Pädo-Freund Kentler & Berlin
Liest man heute, was damals (fast) alle guthießen, kann man es kaum fassen: Das Berliner Jugendamt gibt in den 1970er Jahren verhaltensauffällige Jugendliche, die im Heim oder auf der Straße leben, zu vorbestraften Pädosexuellen. Die Idee zu dem Projekt stammt von dem Diplom-Psychologen Helmut Kentler. Er ist Leiter des Pädagogischen Instituts Berlin und mit allen vernetzt, die in der deutschen und holländischen Pädosexuellen-Szene Rang und Namen haben.
Man hätte das alles schon
vor Jahrzehnten wissen können
Folgerichtig verkündet Kentler zum Thema Sex zwischen Erwachsenen und Kindern auch öffentlich, dass „trotz zahlreicher Untersuchungen bisher nie die erwarteten schädlichen Folgen bei Kindern oder Jugendlichen festzustellen waren“. Diese skandalöse Behauptung darf er überall unwidersprochen vertreten: als Experte im Bundestags-Ausschuss wie in der FDP-Fraktion. Oder in seinen Seminaren. Denn der verständnisvolle Herr Kentler wird 1976 Professor für Sozialpädagogik an der Universität Hannover.
Auch in Missbrauchs-Prozessen ist der bekennende Verharmloser des Kindesmissbrauchs gefragt: Als Gerichtsgutachter wird Prof. Kentler in zahlreichen Fällen dafür sorgen, dass Verfahren gegen Kindesmissbraucher eingestellt bzw. die Täter freigesprochen werden.
Dieser Skandal hat nun die Öffentlichkeit erreicht. 40 Jahre später. Vor drei Jahren waren erstmals die Grünen und der Deutsche Kinderschutzbund des Sympathisantentums mit der praktizierten Pädophilie bezichtigt worden. In die Enge getrieben, gaben sie eine Studie bei dem Göttinger Politik-Professor Franz Walter in Auftrag - der erforschte die inkriminierten 1970er und 1980er Jahre und bestätigte den Vorwurf.
Ähnlich erging es jetzt dem Berliner Senat. Erst auf öffentlichen Druck hin erteilte die Behörde Walter und seinem Team den Auftrag zur rückwirkenden Aufklärung der Causa Kentler. Resultat: Helmut Kentler war eine „Schlüsselfigur im Netzwerk Pädophilie-freundlicher Wissenschaftler und Aktivisten der Siebziger und Achtziger Jahre“, schreibt jetzt der Spiegel.
Für EMMA ist zwar die Rolle des Berliner Jugendamtes in diesem Ausmaß neu, nicht aber die Funktion Kentlers in der Pädophilen-Szene. Wir hatten das bereits 1993 geschrieben - und jeder hätte es sehen und berichten können. Aber alle zogen damals vor, die Augen zu verschließen. Auf Kosten der Kinder und Jugendlichen.
Ausgerechnet das Berliner Jugendamt des SPD-geführten Senats arbeitete also damals auch mit Kentler, dieser „Schlüsselfigur“ der Pädo-Szene eng zusammen. Schlimmer noch: Die Göttinger ForscherInnen scheinen Belege dafür gefunden zu haben, dass dieselben MitarbeiterInnen des Jugendamtes auch „schwierige“ Jungen an die Odenwaldschule vermittelt haben - das Internat, an dem der pädosexuelle Schulleiter Gerold Becker zwischen Anfang der 1970er und Mitte der 1980er Jahre zahllose Jungen missbrauchte.
Wenn das so ist, bedeutet das, dass es in den als besonders reformerisch und fortschrittlich gerühmten Pädagogenkreisen nicht nur einzelne Ämter und Schulen gab, die den Missbrauch duldeten oder sogar förderten. Nein, es bedeutet, dass es ein landesweites Netz gab, innerhalb dessen die verstörten Kinder verschoben wurden. Und die waren nicht selten verstört, weil sie missbraucht wurden. Kurzum: Die idealen Opfer zum weiteren Gebrauch.
Aber es wurde geschwiegen
über das Netzwerk der Pädo-Freunde
Jetzt ist die Aufregung – zu Recht – groß. Allerdings hätte man all das schon längst entdecken können. Man wollte aber offensichtlich nicht. In den Siebzigern, als sexueller Missbrauch von Reformern als „modern“ und Aufstand gegen die rigide Sexualmoral verkauft wurde, sowieso nicht. Aber auch noch Anfang der 1990er wurde der Mantel des Schweigens über die Sache gebreitet. Da hatte EMMA das Pädosexuellen-Netzwerk der „Falschen Kinderfreunde“ längst minutiös aufgedeckt, auch ohne wissenschaftliche Studie. Dem Netz gehörte neben Kentler zum Beispiel auch der damalige Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Walter Bärsch, an. Reaktion auf die Veröffentlichung: Schweigen. Das große Schweigen.
Es brauchte über weitere zwei Jahrzehnte, bis, ausgelöst durch den Skandal um den Missbrauch in katholischen Internaten, auch die Verstrickungen pädosexueller Täter und ihrer Untertützer im Namen der „Fortschrittlichkeit“ enthüllt wurden. Für die Opfer von Prof. Helmut Kentler war das zu spät. Der agierte bis zu seinem Tod im Jahr 2008 ungehindert weiter. Die taz bezeichnete Kentler in ihrem Nachruf als „couragierten Gutachter vor Gerichten, wenn es um Verfahren nach dem Sexualstrafrecht ging“ und „verdienstvoller Streiter für eine erlaubende Sexualmoral“.
Erlaubende Sexualmoral. Eine treffliche Formulierung. Der Mann und seine Freunde haben sich tatsächlich alles erlaubt. Auf Kosten Minderjähriger und Abhängiger.
Weitere EMMA-Texte zum Thema:
Die Leugnung der Machtverhältnisse (EMMA 3/2010)
Falsche Kinderfreunde (EMMA 5/1993)