMAGO

Nicht zum ersten Mal sorgen die Kleiderregeln für Frauen bei Olympia für Aufsehen. Als das Frauenboxen 2012 olympisch wurde, sollten die Boxerinnen Miniröcke tragen. Allen Ernstes. Erst 2023 konnten Tennisspielerinnen durchsetzen, keine weiße Unterwäsche mehr tragen zu müssen. Die Spielerin Alicia Barnett: „Es ist eine Belastung, während der Periode weiße Unterwäsche tragen zu müssen und den Kopf im Wettkampf nicht frei zu haben.“ Und immer wieder ist die Bekleidung auch der Beachvolleyballerinnen Thema bei Olympia. Denn die schmeißen sich weiterhin in einem Hauch von Nichts in den Sand. „Sonst verlieren wir möglicherweise männliche Fans und Sponsoren“, heißt es vom Verband. Na dann, viel Erfolg!

TRANSGENDER

Anders als bei vielen anderen internationalen Wettkämpfen dürfte das Thema „Trans“ in Paris nicht dominieren. Das IOC hat sich aus der Affäre gezogen und die Entscheidung über eine Teilnahme von Transfrauen (Transmänner, also geborene Frauen, die bei den Männern antreten wollen, sind nicht bekannt) den einzelnen Sportverbänden überlassen – und die greifen wegen deutlicher Wettbewerbsverzerrung in der Vergangenheit nun durch.

Die transsexuelle Schwimmerin Lia Thomas (USA) darf nicht in Paris starten. - Foto: IMAGO
Die transsexuelle Schwimmerin Lia Thomas (USA) darf nicht in Paris starten. - Foto: IMAGO

So hat der internationale Schwimmverband „World Aquatics“ beschlossen, dass nur Transfrauen an Profi-Wettkämpfen teilnehmen dürfen, die vor der Pubertät transitioniert haben und deren Testosteronspiegel dauerhaft dem einer durchschnittlichen Frau ähnelt. Kurzum: Bedingungen, die kaum eine Transfrau erfüllen wird.Die bekannte US-Trans-Schwimmerin Lia Thomas wird bei Olympia also nicht starten können.

Wenig später beschloss ebenfalls der internationale Leichtathletikverband „World Athletics“: Nur wer die Transition vor Beginn der Pubertät abgeschlossen hat, darf als Transfrau an Spitzenwettkämpfen teilnehmen. Der „Schutz der weiblichen Kategorie“ stehe an erster Stelle, so Präsident Sebastian Coe. Auch die Verbände für Radsport, Gewichtheben oder Rugby schlossen sich der Regelung an.

Im Tennissport kämpft Martina Navratilova gegen die Wettbewerbsverzerrung durch Trans-Athletinnen. - Foto: IMAGO
Im Tennissport kämpft Martina Navratilova gegen die Wettbewerbsverzerrung durch Trans-Athletinnen. - Foto: IMAGO

Im Tennissport macht sich Martina Navratilova für biologische Frauen stark. Die frühere Weltranglistenerste engagiert sich seit Jahren gegen die Startberechtigung von Transfrauen in Frauenwettbewerben. „Come On, Frauentennis ist nichts für gescheiterte männliche Sportler – egal, welchen Alters“, spottete sie über die Karriere der Transfrau Alicia Rowley, die in der Seniorenklasse bei Frauenturnieren in den USA ordentlich abräumte.

Navratilova: „Wir Sportlerinnen sind dafür, dass wir unter möglichst gleichen Bedingungen antreten können. Das bedeutet, dass die Männer, die sich jetzt als Frauen identifizieren, dann eben in einer männlichen Kategorie antreten sollten. Es ist sonst einfach nicht fair. Transfrauen sind größer, ihre Knochendichte, ihre Lungenkapazität, ihre Skelettstruktur und sogar ihre Atemwege sind stärker als bei Frauen. Die Vorteile sind zahlreich.“

Die aktuelle Juli/August-Ausgabe als Print-Heft und als eMagazin im www.emma.de/shop
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DAS PROBLEM ISRAEL

Einen echten Nachteil haben zurzeit die SportlerInnen aus Israel. Manche werden bei den Vorbereitungswettkämpfen ausgebuht, über 300 Sportorganisationen fordern den Ausschluss Israels von den Spielen. Das israelische Drama verschärft die ohnehin hohen Terror-Bedenken in Paris nun noch. Präsident Macron hat die höchste Terrorwarnstufe für die Spiele ausgerufen und Paris zur Hochsicherheitszone erklärt. Außerdem hat der Präsident um zusätzliche ausländische Sicherheitskräfte gebeten. Mehrere Teilnehmerländer werden sogar SoldatInnen schicken. Allzu „offen“ werden die „offenen Spiele“ also nicht werden können.
Und trotzdem wird da ein Feuer auch in uns Frauen lodern.

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