„Prostitution & Menschenhandel sind untrennbar“

Manfred Paulus, hier in Tirana/Albanien.
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Die SPD betont, man müsse zwischen Prostitution und Menschenhandel unterscheiden.
Wir haben in der Prostitution in Deutschland heute bis zu 100 Prozent Frauen aus dem Ausland. Es sollte klar sein, dass eine Weißrussin aus dem Tschernobyl-Gebiet oder eine Roma aus dem Ghetto in Rumänien sich niemals ­allein aufmachen kann, um sich in Deutschland zu prostituieren. Die haben kein Geld, keine Bezugspersonen, keine Anlaufstelle. Die Frauen werden ins Land geschleust, und da haben sich inzwischen hochkriminelle Strukturen gebildet. Die Organisierte Kriminalität hat das Gewerbe im Griff. Die geforderte Trennung lässt Schlimmstes befürchten.

Aber wie erklären Sie sich so unrealis­tische Einschätzungen?
Da sind offensichtlich Leute am Werk, die das Milieu nicht oder zu wenig kennen und sich diesen Mythos von der sauberen Prostitution von den Lobbyisten und Lobbyistinnen einflüstern lassen, bewusst oder ­unbewusst. Das scheint mir bereits 2001 der Fall gewesen zu sein, als SPD und Grüne das heutige Prostitutionsgesetz gemacht haben. Damals hat man zum Beispiel ein „Weisungsrecht“ für Bordellbetreiber in das Gesetz geschrieben. Wir sind wahrscheinlich das einzige Land der Welt, das Bordellbetreibern gegenüber Frauen ausdrücklich so ein Recht einräumt.

Die SPD hat kürzlich eine Experten-­Anhörung veranstaltet, zu der auch der „Bundesverband der Unternehmer im Erotikgewerbe“ geladen war. Mit am Tisch saß auch der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“. Der vertritt nicht einmal ein Prozent der ­Prostituierten, aber erklärt stets, die große Mehrheit der Prostituierten arbeite „freiwillig“ und Zwangsprostitution sei eine „Randerscheinung“.
Ich bin, zusammen mit vielen Kollegen, der Meinung: 98 Prozent der Frauen, die sich in Deutschland prostituieren, tun das fremdbestimmt. Freiwillige Prostituierte begegnen mir nur an einem Ort: in Talkshows. Dort habe ich nach 30 Jahren im Milieu zum ersten Mal Frauen erlebt, die seit ihrer Jugend nichts anderes im Sinn hatten, als aus Überzeugung Männer auf diese Weise glücklich zu machen und die noch nie einen Zuhälter gesehen haben. Aber „Freiwilligkeit“ ist eben ein wahres Zauberwort. Wenn die Prostitution freiwillig stattfindet, dann hat der Bordell­betreiber, der Barbesitzer, der Freier kein Problem mehr. Und dann hat die Polizei, die Justiz, die Politik keine Handhabe mehr. Deshalb haben viele Menschen dieses Wort sehr gern. Die Wahrheit ist aber eine ganz andere. Von Freiwilligkeit zu sprechen, halte ich für zynisch.

Was müsste dann in einem neuen Prostitutionsgesetz stehen?
Sehr wichtig ist, dass das Weisungsrecht fällt und Prostitution nur als selbstständige Tätigkeit erlaubt ist. Zentral ist auch, dass Prostitution erst ab 21 ausgeübt werden darf, weil die meisten Opfer unter 21 Jahre alt sind. Eine An- und Abmeldepflicht der Prostitution ist wichtig und auch die ­Wiedereinführung der Gesundheitsuntersuchung. Die Polizei muss wieder in die Bordelle reinkommen. Im Grunde müssen aber alle Punkte, die die CDU/CSU vor­gelegt hat, ins Gesetz. Es reicht auf keinen Fall, es bei einer Erlaubnispflicht für Bordelle und ein paar kleinen Regelungen zu belassen. Das wäre sogar kontraproduktiv.

Weil der Bordellbetreiber dann eine Art staatliche Zertifizierung hätte?
So ist es. Wir haben heute Vorzeige-­Bordelle mit Marmor und Edelstahl. Das schließt nicht aus, dass sich dahinter ­Zuhälter und hinter denen irgendeine „GmbH & Co. KG“ verbergen. Und wenn wir hinter diese Briefkastenfirma schauen, dann entdecken wir möglicherweise albanische Clans, die so genannte Russenmafia oder die Hells Angels. Und dann sind wir bei der Organisierten Kriminalität, die alles steuert. Um diese Strukturen aufzubrechen, genügt es nicht zu sagen: Der Bordellbetreiber – der nur Strohmann sein könnte – muss sich anmelden, dann ist es erledigt. Es darf nicht passieren, dass bei der Reform Stückwerk herauskommt, das wieder nur den Profiteuren der Prostitution nützt.

