Prostitution: Aus für die Reform!

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Was für eine Groteske. Nach Jahren der Aufklärung, Debatten und Reformvorschläge versagt die Politik. Dabei hat in der Gesellschaft längst ein Umdenken begonnen in Sachen Prostitution. Seit zwei Jahren klagt die Branche über Umsatzrückgang. Es ist nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, wirklich cool, Prostitution „geil“ zu finden. Doch das scheint bei der Politik noch nicht angekommen zu sein – zumindest nicht beim Koalitionspartner SPD. Die hat gerade die von der CDU/CSU vorangetriebene Reform vollends ausgebremst: mit einem 120 Seiten umfassenden Gesetzentwurf, der auch noch die letzten Forderungen – wie kontinuierliche Anmeldepflicht und regelmäßige Gesundheitsberatung – kippt und stattdessen bürokratische Details „in Anlehnung an andere gewerberechtliche Materien“ regelt. Ein kaltes Machwerk, in dem für Menschen kein Platz ist.

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Zwei Jahre lang wurde gestritten - die wichtigsten Forderungen nach und nach gekippt

Bereits vor Inkrafttreten des geltenden Gesetzes von 2002 war heftig gestritten worden. Allein EMMA könnte einen Sonderband füllen mit den Argumenten gegen die rot-grüne Reform, die Deutschland, wie zu erwarten, zum Eldorado für Freier und Zuhälter und zur „europäischen Drehscheibe des Frauenhandels“ gemacht hat. 

Wechselnde Frauenministerinnen, von CDU bis SPD, gaben wechselnde „Gutachten“ in Auftrag. Die lagen dann in der Regel jahrelang in der Schublade – weil sich keine so richtig traute, dem Pro-Prostitutions-Gesetz an den Kragen zu gehen. Denn die Milliarden-Branche hat eine sehr starke Lobby – bis in die Reihen von Politikern und Politikerinnen hinein.

Selbst die Klagen von Polizei und Innenministern verhallten ungehört. Die machten auf die katastrophalen Zustände im Rotlicht-Gewerbe aufmerksam und wiesen auf die Verknüpfung von Prostitution & Menschenhandel mit der organisierten Kriminalität hin; und dass die Methoden immer brutaler und die Frauen immer jünger und immer abhängiger würden. Vergebens. 

Dann, im Herbst 2013, löste das spektakuläre Manifest von EMMA: „Prostitution abschaffen!“, das auch viele Prominente unterzeichneten, die überfällige breite gesellschaftliche Debatte und Kritik aus. Im August 2015 ergab eine vom Stern in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage, dass 78 Prozent aller Deutschen gegen Prostitution sind: 59 Prozent fordern Strafen nicht nur für Menschenhändler, sondern auch für Zuhälter; 19 Prozent ein Total-Verbot der Prostitution.

Nun trauten sich auch die schon lange mit dem Gesetz unzufriedenen Konservativen. Die Union legte einen fundierten Reformvorschlag vor, auf dessen Basis es endlich möglich gewesen wäre, die stumme Mehrheit der Frauen in der Prostitution zu schützen – und die Profiteure (Menschenhändler, Zuhälter, Bordellbetreiber) zu verfolgen.

Darüber wurde zwei lange Jahre in der Koalition gestritten. Der Reformvorschlag der Union passte der SPD nicht, die anno 2002 das fatale, korrekturbedürftige Gesetz zusammen mit den Grünen gemacht hatte. 

Für eine echte Reform sind drei Punkte wesentlich: Erstens die Anhebung des Schutzalters von 18 auf 21. Zweitens eine Anmeldepflicht, die die weitgehend unsichtbaren, aus Osteuropa importierten Frauen überhaupt erst sichtbar machen würde. Drittens die regelmäßige Gesundheitsuntersuchung, die nicht nur schützt, sondern den oft isolierten Frauen auch Gelegenheit zu Kontakten für Hilfe geben würde. Alle drei Forderungen waren von der Prostitutionslobby bekämpft worden.

Der vorliegende Reformvorschlag aus dem Frauen-
ministerium ist eine Nullnummer

Das Schutzalter 21 hatte die SPD schon im ersten Anlauf gekippt. Jetzt kippt sie auch eine verbindliche Anmeldepflicht und Gesundheitsuntersuchung. So sieht das jüngste 120-Seiten-Elaborat aus dem Hause Schwesig vor, dass die Frauen sich nur alle vier Jahre anmelden müssen, bei Verlängerung gerne per Email (der Zuhälter schreibt mit). Auch die Gesundheitsberatung ist quasi gekippt. Dabei hatte das Bundesinnenministerium schon in Bezug auf den ersten Kompromiss gewarnt: „Der Schutzcharakter des Gesetzes kann nur durch die vorgesehenen Anmelde- und Beratungspflichten gewährleistet werden.“

Die Union ist düpiert und ätzte via Pressemitteilung: „Menschenhändler, Zuhälter und Bordellbesitzer werden angesichts der neuen Vorschläge aus dem (Frauen)Ministerium in die Hände klatschen. Sie haben ja auch eine gut organisierte Lobby. Die betroffenen Zwangsprostituierten und anderweitig fremdbestimmte Frauen leider nicht. Gerade für diese Gruppe machen wir aber das Gesetz.“

Ein Gesetz für diese Gruppe wird es nun bis auf weiteres nicht geben. Denn der „Reformvorschlag“ aus dem Frauenministerium ist keiner. Da sollte der Gesetzgeber es lieber gleich lassen – und auf bessere Zeiten für eine echte Reform hoffen.

Aufgrund der fatalen Gesetzeslage sind der Polizei seit 2002 die Hände weitgehend gebunden, sie hatte resigniert. Ermutigt von dem gesellschaftlichen Stimmungswandel bekämpft sie inzwischen wieder offensiver Ausbeutung und Verbrechen in der Prostitutionsbranche. Die Justiz zieht mit. Nur die Politik versagt. Wie lange noch?

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