Prostitution: Empört euch!
Geht ein Mann durch, sagen wir: München. Er stellt sich an eine Bushaltestelle, so eine mit integrierter Leuchtreklame, neudeutsch: Citylight. Da strahlt ihn eine Bordellwerbung an. Ist ja heutzutage in deutschen Städten nichts Ungewöhnliches. Auf dem Schriftzug in roter Neonröhren-Ästhetik räkelt sich eine nackte Frau. Der Mann liest – und stutzt. Liest nochmal. Bitte was steht da? „Zu verkaufen: Körper Freiheit Würde“. Und ganz unten: „Bezahlsex zerstört Leben. Sag NEIN zu Prostitution“.
Den Mann gibt es nicht. Noch nicht. Aber das Plakat schon. Und zwar nicht nur in München, sondern in vielen, theoretisch sogar in allen deutschen Städten. Das Plakat ist Teil der Kampagne „RotlichtAus“. Das Konzept: Kommunen oder Initiativen, die ein Zeichen gegen die Verharmlosung des Handels mit der Ware Frau setzen und dabei besonders diejenigen ansprechen wollen, die mit ihrer „Nachfrage“ den Markt überhaupt erst schaffen – nämlich die Freier! – können die Motive anfordern. Sie können sie in ihrer Stadt plakatieren oder auch als Postkarten drucken lassen etc. Drei Motive gibt es insgesamt. Auf zwei weiteren Plakaten sagt die Frau dem Betrachter: „Dein Spaß ist mein Horror-Trip“. Oder: „Du kommst und ich verkomme“.
Prostitution hat etwas mit dem Machtgefälle zwischen Männern und Frauen zu tun
„Wir wollen, dass es wieder eine gesellschaftliche Debatte gibt!“ sagt Manuela Rukavina. Die Vorsitzende des Landesfrauenrates Baden-Württemberg ist verantwortlich für die Kampagne und gibt am 29. Juni den Startschuss. Der Landesfrauenrat ist, gemeinsam mit der Initiative „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution“, Träger der Aktion, die zudem von bisher 22 Initiativen unterstützt wird – von der Feministischen Partei über EMMA bis zur Diözese Rottenburg/Stuttgart. Denn: „Wir sind uns alle einig, dass Frauen keine Ware sind! Und dass Prostitution etwas mit dem Machtgefälle zwischen Männern und Frauen zu tun hat.“
Schon 2013 hatte der Dachverband, in dem 52 Frauenverbände mit insgesamt 2,5 Millionen Mitgliedern organisiert sind, eine Resolution für eine Reform des Prostitutionsgesetzes verabschiedet: „Einen Menschen zum Konsumartikel zu degradieren, ist mit der Würde des Menschen nicht vereinbar. Ein Freier tut genau dies.“ Der Landesfrauenrat forderte einstimmig ein Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild.
Wie wir wissen, kam es anders. Zunächst sah es nach der Bundestagswahl 2013 so aus, als ob es eine echte Chance auf eine wirklich wirksame Reform des Prostitutionsgesetzes gäbe. Zwar würde sich in Deutschland für das Schwedische Modell – inzwischen übernommen von Norwegen, Island, Irland und Frankreich –, das war rasch klar, keine Mehrheit finden. Eine Dekade Propaganda von der „selbstbestimmten Sexarbeiterin“, die ihre „sexuellen Dienstleistungen“ gern und vor allem „freiwillig“ erbringt, hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Aber die Union legte immerhin einen 12-Punkte-Plan vor, um dem menschenverachtenden und oft hochkriminellen Treiben Einhalt zu gebieten. Doch die SPD verhandelte fast alles wieder heraus, was der so genannten „Sexindustrie“ ernsthaft einen Knüppel zwischen die Beine hätte werfen können.
Mindestalter 21? Laut SPD ein „Eingriff in die Berufsfreiheit“. Krankenversicherungspflicht für Prostituierte? Nicht mit den Sozialdemokraten. Das (weltweit einmalige) Weisungsrecht für Bordellbetreiber? Bleibt. Werbung für Bordelle? Ist jetzt nicht mehr länger eine Ordnungswidrigkeit, sondern nur noch bei Gefährdung des „Jugendschutzes“ verboten. Und so weiter.
