Prostitution: Liebe Grüne, schaut hin!
Liebe Grüne,
wer immer das jetzt liest - mir ist klar, dass es kaum einen Sinn hat, mit den Grünen zum Thema Prostitution weiter zu diskutieren.
Also will ich etwas anderes loswerden. Vielen von euch ist, glaube ich, überhaupt nicht klar, in welchem Ausmaß Eure Haltung zur Prostitution von vielen, die bei Euch Mitglieder sind oder die Euch, so wie ich, praktisch jahrzehntelang gewählt haben, als unglaublicher Verrat empfunden wird. Ich kann kaum noch in den Spiegel schauen. Dafür, dass ich eure unglaubliche Oberflächlichkeit, eure Privilegienputzerei, eure Machtanbiederung, eure Selbstgefälligkeit und Überheblichkeit so lange nicht gesehen habe, solange nicht sehen wollte und vermutlich auch geteilt habe.
Wie konnte ich Euch so lange wählen?
Als Frau zwischen 40 und 50, ledig, verbeamtet, mit überdurchschnittlichem Bildungsabschluss dürfte ich der wesentlichen Grünen-Wählergruppe angehören - und aus dieser Position heraus ist es leicht, eure Arroganz zu teilen. Es ist trotzdem möglich, mal wieder nachzudenken. Und sich von der Politik auch grundlegend andere Ansätze zu wünschen, als einen mit etwas Nachhaltigkeit ausgestatteten Status Quo, der in der von Euch propagierten "Bio"-Prostitution seinen klarsten Ausdruck findet.
In Euren Texten und in Eurem Beschluss wird offenbar immer noch davon ausgegangen, dass wir alle nicht verstanden haben, was Ihr wollt - bitte lasst diesen Gedanken endlich fallen. Wir verstehen es, wir denken nur nicht, dass es klappt. Es kann nicht klappen, schon vom Ansatz her nicht.
Die aus dem „Positionspapier“ herauszulesende Überzeugung, alle ProstitutionskritikerInnen seien erzkonservativ, nur mit dem Gehsteig vor ihrem Haus beschäftigt, "moralisch" (wobei der Moralbegriff wirklich einmal zu klären wäre) und hätten nicht den Blick aufs Ganze - das ist sachlich und politisch falsch. Für uns stellt sich nach der Analyse des Positionspapiers die Frage, ob hier wirklich ein paar Grüne ProstitutionskritikerInnen ernst genommen wurden, oder ob die mangelnde Konsistenz eher Auseinandersetzungen über die richtige Strategie, eher taktischen Differenzen geschuldet ist. Ob die wenigen Sätze, die auf ein Problembewusstsein hinweisen, nicht eher der Tatsache geschuldet sind, dass sich diejenigen eben weniger durchsetzen konnten, die immer noch glauben, alle Gewalt und Ausbeutung bei der Prostitution ließe sich durch eine "entstigmatisierende", bejubelnde Beschreibung der "Sexarbeit" beseitigen, weil die geänderte Wahrnehmung das Problem an sich ändern würde.
Diese Dunkelfeldgeschichten zu Schweden (Gemeint ist die Behauptung, das schwedische Sexkaufverbot „verlagere“ die Prostitution lediglich und führe zu einem schlechteren Schutz der Prostituierten, Anm. d. Red.) übergehe ich jetzt. Aber was ich nicht übergehe, ist das Zitieren einer praktisch von der holländischen Regierung ins Leben gerufenen und anfangs weitgehend von ihr finanzierten Pro-Prostitutions-Lobby-Gruppe, die nie als neutrale Institution intendiert war. Was ich auch nicht übergehe, ist eure Weigerung, zu Schweden irgendetwas anderes als Susanne Dodillet, Petra Östergren und die von diesen beiden in Umlauf gebrachten Studien zu rezipieren und jede andere Studie zu verschweigen. Das Totschweigen der positiven Ergebnisse aus Norwegen zur Effizienz des Sexkaufverbots übergehe ich auch nicht.
Und der dahingeworfene Satz zur Bordellwerbung. ("Bereits jetzt kann Werbung mit sexuellen Inhalten, die ‚grob anstößig wirkt‘, als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.") Letztlich wirkt so etwas im Kontext des Papiers lachhaft. Wer zeigt hier Doppelmoral? Die Sache ist okay, aber bitte, unsere Kiiiiinder sollen das doch nicht in aller Härte sehen. In der Tat, sie sollen es weder sehen noch erleben. Brutale Werbung trägt zur Normalisierung der Gewalt bei.
Und jetzt bitte einen Schritt weiter: Prostitution in Deutschland, die staatlich geförderte und geschützte Infrastruktur zur sexuellen Benutzung von vor allem Frauen durch fast ausschließlich Männer trägt zur Normalisierung wovon bei? Der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen? Der Entwicklung von weniger klischeehaften Sexualitätsvorstellungen?
Wie konnte ich eine Truppe wie Euch so lange wählen!
Flatrate wird zwar angesprochen ("menschenunwürdige Geschäftsmodelle oder Dienstleistungen") und als "sittenwidrig" bezeichnet, aber vorsichtshalber nicht im gleichen Satz. Ob Flatrates also wirklich unter diese Definition fallen, bleibt offen.
Wer zeigt hier Doppelmoral?
Ihr solltet langsam endlich hinschauen. Was ihr jahrelang geglaubt habt (und ich gehe davon aus, dass ihr helfen wolltet), entsprang letztlich den Marketing-Strategien einer milliardenschweren, gut vorbereiteten Lobby. Jetzt langsam zeigen sich Brüche in der Vermarktung. Die Brüche liegen nicht an mangelnden Formulierungen oder problematischen von euch gerne kleingeredeten "Details". Die Brüche liegen in den Grundstrukturen der Prostitution und der Verachtung und Diskriminierung der Frauen selber.
Auch dieser Brief wird nichts nützen. Ziel meines Briefes ist: Den Grünen ProstitutionskritikerInnen zu zeigen, wie viele Menschen sich wünschen, mehr und sehr laut von ihnen zu hören. Den anderen zu sagen, dass die Vermarktungsstrategien und mehr oder weniger subtilen Diffamierungen von Prostitutionskritik immer weniger funktionieren. Wenn sie wirklich denken, ihre GegnerInnen sind nur verklemmte, erzkonservative, ungebildete NIMBYs (Not In My Backyard, Anm. d. Red) - naja. Politisch nützt eine so kolossale Fehleinschätzung der Lage nur den Claqueuren und Claqueurinnen sexueller Gewalt und denen, die wirklich in diese Definition passen.
Obwohl ich euch ja glatt zugestehen muss, dass ihr es diesmal ohne Feministinnen-Bashing und sogar ohne EMMA-Bashing geschafft habt. Trotzdem. Denkt endlich mal nach!
Mit Grüßen
Inge Kleine
Alternative Positionen zu Prostitution, der deutschen und internationalen Debatte dazu, Stimmen aus der Wissenschaft, Politik und von Aussteigerinnen hier:
EMMA-Appell gegen Prostitution
www.karlsruherappell.com
www.abolition2014.blogspot.de
diestoerenfriedas.de
www.banishea.wordpress.com
spaceinternational.ie
Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt
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