"Der Kampf gebürt dem Manne"
Britta Heidemann ist eine gefragte Frau. Sie hat alles, was eine Athletin braucht, um kurz vor dem Start der Olympischen Spiele in Peking die Neugier der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen: Sie ist amtierende Weltmeisterin im Degenfechten, sie kennt China wie ihre Westentasche und spricht fließend Mandarin. Außerdem kommt ihr zugute, dass sie geduldig ist. Denn dieser Tage gibt die 24 Jahre alte Sportlerin aus Köln gleich reihenweise Interviews, und die Fragen sind stets die gleichen: Wie ist das denn nun mit der Lage in Tibet? Sollte man die Olympischen Spiele boykottieren? Wie politisch dürfen Athleten sein?
Heidemann plädiert für eine „differenzierte Sicht der Dinge“. In China habe sich viel getan in den vergangenen dreißig Jahren, und das Land jetzt scharf zu kritisieren hieße, es vor den Kopf zu stoßen, sagt sie. Außerdem sei Hochleistungssport eine Konzentrationssache. „Ich würde sicher schlechter abschneiden, wenn ich mich auf eine politische Diskussion einlasse. Ich will halt Olympiasiegerin werden.“
Der Tibet-Konflikt ist mit dem Fackellauf in alle Welt getragen worden. Bei der Diskussion über die Menschenrechtslage in China gerät allerdings oft in Vergessenheit, dass der Zugang zu den Olympischen Spielen noch immer nicht allen Sportlern – insbesondere: Sportlerinnen – gleichermaßen gewährt ist. Nach wie vor gibt es – zumeist islamisch geprägte – Länder, deren Olympia-Mannschaften nicht eine einzige Frau angehört.
Auch zu Beginn der Olympischen Bewegung war es ausgeschlossen, Athletinnen wie Britta Heidemann auf der Planche kämpfen zu sehen. „Ich will Olympiasiegerin werden“ – einen solchen Satz hätten die Frauen im antiken Griechenland noch mit dem Leben bezahlt.
Heute sind die Olympischen Spiele ohne Frauen nicht mehr denkbar. Lange Zeit aber verhielt es sich genau andersherum: Mit weiblicher Beteiligung war Olympia nicht vorgesehen. So war das vor knapp 3.000 Jahren, als die jungen Männer der Peloponnes zum ersten Mal im Laufen und Werfen gegeneinander antraten. Und so war es bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, die 1896 wieder in Athen stattfanden. Dem historischen Vorbild entsprechend, hatte der französische Baron Pierre de Coubertin, Gründer des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), zu diesen Wettkämpfen keine Frauen zugelassen: „Olympische Spiele sind ein Ausbund männlicher Athletik, und der Beifall der Frauen sind deren Lohn“ – so lautete sein Credo.
Coubertin war ein Mann des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit setzte auch die erste Frauenbewegung zum Sprung über hohe Hürden an, focht mit ihrer Forderung nach Bildung und dem Frauenwahlrecht harte Kämpfe aus und sprintete mit Siebenmeilenstiefeln vom heimischen Herd in die Welt. Kein Wunder, dass man es ungern sah, wenn sich die Damen, die gerade das einschnürende Korsett gegen die praktische Bloomer-Hose getauscht hatten, sportlich betätigten. „Ungezügeltes Rennen, Klettern oder Hüpfen können bei allzu großer Erschütterung die weiblichen Fortpflanzungsorgane funktionsunfähig machen“, warnten medizinische Handbücher. „Der Kampf verzerrt das Mädchenantlitz, er gibt der anmutigen weiblichen Bewegung einen harten, männlichen Ton. Er lässt die Grazie verschwinden, mit einem Wort: Er wirkt beim Weibe unschön. Der Kampf gebührt dem Manne, der Natur des Weibes ist er wesensfremd“, verteidigte noch in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts der spätere Präsident des Nationalen Olym?pischen Komitees, Karl Ritter von Halt, das männliche Monopol auf Auseinandersetzung, Wettkampf und Kampf. Aber auch er hinkte seiner Zeit schon hinterher.