Die einzige substanzielle Änderung, die am 1. Juli 2017 mit dem neuen „Prostituiertenschutzgesetz“ in Kraft treten wird, ist die Anmeldepflicht für Prostituierte. Aber auch die wurde von der SPD – unter den Einflüsterungen der Pro-Prostitutions--Lobby – so stark verwässert, dass sie vermutlich kaum noch ihren Zweck erfüllen wird, nämlich: Die etwa 300.000 Frauen, die sich in Deutschland prostituieren (müssen), überhaupt einmal zu erfassen. Oft sind sie im Land, ohne dass eine Behörde oder gar die Polizei von ihrer Existenz überhaupt weiß. Bewusst werden sie von den Zuhältern von Bordell zu Bordell verschickt. Erstens, weil die Freier „Frischfleisch“ wollen; zweitens, um zu verhindern, dass die Frauen Kontakte knüpfen, die ihnen beim Ausstieg helfen könnten.
Deshalb wäre der einzig effiziente Weg gewesen, dass sich die Frauen in jeder neuen Stadt, in der sie tätig werden, anmelden müssen. Laut Gesetz aber genügt eine einmalige Anmeldung. Immerhin kann die Anmeldebescheinigung verweigert werden. Nämlich dann, wenn „Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Person von Dritten durch Ausnutzung einer Zwangslage, ihrer Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist oder ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Prostitution gebracht wird“.
Wer aber soll das wie feststellen? Idealerweise die Polizei. Sie kennt die einschlägigen Figuren im Rotlicht-Milieu, sie weiß, ob ein eventueller „Begleiter“ der Frau schon als Zuhälter oder „Loverboy“ aktenkundig ist oder gar auf einer Fahndungsliste steht. Sie weiß, welches Bordell sich von wem „beliefern“ lässt.
Aber: Anders als ursprünglich gefordert, soll die Behörde, die die Anmeldebescheinigungen erteilt, individuell von den Bundesländern festgelegt werden. Im Zweifel entscheidet dann eben das Ordnungsamt darüber, ob die 18-jährige Svetlana (ist der Pass überhaupt echt ...?), die kaum ein Wort Deutsch spricht und zur Anmeldung ihren „Cousin“ mitgebracht hat (Dritte sind bei dem Gespräch erlaubt), sich gern und freiwillig in Deutschland prostituieren möchte.
„Dass eine Frau zur Prostitution gezwungen wird, leuchtet ihr nicht auf der Stirn. Deshalb darf es nicht ins Ermessen von Frau Meier oder Herrn Müller vom Ordnungsamt gestellt sein, ob sie eine Anmeldebescheinigung bekommt. Da muss es klare Kriterien geben“, fordert Sabine Constabel, Vorsitzende von „Sisters“. Und diese Kriterien müssen in der „Landesdurchführungsverordnung“ festgelegt sein, die die Bundesländer der jeweiligen Behörde an die Hand geben sollen. „Sisters“ mahnt: „Eine ‚moderate‘ Umsetzung unter dem Vorwand der Verwaltungsvereinfachung, der Kostenersparnis und der ‚Bürgerfreundlichkeit’ spielt direkt in die Hände des kriminellen Milieus.“
Ob die Landesregierungen die kundigen Ratschläge beherzigen? Wir werden sehen. Der Gesetzgeber hat den zuständigen Landesministerien und den Kommunen ohnehin eine Karenzzeit bis Ende des Jahres eingeräumt.
Währenddessen regt sich in der Bevölkerung der Widerstand gegen den Blick auf die Prostitution als „business as usual“. Die Kampagne „RotlichtAus“ ist nur ein Beispiel dafür. „Wir brauchen diese Botschaft an die Gesellschaft, weil die Politik nicht ausreichend handelt“, sagt Sandra Norak von „Sisters“. Die 27-Jährige kennt den Horrortrip Prostitution aus eigener Erfahrung. Sie wünscht sich, dass jeder (potenzielle) Freier weiß, was es bedeutet, seinen Körper zu verkaufen. Und dass die Menschen die Gründe kennen, aus denen Frauen sowas tun.
Sandras Mutter war psychisch krank und sie selbst, überfordert und vernachlässigt, sehr empfänglich für die vermeintliche Zuwendung des Mannes, dem sie mit 18 begegnete und der bald darauf ihr Zuhälter werden sollte. Jahrelang schaffte sie für ihn an, gab das meiste Geld komplett ab, bis „ich psychisch total am Ende war“. Viel zu viel Alkohol, schließlich Panikattacken. Sandra schaffte den Ausstieg nach sechs Jahren.
Heute studiert sie Jura. Und sie ist wütend darüber, wie „Prostitution immerzu verherrlicht“ wird. Nicht nur über die Pro-Prostitutions-Lobbyistinnen, die „Prostitution falsch darstellen“. Sondern zum Beispiel auch über die Stadt Frankfurt mit ihrer „Frankfurter Bahnhofsviertelnacht“.