Sie schreiben in Ihrem Buch, im Ausland schüttele man über die deutsche Gesetz­gebung den Kopf.
Ich hatte kürzlich mit dem leitenden Staatsanwalt in Palermo zu tun, der die Mafia in Italien bekämpft. Der war fassungslos und hat gefragt: „Merkt ihr eigentlich nicht, was bei euch passiert? Seid ihr immer noch nicht bereit, andere Gesetze zu schaffen?“ In Rumänien und Bulgarien höre ich das Gleiche. Ich denke, dass der Druck aus den Herkunftsländern der Frauen auf die deutsche Politik größer werden wird. In all diesen Ländern weiß man sehr genau, was hierzulande mit den Frauen passiert. Und man verachtet zutiefst, dass wir dem so gut wie nichts Wirksames entgegensetzen. Was wir hier als Freiheit bezeichnen, ist totale Unfreiheit für zahllose Frauen, das ist Sexsklaverei.

Das Bundeskriminalamt verzeichnet in seinem „Lagebild Menschenhandel“ jährlich rund 700 Fälle. Das wird als Beleg dafür angeführt, dass das Problem in Deutschland nicht allzu groß sei.
Das ist für mich kein wirkliches „Lagebild“, sondern eher die Dokumentation politischen Versagens! Wir haben Hunderttausende Frauen im Land, die einem in Teilen hochkriminellen Milieu ausgesetzt sind. Dass dem BKA jährlich nur 500 oder 700 Fälle von Menschenhandel gemeldet werden, zeigt, dass wir ein gigantisches Dunkelfeld haben. Zum einen ist der Straftatbestand Menschenhandel sehr kompliziert formuliert und die Hürden, ihn nachzuweisen, sind hoch. Das zweite Drama sind die Prozesse: Das Rotlichtmilieu hat es wie kein anderes verstanden, die Rechtsstaatlichkeit vor Gericht auszuhebeln. Da stellen Milieu-Anwälte zum Beispiel Beweisanträge, die nach Weißrussland, in die Ukraine oder nach Absurdistan zielen. So werden die Gerichte irgendwann zum Deal gezwungen – zugunsten der Täter und zum Leidwesen der Opfer und Ermittler. Und am Ende knallen im Gerichtssaal die Schampus-Korken. Darüber, dass die wenigen Frauen, die es gewagt haben auszusagen, im Laufe eines solchen Prozesses ihre Aussagen zurückziehen, muss man sich nicht wundern.

Deutschland hat bisher die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels von 2011 nicht umgesetzt. 
Das zeigt, dass dieser (Organisierten) Kriminalität hierzulande anhaltend viel zu wenig Bedeutung zugemessen wird. Ist das alles überhaupt noch zurückzu­holen?
Wir werden das nicht von heute auf morgen ändern, denn die Organisierte Kriminalität sitzt im Rotlichtmilieu sehr fest im Sattel. Aber wir können kurzfristig zumindest einen weiteren Zulauf verhindern, indem wir unser Prostitutionsgesetz nicht mehr so täterfreundlich gestalten. Denn wir haben mit dem Gesetz von 2002 den Tätern den Boden bereitet. Wir haben sie mit den Freiheiten, die sie hierzulande haben, geradezu angelockt. Es hat sich überall rumgesprochen, wie leicht man in Deutschland das Geschäft mit der Ware Frau betreiben kann. Und wenn wir diese Freiheiten für die Täter jetzt um 180 Grad zurückdrehen, dann wird sich auch das wieder herumsprechen.

Was muss also aus Ihrer Sicht jetzt passieren?
Die Große Koalition darf nicht vor ein paar Lobbyisten einknicken! Mit dem neuen Prostitutions-Gesetz müssen wir lange leben. Und wenn jetzt wieder Kompromisse gemacht werden, werden sich die Schleuser von Odessa bis Bukarest kaputtlachen.

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Manfred Paulus: "Menschenhandel- Tatort: Deutschland" (Klemm Verlag, 14.90 €)

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Alice Schwarzer schreibt

Liebe Frauen pro freiwillige ­Prostitution!

© Gabo
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Sollte die Reform des fatalen Prostitutionsgesetzes von 2002 jetzt scheitern, dann liegt das an euch: den linken Frauen. Ihr, die engagierten Frauen in der SPD und bei den Grünen oder Linken; ihr, die aufrechten Protestantinnen; ihr, die coolen Szene-Bloggerinnen seid führend bei der Befürwortung der Prostitution (Die Männer halten sich auffallend zurück). Und ihr meint das vielleicht sogar auch noch gut. Denn ihr haltet eine Ächtung der Prostitution letztendlich für die Ächtung einer freien Sexualität.