Denn die Politik des Baron de Coubertin war nicht lange durchzuhalten. Gegen seinen Willen traten bereits im Jahr 1900 bei den Olympischen Spielen in Paris 22 Frauen an, überwiegend in Tennis und Golf. Das waren zwar nur zwei Prozent der Teilnehmer, dem Baron waren es dennoch zu viele. Er tobte. Den Lauf der Dinge vermochte er trotzdem nicht aufzuhalten: 1912 nahmen Frauen an den Schwimmwettkämpfen in Stockholm teil, und 1921 gründete die französische Feministin Alice Milliat in Paris den Internationalen Frauensportverband. Nur ein Jahr später veranstaltete sie in der französischen Metropole die ersten Olympischen Spiele für Frauen – und zog damit 20.000 ZuschauerInnen ins Stadion. Dieser beachtliche Erfolg ließ sich nicht ignorieren. Und so beschloss der Internationale Leichtathletik-Verband vier Jahre später, „den Frauenwettkampf 1928 in Amsterdam versuchsweise in das Programm der Olympischen Spiele aufzunehmen“.
Heute sind Frauen in beinahe allen Wettkämpfen der Olympischen Spiele vertreten – nur das Boxen ist noch allein den Männern vorbehalten. Noch scheut sich das IOC, die Frauen im olympischen Ring boxen zu lassen, weil das Niveau der internationalen Frauenkonkurrenz zu niedrig sei. Wenn diese offiziell vertretene Begründung tatsächlich den wahren Motiven des IOC entspricht, dürfte es sich allerdings nur noch um eine Frage der Zeit handeln, bis auch das Boxen für Frauen olympisch ist.
In Peking werden von den insgesamt 10.500 antretenden Sportlern 4.035 Frauen sein. Der Anteil der weiblichen Athleten ist damit in der jüngeren Geschichte von Olympia stetig gestiegen, von 38 Prozent in Sydney 2000 über 41 Prozent in Athen auf rund 44 Prozent in Peking. In London könnte 2012 das erste Mal in der Geschichte von Olympia die Marke von 50 Prozent überschritten werden. Damit wäre das Ziel der ‚fifty-fifty-Spiele‘, das der ehemalige Präsident des IOC, Juan Antonio Samaranch ausgerufen hat, erreicht – zumindest auf der Ebene der SportlerInnen.
Denn es gibt noch immer olympische Arenen, in denen Frauen gar keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen. Das gilt zu allererst für das IOC selbst. Mehr als zehn Jahre sind vergangen, seit Samaranch forderte, mindestens 20 Prozent der Mitglieder in den Führungsgremien müssten weiblich sein – von ‚fifty-fifty‘ war gar nicht erst die Rede. Ursprünglich wollte er diese Marke schon im Jahr 2005 erreicht haben. Drei Jahre später aber ist, jetzt unter Präsidentschaft von Jaques Rogge, das IOC von der Erfüllung seiner selbst gesetzten Ziele noch weit entfernt. Von den 15 Mitgliedern des Exekutivkomittees ist nur eines weiblich: die stellvertretende Präsidentin Gunilla Lindberg aus Schweden.
Und auch mit einem anderen Satzungspunkt nimmt man es im IOC-Hauptquartier Lausanne nicht allzu ernst. „Jede Diskriminierung aufgrund der Rasse, Religion, Politik oder des Geschlechts ist unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur Olympischen Bewegung“, fordert das IOC in seiner Charta. Nach wie vor treten aber Länder wie Saudi-Arabien ohne Frauen an. In islamistischen Ländern ist es der weiblichen Bevölkerung verboten, Sport zu treiben – oder nur solchen, der sich mit der restriktiven Kleiderordnung vereinbaren lässt.