Einmal im Jahr lädt die Mainmetropole zum Sturm auf das Bahnhofsviertel und macht es zur Touristenattraktion. Nicht nur die coolen Cafés und Galerien, sondern auch die Bordelle, für die das Viertel traditionell bekannt ist und in denen rund 600 Frauen schuften. 2016 brachte die für das Stadtmarketing zuständige „Tourismus und Congress GmbH Frankfurt“ (TCF) eine Broschüre heraus, die den Bordellbetreibern die Arbeit abnahm und begeistert warb: „Strip der Superlative – bis zu 50 Mädchen“ hieß es da über „Frankfurts verruchte Meile“.
Nichts im Gesetz setzt die "Sex-
industrie" wirklich unter Druck
Eine „absolute Katastrophe“, sagt Sandra Norak von „Sisters“. Das finden viele Frankfurter BürgerInnen auch. Schon im letzten Jahr protestierten sie entschieden gegen die städtische Bordellwerbung: vom CDU-Fraktionsvorsitzenden bis zur grünen Frauendezernentin, die erklärte, es gebe in Frankfurt „große Probleme mit Armutsprostitution und Menschenhandel“, deshalb dürfe „kein einseitiges romantisiertes Profil der Prostitution erstellt werden“. Resultat: Die Broschüre soll überarbeitet werden.
Am 1. Mai schrieb die christliche Initiative „SaveRahab“ einen Offenen Brief an den Magistrat der Stadt sowie an Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD). „Die unterzeichnenden Organisationen und Personen bitten Sie inständig, die Bahnhofsviertelnacht in dieser Form nicht noch einmal stattfinden zu lassen und einen deutlichen Abstand von einer dermaßen positiven Darstellung der Prostitution in Frankfurt zu nehmen und vielmehr über solche menschenunwürdigen Zustände und Biographien aufzuklären.“ Unterschrieben haben den Appell etliche Initiativen: von „Stop Sexkauf“ bis zu den „Traumatherapeuten gegen Prostitution“. Eine Antwort der Stadt steht bisher aus.
Andernorts haben aktive BürgerInnen die LokalpolitikerInnen mit ihren Protesten schon ins Boot geholt. Zum Beispiel in Garbsen. Als in der niedersächsischen Kleinstadt der Praktiker-Baumarkt schloss, dauerte es nicht lange, bis eine „Betreibergesellschaft“ eine Bauvoranfrage für ein Bordell stellte. Der Ex-Baumarkt liegt günstig für „Investoren“, nämlich gleich an der A1-Ausfahrt. Das bedeutet: Jeder, der über die Autobahn nach Garbsen oder weiterfährt, kommt unweigerlich am Bordell vorbei. Die Stadtverwaltung beschied die Anfrage positiv. Es blieb ihr nichts Anderes übrig, denn es handelt sich um ein Gewerbegebiet, und in Gewerbegebieten ist Prostitution im Sexindustrie-Paradies Deutschland grundsätzlich erlaubt.
Die Lokalpresse berichtete und zitierte einen grünen Stadtrat mit den Worten, der Standort sei zwar ungünstig, denn so werde das Großbordell zu einer Art Aushängeschild für Garbsen. Aber „grundsätzlich habe er nichts gegen das Bordell“. Und auch die SPD erklärte beflissen, „moralische Gründe“ dürften hier keine Rolle spielen.
Als Birgit Oelze das in der Leine-Zeitung las, „hat mich die Wut gepackt!“ Die pensionierte Lehrerin und Familientherapeutin schrieb einen gepfefferten Leserinnenbrief: „Aber ICH habe ein großes moralisches Problem mit einem Bordell“, schrieb Bürgerin Oelze. „Seit Jahrzehnten ist durch vielfältige empirische Untersuchungen bekannt, dass das angeblich älteste Gewerbe der Welt eben kein ‚Job wie jeder andere‘ ist, sondern eine menschenverachtende, erniedrigende und krankmachende Ausbeutung von Frauen durch Männer.“ Und sie fragte: „Wo sind Garbsens starke Frauen, die es früher gab? Die gegen Prostitution in ihrer Stadt öffentlich protestieren und aus Solidarität MIT den Prostituierten auf die Straße gehen? Ich würde wieder mitmachen!“
Diesen Brief las Erika Böker. Auch die SPD-Stadträtin hatte sich über den Beschluss der Stadtverwaltung und die lapidaren Kommentare der Lokalpolitiker „schwarz geärgert“. Sie entschied: „Da müssen wir was machen!“ Genauer gesagt: „Wir müssen alles unternehmen, um dieses frauenverachtende Projekt zu verhindern!“ Die Lokalpolitikerin trommelte sie zusammen, die starken Frauen Garbsens. Die kamen, und zwar aus allen Parteien.