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Ihr scheint fasziniert von dem, was ihr in Brigitte oder Zeit oder taz über „glückliche Sexarbeiterinnen“ schreibt bzw. lest. Vor den hunderttausenden, meist osteuropäischen, Elendsprostituierten verschließt ihr die Augen. Stattdessen idealisiert ihr die paar tausend, meist deutschen, so genannten „freiwilligen“ Prostituierten, die es hierzulande noch gibt. Das sind Gelegenheitsprostituierte, das sind selbstständige Dominas oder Ex-Prostituierte, die längst ein eigenes „Studio“ betreiben, wo sie andere Frauen für sich ­anschaffen lassen.

Eure Haltung pro Prostitution ist ein echtes deutsches Phänomen

Ist euch eigentlich klar, dass eure Pro-Prostitutions-Haltung einmalig ist auf der Welt, ein echtes deutsches Phänomen? In Ländern wie Frankreich, Schweden oder Amerika würdet gerade ihr vermutlich ganz anders denken. Denn da bezeichnet man die Prostitution als „White Slavery“, und sind fortschrittliche Frauen zwar selbstverständlich solidarisch mit Prostituierten, kritisieren bzw. bekämpfen jedoch das System Prostitution.

Dieses System, das aus Frauen das käufliche Geschlecht macht – und das ausgerechnet in einer Zeit, in der der „kommunikative Sex“, also eine wirklich gleichberechtigte und gegenseitige Sexualität zwischen den Geschlechtern, zunimmt (wie auch die SexualforscherInnen konstatieren). Eure Verharmlosung und Bejahung des kommerzialisierten Sex aber dreht diese positive Entwicklung ­zurück.

Wie konnte es zu so einem Missverständnis kommen? Was könnte der Grund dafür sein, dass ihr vor den Motiven der Freier die Augen verschließt und gleichzeitig so hartnäckig die Lebensrealität der Frauen in der Prostitution leugnet? Dabei müsstet ihr doch nur hinsehen.

Wir Älteren erinnern uns. Es hat angefangen, ja, im Namen des Feminismus. Das war Ende der 70er Jahre. Da erschienen die ersten Texte darüber, wie schick es sei, sich zu prostituieren: in der feministischen Courage, im anarcho-linken Pflasterstrand, in der taz. Meist waren es Studentinnen, die als Gelegenheitsprostituierte jobbten. Sie wussten zu berichten, wie „geil“ es sei, mal eine schnelle Nummer für gutes Geld zu machen. Oder wie leicht es sei, in der Peepshow ein paar Mark für die WG-Kasse dazu zu verdienen.

Das waren die Töchter der „sexuellen ­Revolution“. Doch da hatten Feministinnen – wie Kate Millett in „Sexus und Herrschaft“ (1971) und „Das verkaufte Geschlecht“ (1975) oder Shulamith Firestone mit „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ (1974) sowie ich im „Kleinen Unterschied“ (1975) – schon längst analysiert: Diese Art von „sexueller Revolution“ war nur die andere Seite der Medaille des bürgerlichen Miefs. Wir Frauen, die wir bisher nur einem Mann zu gehören hatten, sollten nun allen Männern gehören.

Prostitution ist eine Pervertierung der sexuellen Befreiung

Eine der Folgen der neuen Libertinage war, dass sich so manche „sexuell Befreite“ sagte: Warum dann nicht auch gleich dafür kassieren? Das waren Frauen, die im Zuge der Gleichberechtigung die traditionell männliche Trennung von Gefühl und Sex übernommen hatten – oder aber aus den hinlänglich bekannten Gründen noch nie Gefühle beim Sex gehabt hatten. In der Tat, warum dann also nicht gleich kassieren?

Wenige Stimmen, darunter EMMA, stellten sich von Anbeginn an gegen diese Pervertierung der sexuellen Befreiung. Dabei gingen und gehen wir Feministinnen selbstverständlich nicht von einer ­natürlichen „weiblichen“ bzw. „männlichen“ Sexualität aus. Sexualität ist Kultur, ist ­erlernt. Und der Anspruch, dass Sexualität & Liebe Hand in Hand gehen, ist übrigens relativ neu. Im Patriarchat war Sexualität für Männer nichts als eine Art „Branding“ der Frauen, eine Machtausübung über Frauen; dabei unterschieden die Männer zwischen „Heiligen“, die ihnen allein gehörten, und „Huren“, die allen gehörten.

