Petition: Nein heißt Nein!
Nehmen wir den Fall Chantal. Die 15-jährige befindet sich mit einem 31-jährigen Alkoholiker und Drogenabhängigen in dessen Wohnung in Marl. Der Mann schickt seine Lebensgefährtin und eine Bekannte aus dem Raum. Die beiden Frauen tun, was er sagt, denn sie wissen, was passiert, wenn man seinen Ansagen nicht Folge leistet: Der Mann wird sehr brutal. Jetzt ist Chantal allein mit ihm. Er macht sich über sie her. Chantal sagt, und das ist beim späteren Gerichtsprozess unstrittig: „Nein, ich will das nicht!“ Dann aber lässt das Mädchen die Vergewaltigung aus Angst „über sich ergehen“. Das Urteil des Essener Landgerichts: Freispruch. Begründung: Die 15-Jährige habe sich nicht genug gewehrt. „Er wusste ja nicht, dass sie das nicht wollte“, erklärte die Richterin.
Seit Jahren kämpfen Frauen dafür, dass sich diese skandalöse Rechtsprechung ändert und das Prinzip „Nein heißt Nein“ auch in die deutsche Gesetzgebung Einzug hält. Mit der Reform des Sexualstrafrechts gibt es nun eine neue Chance, dass Deutschland es anderen Ländern gleichtut – wie zum Beispiel Großbritannien. Dort gilt: Wer gegen den Willen einer anderen Person Geschlechtsverkehr mit ihr hat, macht sich strafbar. Punkt.
Nun hat Justizminister Heiko Maas (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den „Vergewaltigungsparagrafen“ 177 neu fassen soll. Dass er das überhaupt getan hat, ist vor allem dem Druck von Frauenorganisationen wie dem „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff) zu verdanken, denn ursprünglich sah der Minister „keinen Handlungsbedarf“. Der bff aber legte eine Dokumentation mit hundert Fällen vor, die bewiesen, wie oft Täter freigesprochen werden, auch wenn sie sich eindeutig über den erklärten Willen der Frau hinweggesetzt hatten. Die jahrelang misshandelte Ehefrau, die eine anale Vergewaltigung weinend über sich ergehen lässt, weil sie nicht will, dass die schlafenden Kinder im Nebenzimmer etwas mitbekommen. Oder die Frau, die vom Täter in seiner Wohnung eingeschlossen und dann vergewaltigt wird. (Begründung für den Freispruch: Sie habe doch gewusst, wo die Schlüssel liegen.) Kein Wunder, dass, wie das Kriminologische Institut Niedersachsen herausfand, nur jeder zehnte angezeigte Vergewaltiger verurteilt wird. Auch die CDU-Frauenunion und die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), also beide Frauenorganisationen der Großen Koalition, forderten, dass der §177 reformiert werden muss.
Der Gesetzentwurf des Justizministers will nun einen neuen Straftatbestand einführen: den „sexuellen Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“. Wenn ein Opfer sich nicht wehrt, weil es Angst vor einem „empfindlichen Übel“ hat, soll der Täter künftig bestraft werden. Das klingt nach einer Verbesserung der derzeitigen Gesetzeslage. Aber ist es das wirklich?
Schon jetzt ist die Nötigung eines Menschen zu sexuellen Handlungen strafbar, wenn „das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“. Dennoch lässt diese Formulierung Urteile wie die zitierten zu. Auch der Fall Chantal würde „nach dem neuen Gesetzentwurf nicht anders entschieden werden“, erklärt Tatjana Hörnle, Professorin für Strafrecht an der Berliner Humboldt-Uni.
Hörnle ist Mitglied der Reformkommission zum §177 und sieht das Ergebnis erklärtermaßen „kritisch“. Denn: „Ein Nein reicht auch nach der geplanten Reform noch immer nicht aus.“ Und das, erläutert die Professorin, ist „kein modernes Strafrecht“. Denn „Die Vorstellung, dass die Frau gegen eine Vergewaltigung Widerstand leisten muss, stammt aus Zeiten, als das Schutzgut noch die Reinheit und Geschlechtsehre der Frau war.“ Und nicht ihre sexuelle Selbstbestimmung, ihre körperliche und seelische Unversehrtheit. Die Strafrechtsprofessorin: „Unser Sexualstrafrecht hängt im Mittelalter fest.“
Das Prinzip „Nein heißt Nein“ fordert auch die sogenannte „Istanbul-Konvention“. Dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ verlangt in Artikel 36, dass „nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person“ unter Strafe gestellt wird. „Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“
In Österreich wurde dieses Prinzip schon jetzt umgesetzt. Auch dort war Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) zunächst der Ansicht gewesen, dass das bestehende Vergewaltigungsgesetz ausreicht. Aber der Minister ließ sich rasch eines Besseren belehren. Ab 1. Januar 2016 wird in Österreich bestraft werden, wer „mit einer Person gegen deren Willen, unter Ausnützung einer Zwangslage oder durch vorangegangene Einschüchterung, den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“.
Folgen Sie doch einfach dem guten Beispiel aus Wien, Herr Minister. Oder spricht irgendetwas dagegen?
Zur Petition
www.change.org/p/heikomaas-schaffen-sie-ein-modernes-sexualstrafrecht-neinheisstnein
Aktualisiert am 21.9.15