Zweimal organisierte Böker eine Protestkundgebung, eine vor dem Praktiker-Baumarkt und eine vor dem Garbsener Rathaus. Und sie sammelten Unterschriften gegen das Großbordell. „Arztpraxen, Friseure, Vereine – alle haben unsere Listen ausgelegt“, erzählt sie stolz. 4.000 Unterschriften kamen so zusammen.
Es liegt an der Umsetzung der Bundesländer, welche Wirkung das Gesetz entfaltet
Schließlich kippte die Stimmung im Stadtrat. Ende März verabschiedeten die LokalpolitikerInnen einstimmig eine Resolution gegen das Bordell: „Der Rat der Stadt Garbsen lehnt auf das Entschiedenste das geplante Großbordell ab“, hieß es nun. „Auch wenn die Bauvoranfrage von der Verwaltung positiv beschieden wurde und noch kein Bauantrag vorliegt, sollen diese Resolution und die Proteste der Garbsener Bevölkerung dem Investor beizeiten deutlich machen, dass ein Großbordell in Garbsen nicht erwünscht ist.“
Einen solchen BürgerInnen-Protest wie in Garbsen würde sich Justyna Koeke eigentlich in jeder deutschen Stadt wünschen. Denn: „Prostitution macht die Frauen einfach kaputt!“ Dass es dennoch so viele Menschen „für eine Naturkonstante halten, dass Männer Frauenkörper kaufen“, findet die Ludwigsburger Bildhauerin und Performance-Künstlerin „schockierend“. Deshalb hat die Dozentin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart rund 20 KollegInnen und StudentInnen ins Boot geholt, um aufzuklären – und ganz konkret zu helfen.
Sie haben sich als „Kulturschaffende für Prostitutions-Aussteigerinnen“ zusammengetan und eine Spenden-Aktion gestartet: „Unser Ziel ist es, mindestens vier Frauen beim Ausstieg finanziell zu unterstützen und ihnen eine Chance auf eine bessere Zukunft zu geben.“ Dazu kooperieren die KünstlerInnen mit der Caritas, die Wohnungen für Aussteigerinnen betreibt.
Justyna recherchierte, sprach mit (Ex)-Prostituierten und machte daraus eine Performance. Weil Frauen in der Prostitution „entmenschlicht“ werden und sich selbst oft „aus ihrem Körper ausklinken“, brachte die Künstlerin gesichtslose Körperteile auf die Bühne: wogende Hinterteile, ein Torso im Korsett, eine Matratze in Frauenform. Am 12. Mai kamen rund 250 Menschen zur Performance ins Stuttgarter Stadttheater und Sabine Constabel von Sisters e.V., der seinen Sitz in Stuttgart hat und dort mächtig Aufklärungsarbeit geleistet hat, steuerte auf der Bühne eine Rede bei.
Der Abend war „ein voller Erfolg“. Justyna Koeke will weitermachen – und die Performance auch in anderen Städten zeigen. Denn: „Ich bin überzeugt, dass es keine Gleichberechtigung geben wird, solange Prostitution in einer Gesellschaft so selbstverständlich existiert.“
Das hat die Bundesagentur für Arbeit offenbar noch nicht ganz verstanden. Jüngst hat das Jobcenter Oberpfalz-Ludwigshafen einer 24-jährigen Hartz IV-Empfängerin einen Job als „Servicekraft in einem Bordell“ angeboten. Sollte sie ihn nicht annehmen, drohe ihr die Kürzung des Arbeitslosengeldes. Die Bundesagentur bestätigte auf Nachfrage diesen Bescheid. Er ergebe sich „aus dem gesetzlichen Auftrag, Arbeit und Mensch zusammenzubringen“, hieß es in der Pressestelle in Nürnberg. Wenn ein Arbeitgeber Steuern entrichte und einen Job anbiete, für den Arbeitslosenversicherung gezahlt werde, dann könne er eben „auf Vermittlung bestehen“.
Die erste Stadt, in der die „RotlichtAus“-Plakate hängen werden, wird vermutlich Marburg sein. An insgesamt 13 Stellen, auch auf der riesigen Pixelwand an der Stadthalle soll die Botschaft leuchten: „Sag NEIN zu Prostitution!“
Für Initiatorin Inge Hauschildt-Schön ist klar: Auch das neue Prostitutionsgesetz „manifestiert die katastrophalen Verhältnisse in Sachen Prostitution“. Deshalb, sagt die Sprecherin der „Bürgerinitiative gegen Bordell“ in Marburg, „ist es an der Zivilgesellschaft, ein deutliches Zeichen zu setzen“.
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Prostitution – ein deutscher Skandal, Hrsg. Alice Schwarzer (KiWi, 9.99 €)