Was sind eure wahren Motive?

Das hat sich nicht zuletzt dank der Frauenbewegung geändert. Die meisten Frauen haben heute eine weitgehend selbstbestimmte Sexualität und ein eigenes Begehren. Sollen also ausgerechnet wir fortschrittlichen Frauen jetzt zur Wiederherstellung der alten Ordnung beitragen, indem wir das System Prostitution akzeptieren? Im Namen der Emanzipation? Und des Profits! Denn die Profitraten in Prostitution und Menschenhandel, beide untrennbar miteinander verknüpft, liegen heute bei locker ­tausend Prozent. Der global organisierte Handel mit Frauen bringt mindestens ­soviel wie der mit Drogen und Waffen.

Werden die Menschen sich in zwanzig, dreißig Jahren zurückwenden und sagen: Wie konnte das passieren? Wie konnten wir das zulassen! Vielleicht. Aber das tröstet mich nicht. Wir müssen jetzt handeln! Jeder Tag kostet zerschundene Körper und tote Seelen. Darum müssen wir im Gespräch bleiben. Und darum interessieren mich eure Motive.

  • Glaubt ihr, dass es Männern gefällt, wenn ihr pro Prostitution seid? – Oder verachten nicht gerade Männer das, weil sie viel besser wissen, was Prostitution wirklich ist?
     
  • Glaubt ihr, Prostitution sei sexy, weil ihr selber manchmal „schmutzige“ Fantasien habt, in denen ihr euch „verkauft“? – Dann solltet ihr den Unterschied zwischen Fantasie und Realität bedenken.
     
  • Glaubt ihr, Prostitution sei identisch mit Sexualität? – Dann solltet ihr mal Prostituierte und Freier nach ihren wahren Motiven und wahren Gefühlen fragen (nicht die, die sie ihren Kunden vorspielen). Frauen, die sich prostituieren, geht es ums Geld, meist haben sie keine andere Wahl. Freiern geht es um Machtausübung: Einmal nicht diskutieren bzw. nach ihrem Begehren fragen, sondern einfach fordern.
     
  • Glaubt ihr, es gäbe Prostituierte, denen das Spaß macht? – Dann solltet ihr mal die wunden Vaginas und zerrissenen Münder der Prostituierten sehen, die zehn, zwanzig Freier am Tag für 20, 30 Euro pro Nummer akzeptieren müssen. Fürs schiere Überleben.
     
  • Glaubt ihr, dass wir uns nicht einzumischen haben in die Verhältnisse, unter denen die Mehrheit der Prostituierten in Deutschland arbeitet? – Aber warum protestiert ihr dann gegen die Arbeitsbedingungen von ArbeiterInnen bei Amazon? Die bekommen immerhin einen Lohn über dem Mindestlohn und leben in Containern. Die meisten Elendsprostituierten träumen (nach Abzug der Zimmermiete) von einem solchen Stundenlohn. Und sie müssen in der Regel in den Betten schlafen, in denen sie die Freier bedienen.
     
  • ​Glaubt ihr, es sei altmodisch zu sagen: Der Körper ist keine Ware? Und denkt ihr, dass man im Kapitalismus alles verkaufen sollte, was kommerzialisierbar ist? – Dann müsstet ihr zum Beispiel auch für die Legalisierung des Organhandels sein oder der Leihmutterschaft.
     
  • Glaubt ihr, man könnte, ja sollte Sexualität und Gefühl trennen? – Oder kennt ihr in Wahrheit selber die Leere, die diese Trennung zurück lässt?
     
  • Glaubt ihr, „diese Frauen“ seien eben anders als ihr? – Oder seid ihr einfach zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort geboren?
     
  • ​Glaubt ihr …

Doch was immer ihr glaubt, liebe ­Frauen: Denkt es zu Ende. Was wäre, wenn ihr selber in dieser Lage wärt? In der Lage dieser so fernen Prostituierten, gegenüber auf dem Straßenstrich oder nebenan im „Modelstudio“ bzw. im Bordell.

Und was immer ihr glaubt, bedenkt, wie allein schon die Möglichkeit, zu einer Prostituierten zu gehen, das Begehren und den Blick eines Mannes und eurer Söhne prägen kann. Ein Blick, der sich auch auf euch und eure Töchter richtet.

Und vor allem: Habt Mitgefühl! Habt Mitgefühl mit den Hunderttausenden von Frauen, die das materielle oder seelische Elend in die Prostitution treibt. Wendet euch nicht ab von diesen Frauen. Tragt bei zu ihrem Schutz – und zu ihrer realen Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Ein Leben, wie wir, ihr und ich, es so selbstverständlich führen.

ALICE SCHWARZER

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