Pflichtjahr: Warum nicht für beide?
Jüngst sprach mich ein Freund an: „Sag mal, Alice, du bist doch für Gerechtigkeit. Findest du das gerecht, dass jetzt wieder eine Wehrpflicht für Männer geplant ist, aber nicht für Frauen?“
Nein, das finde ich nicht gerecht.
Schließlich erwarten wir Frauen ja jetzt auch von den Männern, dass sie die Hälfte des Hauses übernehmen und ein gleichberechtigter bzw. gleichverantwortlicher Elternteil sind (auch wenn die oft noch weit davon entfernt sind). Und wir verlangen den gleichen Lohn wie Männer. Also: Gleiche Rechte, gleiche Pflichten! Aber da ich schon gegen die Wehrpflicht für Männer bin (als Mann wäre ich Wehrdienstverweigerer gewesen), wie soll ich da für eine Wehrpflicht für Frauen sein?
Nur scheinbar widersprüchlicherweise hatte ich schon 1979 für das Recht von Frauen zum Wehrdienst plädiert, inklusive der Ausbildung an der Waffe, aber eben nicht für eine Wehrpflicht. Denn das war der Knackpunkt: Frauen hatten früher beim Bund Berufsverbot. Sie durften zwar im Gesundheitsbereich und Musikkorps dienen, aber nicht an der Waffe ausgebildet werden. Grund? Sie seien das „friedliche Geschlecht“ - im Gegensatz zum „kriegerischen“ männlichen Geschlecht.
Früher galt Berufsverbot beim Bund, denn Frauen seien das "friedliche Geschlecht"
Mal abgesehen, dass das Sexismus gegen Männer ist, erschließt es sich logisch, dass eine Feministin mit so einer Arbeitsteilung der Geschlechter nicht einverstanden sein kann. Denn von Unterdrückten behauptet man immer gerne, sie seien von Natur aus „friedlich“ – so wie einst von den Schwarzen oder Juden. Das ist so schön praktisch, dann wehren die sich nicht. Nur sterben Frauen im Krieg nicht minder. So gab es im Zweiten Weltkrieg in Deutschland 2.167.000 Tote unter den Bomben an der Heimatfront, überwiegend Frauen und Kinder, und 5.533.000 Tote an der Kriegsfront, überwiegend Männer.
Vor fast einem halben Jahrhundert brachte mir meine Position heftige Kritik ein – vor allem aus linken und feministischen Kreisen – und den Spitznamen „Flintenweib“. Ausgerechnet. Kommunistisch orientierte Kreise (DKP) zettelten unter kräftiger Ermutigung der DDR damals sogar eine angebliche „Bewegung“ gegen mich an, Slogan: „Bundeswehr, nein danke!“ (Das sind die Kreise, die heute für eine deutsche „Wehrtüchtigkeit“ plädieren.) Das war überflüssig. Denn außer mir war damals kaum einer oder eine für das (k)Recht auf den uneingeschränkten Wehrdienst für Frauen.
Das Berufsverbot für Soldatinnen in Deutschland (in anderen Ländern schon damals längst abgeschafft), wurde erst aufgehoben, nachdem die Elektronikerin Tanja Kreil (heimlich ermutigt von der CSU-Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Michaela Geiger), beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg gegen Deutschland geklagt hatte – und gewonnen. Seit dem 1. Dezember 2000 haben Frauen wie Männer also einen uneingeschränkten Zugang zur Bundeswehr, inklusive Ausbildung an der Waffe. Allerdings gibt es bis heute nur drei weibliche Generäle (von rund 200).
Die Lage der Bundeswehr hat sich dramatisch geändert. Was wäre heute gerecht?
Doch kommen wir zurück zur Frage meines Freundes: Was wäre heute gerecht? Mir scheint die Lösung naheliegend. Gerecht wäre ein Pflichtjahr für beide Geschlechter, ein Gemeinschaftsjahr. Dann könnten Frauen wie Männer wählen: Gehe ich in die Bundeswehr - oder in einen sozialen Dienst?
Die Lage in der Bundeswehr hat sich für deutsche SoldatInnen in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert. Es darf nicht mehr nur Schießen geübt werden, es wird in echt geschossen. Und echt gestorben. Zwischen 2001 und 2021 starben 60 deutsche SoldatInnen für die „Verteidigung unserer Demokratie am Hindukusch“. Und es ist keineswegs mehr ausgeschlossen, dass demnächst sehr viel mehr an einer viel näheren Front, der zu Russland, sterben könnten. Diejenigen jedoch, die sich heute für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden, wissen das jetzt.
Es müsste also nur noch das Grundgesetz geändert werden. Aber dass das keine unüberwindbare Hürde ist, haben wir ja gerade bei der Aufhebung der Schuldenbremse erlebt. Der Artikel 12a, in dem es heißt, Männer ab 19 können zum Wehrdienst einbezogen werden, müsste erweitert werden um die Frauen ab 19. Und statt Wehrpflicht müsste es heißen: Dienstpflicht. Also Dienst in der Bundeswehr oder in sozialen Bereichen.
Denn auch da werden Menschen dramatisch gebraucht. Der Pflegenotstand eskaliert. Noch immer fehlen Kräfte für ausreichend Krippen, Kindergärten und Altersheime. Auch täte es gerade in unserer zunehmend militarisierten Gesellschaft auch Männern gut, sich in Menschlichkeit und Fürsorglichkeit zu üben. Und geschlechterunabhängig wäre es in unserer individualisierten, aufs Ego und den Konsum fixierten Gesellschaft heilsam, wenn junge Menschen unabhängig vom Geschlecht vor dem Eintritt in ihr Erwachsenenleben lernen würden, über ihre eigenen Interessen hinaus in ihre Mitmenschen zu investieren.
Was also spricht eigentlich gegen ein verpflichtendes „Gemeinschaftsjahr“? Für Männer wie Frauen.
ALICE SCHWARZER