1. Die Prostituierten machen das doch freiwillig!
Falsch. 95 Prozent der Frauen arbeiten unter Zwang und mit einem Mann im Hintergrund, der abkassiert. Das schätzt auch die Polizei. Und: Es muss nicht immer der Frauenhändler und Zuhälter sein, der prügelt und vergewaltigt. Oft werden Frauen aus den Slums in Osteuropa von ihren eigenen Familien in die Prostitution geschickt. Oder die deutsche junge Frau vom eigenen „Freund“. Oder die junge Prostituierte von der "Althure", die in ihrem Studio inzwischen selber anschaffen lässt.
2. Wenn man Freier bestraft, rutscht die Prostitution doch nur in die Illegalität, wo man Zuhälterei und Menschenhandel nicht mehr Verfolgen kann. Und alles wird noch schlimmer.
Noch schlimmer geht eigentlich nicht. Schon jetzt findet Prostitution in Deutschland überwiegend unter kriminellen und inhumanen Bedingungen statt: Frauenhandel, Ausbeutung, Gewalt, Mietwucher etc. Aufgrund der liberalen Gesetzeslage kann die Polizei all das aber kaum strafrechtlich verfolgen. Gleichzeitig hat laut einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie Deutschland den größten Prostitutionsmarkt Europas. Er ist 60 Mal größer als der in Schweden, wo der Sexkauf seit 1999 verboten und 93 Prozent aller Frauen plus 75 Prozent aller Männer heute gegen Prostitution sind. Schweden ist für Frauenhändler ein unattraktives Zielland geworden. Die schwedische Polizei verfolgt die Profiteure des Geschäfts unter anderem, indem sie das Internet nach Anzeigen durchforstet und ihnen nachgeht. Verfahren gegen Zuhälter und Frauenhändler sind erheblich einfacher zu führen, weil der Sexkauf als solcher ein Straftatbestand ist. Und den Frauen werden Ausstiegshilfen geboten.
3. Seit der Prostitutionsreform 2002 gibt es weniger Frauenhandel in Deutschland.
Falsch. Es gibt nur weniger Verfahren. Und warum? Weil die Reform die Möglichkeit zur Verfolgung von Frauenhändlern, Zuhältern und Bordellbetreibern massiv erschwert hat. Weil die Möglichkeiten der Polizei, Bordelle und „Model-Wohnungen“ zu betreten, erheblich eingeschränkt wurden. Weil die „Förderung der Prostitution“ nicht mehr strafbar ist. Weil der Menschenhandels-Paragraf so formuliert ist, dass die Polizei zwingend die Aussage des Opfers braucht, um ein Verfahren einzuleiten. Die Frauen aber sind meist so fertig und eingeschüchtert - auch weil sie und ihre Familien im Heimatland bedroht werden - dass sie keine Aussage machen.
4. In Schweden werden die Prostituierten kriminalisiert.
Im Gegenteil: Das schwedische Gesetz gegen Sexkauf nimmt, wie der Name schon sagt, nur den Sexkäufer in die Verantwortung. Denn er ist es, der den Markt überhaupt erst schafft. Die Frauen (und Männer), die sich prostituieren, haben dagegen keinerlei Strafverfolgung zu befürchten. Im Gegenteil: Ihnen werden Beratung und Ausstiegshilfe angeboten. Das ist in Norwegen und Island genauso. Und auch Frankreich sieht in seinem aktuellen Gesetzentwurf vor, Freier zu bestrafen, hingegen die von Sarkozy eingeführte Bestrafung von Prostituierten, die Männer auf der Straße ansprechen („racolage passif“), wieder abzuschaffen.
5. Prostitution ist schließlich das „älteste Gewerbe der Welt“.
Prostitution ist nur so alt wie das Patriarchat, dessen Fundament die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen für Männer ist, früher entweder via Ehe oder via Sklaverei. Jahrhunderte lang blieb vielen Frauen, die weder Besitz noch Beruf haben durften, nur ihr Körper zum Gelderwerb. Außerdem: Dass es etwas schon lange gibt, heißt doch nicht, dass man es nicht ächten und dagegen kämpfen kann. Die Sklaverei, die lange Zeit als völlig normal galt, ist schließlich auch abgeschafft. Zumindest in den aufgeklärten Demokratien.
6. Wenn es keine Prostitution gibt, steigt die Zahl der Vergewaltigungen.
Ist es nicht eher umgekehrt? Wenn eine Gesellschaft mit der Akzeptanz von Prostitution signalisiert, dass Männer das Recht haben, über Frauen zu verfügen und ihre sexuellen Bedürfnisse jederzeit und um jeden Preis zu befriedigen, dürfte die Zahl der gewaltsamen Übergriffe eher steigen. Und: Was transportiert dieses Argument überhaupt für ein Männerbild? Sind alle Männer triebgesteuerte Fickzombies? Nein, auch Männer sind Menschen - und es gilt, ihnen die Augen zu öffnen über die zerstörerischen Folgen der Prostitution für die Frauen und das Verhältnis der Geschlechter.
7. Es macht den Frauen doch auch Spaß.
Laut einer internationalen UN-Studie werden zwei Drittel aller Frauen in der Prostitution von einem oder mehreren Freiern vergewaltigt. Ebenfalls zwei Drittel gaben an, mit einer Waffe bedroht worden zu sein. Drei von vier nehmen Drogen oder trinken, um die „Arbeit“ zu ertragen. Die Mehrheit der Frauen in der Prostitution ist schon als Kind sexuell missbraucht worden oder Opfer anderer schwerer Gewalt. Weitere Studien zeigen: 80 bis 90 Prozent der Frauen würden sofort aus der Prostitution aussteigen - wenn sie könnten.
8. Andere Jobs sind auch unangenehm.
Stimmt. Aber keiner erfordert das Vorspielen von Zuneigung und Lust; keiner mutet zu, dass jemand Fremdes in den eigenen Körper eindringt; keiner ist damit verbunden, das Intimste eines Menschen – seine Sexualität – zu verkaufen. Nein, Sexualität ist keine Ware und Prostitution keine „Dienstleistung“.
9. Immer wird nur über die Prostituierten gesprochen – nie mit ihnen.
Ein Blick in EMMA genügt, um zu sehen, dass wir sehr oft mit Prostituierten sprechen. Viele melden sich bei uns und schreiben oder erzählen uns ihre Geschichten. Und viele bedanken sich bei uns dafür, dass wir ein realistisches Bild der Prostitution zeichnen und nicht, wie so viele Medien, die Klischees bedienen. Übrigens: Alice Schwarzer war als Volontärin 1967 zum ersten mal im Bordell, um mit den Prostituierten selber zu sprechen. Denn sie fand es ungerecht, das sie Steuern zahlen sollten, obwohl sie damals noch keine vollen Bürgerrechte hatten (nachzulesen in ihrem "Lebenslauf"). Seither ist die Diskriminierung von Prostituierten und die Verharmlosung der Prostitution eines ihrer zentralen Themen geblieben.