Bei den Spielen in Barcelona traten 1992 noch 35 Mannschaften an, denen nur Männer angehörten. Vier Jahre später in Atlanta waren es 26 Nationen, in Sydney noch zehn und in Athen vier. Eigentlich ist das ein klarer Verstoß gegen die Satzung des IOC, aber das Exekutivkomitee hat sich noch nie dazu durchgerungen, eines dieser Länder von der Teilnahme an Olympia auszuschließen.
Dagegen regt sich Widerstand. Schon 1996 titelte EMMA mit der algerischen Sportlerin Hassiba Boulmerka, die für ihre Olympia-Teilnahme im französischen Exil trainieren musste. Im Sommer 2000 hatte der Deutsche Bundestag das NOK fraktionsübergreifend aufgefordert, „sich beim IOC für die Einhaltung der olympischen Charta einzusetzen und Sanktionen gegen die Länder zu verhängen, die dagegen verstoßen“. Und in Paris protestiert auch diesmal wieder das rührige „Comité Atlanta+“ (EMMA 3/08) gegen den Frauen-Ausschluss und weitere Verstöße gegen die olympischen Werte im Namen der Religion: „Anlässlich der Tibet-Proteste haben Sie erklärt, dass die Spiele nicht der Ort sind, um politische oder religiöse Überzeugungen zu demonstrieren“, schrieben die Aktivistinnen an IOC-Präsident Jacques Rogge. „Wie rechtfertigen Sie es dann, dass iranische Athletinnen im Herzen des Olympiastadions einen islamischen Tschador tragen – ein klares Zeichen politischer und religiöser Propaganda?“ Bisher blieb der IOC-Präsident die Antwort schuldig.
Zu den islamischen Ländern, die den Frauen den Zugang zu den Olympia-Mannschaften verwehren, gehören neben Saudi-Arabien vor allem die Vereinigten Arabischen Emirate und Brunei. Der Iran gewährte den Frauen in Barcelona, Sydney und Athen lediglich die Teilnahme am Schießen – einem Sport, der sich auch im Tschador ausüben lässt. Zudem hat der Iran erst im vergangenen Winter die Bedingungen für die Teilnahme von Frauen an internationalen Sportveranstaltungen noch verschärft. Seither dürfen iranische Sportlerinnen nicht in Wettbewerben antreten, in denen sie von einem Mann, etwa einem Schiedsrichter, berührt werden könnten. Als Beispiel bemühte man ein Turnier in dem Kampfsport Taekwondo, bei dem der Schiedsrichter zum Zeichen des Sieges den Arm einer iranischen Sportlerin hochhielt. Außerdem dürfen die Iranerinnen keinen männlichen Trainer haben und von ihm auf Reisen begleitet werden. Das ist insbesondere für die iranische Frauen-Volleyballmannschaft eine schlechte Nachricht, weil sie als eine der besten in Asien gilt und nach der Mitteilung der Mullahs bis auf weiteres blockiert ist.
Andere muslimische Länder schicken hingegen durchaus Sportlerinnen zu Olympischen Spielen: In Athen ging die 100-Meter-Läuferin Robina Muqimyar für ihr Land Afghanistan an den Start. Als erste Frau trug sie die Flagge ihres Landes bei der Eröffnungszeremonie ins Stadion. Den Vorlauf hat sie zwar mit einer Zeit von über 14 Sekunden nicht überstanden – aber sie hat anderen Landsfrauen Mut gemacht. In Peking wagt sich deshalb eine weitere Leichtathletin aus Afghanistan auf die Laufbahn: Mahbooba Ahadyar aus Kabul will über 1.500 und 3.000 Meter antreten – mit Kopftuch und langen Hosen. Zu Hause trainiert sie in schlichten Joggingschuhen auf einer baufälligen Zementlaufbahn. Manchmal, so erzählt sie, läuft sie auch draußen auf der Straße, aber nur im Schutz der Dunkelheit, wenn sie vor den Blicken und Schmährufen der männlichen Nachbarn sicher ist. Auch hier gibt es für die Olympische Idee noch viel zu tun.