Gitta vonne Bude: "Wat iss?"

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"Auf nix kann man sich mehr verlassen!" murrt Gitta, schüttelt unwillig den Kopf und verschränkt die Arme vor der Brust. "Da denksse, die komm’ Aben’s un wat is? Morgens, wenn de die Tür aufschliesst! Wo keiner mit rechnet. Ich mein’, wennse Abens gekomm’ wär’n, da hätt’ ich ihn’ schon was erzählt. Hiermit!" sagt sie und greift nach der handlichen Metallstange, die unauffällig im Regal hinterm Tresen liegt. „Wenn de so’n Prengel auffen Kopp kriss, möchtse nur noch nach Hause!“

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Das war jetzt schon der dritte Überfall auf Gittas „Bude“, zu Hochdeutsch: Kiosk. Sie spitzt den Mund. „Begehbar, wie ein Ladengeschäft! Mit allem, wasse für Spass brauchst! Sprit, Schnuckis (Süssigkeiten), Zeitungen un Zaretten (Tabakwaren)! Alles, ausser für de Tiefgarage (Kondome)! Dat fang wer erss gar nich an, dann geht’s hier ab wie am Bahnhof!“

Gitta ist 56 und sieht aus wie Mitte Vierzig. Zweimal war sie verheiratet. „Zweimal zuviel! Meine Omma hat imma gesacht: Kind, trau’ nem Mann so weit wie de nen Klavier werfen kanns’. Ich hätt’ mir gleich ’n Klavier hol’n soll’n! Nochmal’nen Mann, hab ich damals nach dem zweiten gesacht, um Gottes Willen! Lieber zehn Jahre nix zu Weihnachten!“

Der Mann, mit dem Gitta jetzt trotzdem seit 20 Jahren lebt, „Meiner“, ist 15 Jahre jünger. „Hömma, hab’ich zu dem gesacht, als ich gemerkt hab’, da is was im Busch. Hast Du eigentlich ne Ahnung, wie alt ich bin? Ich mein, ich geh doch nich an Kinder! Da hat der gesacht, das is ihm egal! Dat hatter gezz davon!“

Kinder hat sie nicht und wollte sie nie. „Dankeschön! Man kann ja nich nur selber Spass im Leben ham, man muss auch was für andere Leute übrich lassen! Bin ich Ursula von der Leyen?“
Gitta hat zu allem eine Meinung. Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche? „Un wat soll gezz neu daran sein? Heißt doch bei denen: Lasset die Kindlein zu mir kommen …! Klar, dass sich der Ratzinger, also der Benedetto heute, gegen de Schwulenehe ausgesprochen hat. Warum sollten sich so zwei abgestandene alte Männer mittenander abgeb’n, wennse mit jedem Ministrantenunterrricht Frischfleisch reingewinkt kriegen?“

RUHR 2010. „Sicher lauf ich da auffe A 40 rum, wennse die sperren. Wo kommsse denn sonst mal im Schritttempo so zügig auffe A 40 durch? Aba die Eröffnungsfeier sah doch aus wie’n Besuch auffe Mülldeponie, die alle mit ihren blauen und grünen Plastikmäntelchen! Und dann ein Ballett mit steppende Berchleute! Die ham’ doch alle in ihrem ganzen Leben noch nie ein Stück Kohle inne Hand gehalten. Der Pappa würd’ im Grab rotiern, wenn er dat gesehn hätte.“

Gittas Mutter Annemarie hat es dem toten Eusebio noch am selben Abend erzählt, als sie wie jeden Abend die Kerze auf dem „Altärchen“ vor seinem Foto angezündet hat. Gittas Mutter war eine „Ittakerbraut“. „Du kannst Dich doch nich’ mittem Spaghetti einlassen, die ham dat Messer offen inne Tasche! hat meine Omma imma gesacht. Da hat meine Mutta gesacht: Entweder der oder ich geh zu de Nonnen! Das fand meine Omma noch grässlicher, wo se doch alle imma inne SPD gewesen sind!“

Die Ehe wurde glücklich und die kleine Enkelin Eusebia Sophia Birgitta, genannt Gittaschätzeken, versöhnte auch Oma Lisbeth. Einmal hat Gittas Mutter ein Interview über sich ergehen lassen. „Da kam die Frage, ob se heterosexuell is und ob se einen Migranten geheiratet hätte. Da isse zornbebend aufgestanden und hat gesagt: Ich verbitte mir diese Unanständigkeiten! Heterosexuell! Ich war immer anständig und mein Mann war Italiener und was für einer!“

Gitta ist also, wie sie von sich selbst sagt, halbe Italienerin. „Migranten hin, Migranten her, ham die nen Knoten inne Zunge oder warum könn’ die kein Deutsch? Mein Pappa konnte nach einem Jahr Deutsch. Und dann diese Kleidersäcke! Und wenn ich die kleinen Mädchen seh’, neun Jahre, aber bei 29 Grad eingepackt mit Kopftuch und langem Mantel wie so’ne Made! Und wenn de nich spur’s als Frau, wir’se umgebracht? Ja, wo sind wir denn hier? Außerdem was wollen wir mitte Türkei? 80 Prozent davon is Asien. Besser is, wir kaufen gleich China. Die ham ja sowieso unsern Stahl. Können se gleich hier Hoesch wieder aufbauen! Denn wer soll das bezahlen, die Hunderte von Milliarden für de Türkei? Hatten wa doch schon mal. Und gezz? Statt der blühenden Landschaften im Osten ham wa auch noch Steppe im Westen!“

Und dann zeigt Gittaschätzeken auf einen vergilbten Zeitungsausriss, den sie mit Tesafilm festgepappt hat, die Welt vom 22. September 2004: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten“, hat der Erdogan gesacht. Muss ich das haben? Mit Sicherheit nich!“

Gittas Lebensweisheit basiert auf drei Erkenntnissen: 1. „Wer Ärger macht, fliecht raus!“ 2. „Wer ficken will, muss freundlich sein!“ und 3. „Wenne Mittwoch überlebs’, is Donnerstach!“ Gitta arbeitet, seit sie 16 Jahre alt ist. “Von morgens achte bis abends zehne! Ja, soll ich zu Hause putzen, bis Löcher im Fussboden sind oder mir vom Staat den Allerwertesten pudern lassen? Ich weiß noch, da war ich zehn, da hab’ ich meine Omma gefracht: Sach ma, wat hältsse eigentlich von Frauen, die arbeiten? Da hat die so knapp über de Schulter gesacht: Wie? Gipts andere?“
Trümmerfrauen. Zechensterben. Stahlkrise. Wir haben unsere Männer durchgebracht, obwohl sie der Meinung waren: „Eine gute Frau gehört an den Herd und der steht im Schlafzimmer!“ Ohne uns wären sie verhungert oder am Suff gestorben. Wir hatten immer die Füße auf dem Boden und das Heft fest in der Hand. Wie hätten wir sonst überleben sollen? Der Kopf bleibt oben. Wir haben nach den Sternen und den Hochschulabschlüssen gegriffen und statt Verkäuferin sind wir Schauspielerin, Bankdirektorin oder Ministerin geworden (wie Renate Künast). Oder Budenbesitzerin wie Gittaschätzeken. Wir leben immer noch im Wilden Westen und haben immer noch das Herz auf dem rechten Fleck. Und die Haare auf den Zähnen haben wir uns noch nie rasiert. Wir, die Perlen des Reviers.

In „Gitta vonne Bude“ hat die Dortmunder Kabarettistin Uta Rotermund alle ihr bekannten Buden-Halterinnen vereint.  - www.utarotermund.de

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