Prostitution: Verrät CDU/CSU die Frauen?

Andrea an der tschechischen Grenze - eine "selbstbestimmte Soloselbstständige"? - Foto: Bettina Flitner
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„Sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Prostitution sind mit der Würde von Menschen nicht vereinbar. Deshalb unterstützen wir ein Sexkaufverbot und Hilfen beim Ausstieg aus der Prostitution.“ So steht es glasklar im Grundsatzprogramm der CDU. Die CSU ist ohnehin schon lange für die Freierbestrafung. Steht sie jetzt im Koalitionsvertrag? Nein. Die SPD hat sich offenbar quergestellt und das wirksamste Mittel zur Bekämpfung des Menschenhandels herausverhandelt. 

Was steht jetzt im Vertrag? Im Sommer 2025 soll die „Evaluation“ des Prostituiertenschutzgesetzes veröffentlicht werden. Diese Evaluation, so heißt es, wolle man abwarten und das Gesetz dann „gegebenenfalls nachbessern“. Gegebenenfalls? Nachbessern? Ein Gesetz, das nachweislich gescheitert ist und das Hunderttausende Frauen aus den Armenhäusern der Welt mit ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit bezahlen?    

Wie kann es sein, dass die SPD (wieder einmal) der Bremsklotz ist, um endlich auch in Deutschland das „Nordische Modell“ einzuführen, das das EU-Parlament schon seit 2014 empfiehlt?   

Pünktlich zu den Koalitionsverhandlungen hatte der Bundesfrauenrat der Gewerkschaft ver.di ein „Positionspapier“ zum Thema Prostitution veröffentlicht. Titel: „Sexarbeit ist Arbeit“. Tenor des Pamphlets: Das „Nordische Modell“, also die Bestrafung der Freier - bei gleichzeitiger Entkriminalisierung der Frauen - soll verhindert werden. Wie kommt ver.di auf sowas? Das ist die Position der Pro-Prostitutionslobby, die gerade ihre Felle davonschwimmen sieht. Schließlich mehren sich auch in der SPD endlich die Stimmen für das „Nordische Modell“.

Die Sozialdemokraten sind  bekanntlich gewerkschaftsnah, es ist also ein geschickter Schachzug der Lobby, die Dienstleistungs-Gewerkschaft ver.di ins Boot zu holen. Tatsächlich klingt das Positionspapier über die „selbstbestimmten Soloselbstständigen“, als ob der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BeSD), die Lobby-Organisation Nr. 1, es dem ver.di-Bundesfrauenrat in den Block diktiert hätte. 

Und genau so scheint es auch zu sein. Wer bei ver.di nach den dort organisierten Prostituierten fragt, bekommt als Ansprechpartnerin Johanna Weber genannt. Die Berliner Domina (Stundensatz: 300 Euro) ist „politische Sprecherin“ des BeSD. Der „Verband“ vertritt mit nach Selbstauskunft 600 Mitgliedern gerade einmal 0,2 Prozent der mindestens 250.000 Prostituierten in Deutschland. Im Vorstand: überwiegend Dominas.

90 Prozent der Prostitution in Deutschland ist Armuts- und Elendsprostitution, erbracht von Frauen aus den ärmsten Ländern der Welt, aus Not und Angst vor Zuhältern oder den eigenen Familien. Warum lässt sich eine Gewerkschaft ausgerechnet von den Spitzenverdienerinnen und Lobbyistin der Branche ihre Positionen einflüstern? 

Das wundert auch die „Aktionsgruppe Gleichstellung Bayern“ (AGGB), Mitglied im „Bündnis Nordisches Modell“. Die AGGB fragt: „Ver.di pro ‚Sexarbeit‘ – auf der Seite der Ausbeuter?!“ Und stellt fest: „Das Papier steckt voller Unwahrheiten und verschwiegenen Tatsachen. Wir haben es in 10 Punkten etwas näher beleuchtet und sind zu dem Schluss gekommen: Lobbysprech pur!“ 

