Papatya Berlin: Online-Beratung vor dem Aus?
Oft kommen die E-mails mitten in der Nacht. Dann, wenn das Mädchen ausnahmsweise unbeobachtet ist und einen Hilferuf schicken kann. Manchmal sitzt die Absenderin der Mail in Berlin, manchmal in einer anderen deutschen Stadt. Dann können Christine Schwarz und ihre Kolleginnen von Papatya womöglich noch verhindern, dass die junge Frau gegen ihren Willen verheiratet wird. Manchmal aber hat ihre Familie sie schon in die Türkei, nach Pakistan oder Tschetschenien verfrachtet. Dann versucht das Papatya-Team, sie von dort zurückzuholen. Seit 1986 berät, unterstützt und schützt Papatya Mädchen mit Migrationshintergrund, die in ihren Familien Gewalt erleben, und im schlimmsten Fall vor Zwangsverheiratung oder sogar Ehrenmord fliehen müssen.
Geht es nach der rot-rot-grünen Berliner Senatsverwaltung, muss Papatya seine Online-Beratungsstelle SIBEL Ende des Jahres dichtmachen. Denn im Haushalt der Hauptstadt ist kein Geld mehr vorgesehen, um SIBEL zu unterstützen. Bisher hatte der Senat zu den beiden Stellen der Online-Beratung 26.000 Euro beigetragen. Das reichte für eine halbe Stelle. Den Rest beschaffte Papatya selbst: Die Organisation besorgte Stiftungsgelder, zapfte EU-Töpfe an, wurde als Modellprojekt vom Bundesfrauenministerium gefördert.
Das Papatya-Team versucht, verschleppte Mädchen zurückzuholen
Das Problem: „Alle diese Geldgeber wollen immer etwas Innovatives fördern. Aber uns gibt es ja nun schon seit 15 Jahren“, erklärt Christine Schwarz. Deshalb versiegen diese Töpfe und der Berliner Senat müsste übernehmen. 86.000 Euro würden für die zwei SIBEL-Stellen benötigt. Doch statt die bisherige Förderung aufzustocken, ist bislang unklar, ob der rot-rot-grüne Senat überhaupt noch fördert. Aber: „Wenn wir die Förderung nicht bekommen, sind wir mit der Online-Beratung am Ende.“
Das wäre umso tragischer, als dass auch die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes ihre Fachberatungsstelle Zwangsverheiratung im Juli schließen musste. Grund: Geldmangel. „Es kann und darf nicht sein, dass dem Berliner Senat die Unterstützung der von Zwangsheirat bedrohten Mädchen, Frauen und Jungen keinen Cent wert ist“, sagt TdF-Geschäftsführerin Christa Stolle.
Auch Petra Koch-Knöbel, Gleichstellungsbeauftragte des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und Koordinatorin des „Berliner Arbeitskreises gegen Zwangsverheiratung“, ist „entsetzt“. Papatya und insbesondere die Online-Beratung SIBEL leiste „seit Jahrzehnten eine hervorragende, unentbehrliche Beratungsarbeit für von Zwangsverheiratung betroffene Mädchen und Frauen“. Diese spezialisierte Beratung sei nun „für Berlin nicht mehr gewährleistet“.
Und was sagt die zuständige Senatorin Dilek Kalayci (SPD) dazu? Da es sich um eine Online-Beratung handle, sollten sich bitteschön auch die anderen Bundesländer an der Finanzierung beteiligen. Dabei gab es laut „Berliner Arbeitskreis gegen Zwangsverheiratung“ im Jahr 2017 allein in der Hauptstadt 570 (versuchte) Zwangsverheiratungen. Auch die rund 1.000 „Beratungskontakte“ von Papatya stammten, so Christine Schwarz, überwiegend aus Berlin.
Statt Schutz vor Zwangsheirat wird die Pro-
Prostitutions-Lobby gefördert
Außerdem ist der rot-rot-grüne Senat an anderer Stelle viel spendabler. So förderte er die Prostituierten-Beratungsstelle „Hydra“ im Jahr 2018 mit 556.000 Euro. „Hydra“ fordert die „Gleichstellung der Prostitution mit anderen Berufen“ und die Abschaffung aller „Sondergesetze“, lehnt also auch das Prostituiertenschutzgesetz ab, inklusive Sperrgebiete und Kondompflicht. Frauen, die in Erwägung ziehen, sich zu prostituieren, bietet „Hydra“ Einstiegsberatung an.
Der Berliner Senat hat die Finanzierung der Pro-Prostitutions-Lobbyistinnen innerhalb von vier Jahren mehr als verdoppelt – von 221.000 Euro auf über eine halbe Million Euro.
So sind die Prioritäten im rot-rot-grün regierten Berlin.