1. Für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen
Das ist eine ver.di Forderung, die mantramäßig wiederholt wird, aber ins Leere greift, weil die Frauen in der Prostitution zumeist als Solo-Selbständige agieren, also in keinem regulären Arbeitsverhältnis sind. Oft halten Zuhälter Frauen in Schuldknechtschaft und nehmen ihnen ihr Geld weg. Zuhälterei ist bis heute in Deutschland legal, solange nicht mehr als 50 Prozent der Einnahmen einbehalten werden, aber wie will man das genau kontrollieren, wenn viele Frauen noch nicht einmal Konto haben? Oft haben die Frauen außerhalb des Bordells keine eigene Bleibe. Was für einen Aufschrei gäbe es, wenn Arbeiter in den Schlachtbetrieben an ihren Wirkungsstätten übernachten müssten? 

2. Abwertung und Vorurteile durch „Moralisten“ geschürt?
Die gesellschaftliche Wahrnehmung sei geprägt von „moralischen Vorstellungen“ und daraus resultierenden Vorurteilen. Sex- Arbeiterinnen würde die „Freiwilligkeit abgesprochen“. Sie würden moralisch abgewertet und pauschal als Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution dargestellt. 

Hier findet eine bemerkenswerte Umkehrung von Werten statt: Moral und Ethik sind nach unserem – und allgemeinem -Verständnis, was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Darauf basiert auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und jede Art von Vertrag über unser Zusammenleben. (…) Bei einer Frage von höchster menschenrechtlicher Relevanz wie der Verfügung über den eigenen, bzw. einen fremden Körper, soll das plötzlich nicht mehr gelten? Hier wird mit „Moral“ dem politischen Gegner wohl indirekt eine verklemmte Sexualmoral unterstellt, die anderen nicht ihren Spaß gönnt. Das ist ein beliebter Topos aus der Mottenkiste der Happy-Sexwork-Lobby.
 
3. Opfernarrativ als Vorurteil?
Es ist auch keineswegs ein Vorurteil, dass Frauen zumeist unfreiwillig oder durch Manipulation in die Prostitution geraten. Polizeiberichten zufolge sind um die 90 Prozent der Frauen in der Prostitution Opfer von Menschenhandel. Einmal gefangen im System, gelingt der Ausstieg auch dann kaum, wenn kein Zuhälter mehr Zwang ausübt. Bei Drogensucht, Obdachlosigkeit und großen Notlagen kann auch nicht von „Freiwilligkeit“ gesprochen werden! Nicht alle sind Opfer. Selbstverständlich gibt es auch die Besserverdienenden. „Studio Betreiberinnen“ oder Sadomaso-Expertinnen können Deutsch und sich eigene Wohnungen und sogar eine ver.di Mitgliedschaft leisten, während bei den  ausgebeuteten Frauen  niemand nach deren Willen  fragt, sondern einfach die Behörden oder die Polizei für zuständig erklärt. Nur den Gewinnern des Systems nutzt die liberale Gesetzgebung, die ihr Geschäftsmodell optimiert. Und sie brauchen PolitikerInnen und Gewerkschaften, die das Gewaltsystem Prostitution verteidigen. Es ist also keineswegs „moralische Abwertung“, Opfer als solche zu benennen, sondern Verantwortungslosigkeit, das nicht zu tun und nur die oberen fünf Prozent als Klientel im Blick zu haben, deren Interessen man vertritt. Geht es ver.di nur um Klientelismus oder zählen auch die Menschenrechte?
 
4. „Sexarbeit“? 
Stigmatisierung durch Sprache zeigt soziale Kälte und beschönigt Gewalt. Wenn Frauen den Begriff „Sexarbeit“ für sich selbst gewählt haben, ist daran nichts auszusetzen. Wenn aber Außenstehende diesen als Synonym für Frauen in der Prostitution benutzen, wirkt das zynisch. Zumal bei ver.di auch Bordellbetreibende und andere ProfiteurInnen  unter den Begriff SexarbeiterInnen subsummiert werden. Viele Frauen sehen sich durch diesen Begriff stigmatisiert und allein gelassen, denn die Gewalt im System Prostitution wird unsichtbar gemacht. Die Verharmlosung als „Arbeit“ erleichtert es Zuhältern, Frauen zu manipulieren, Freiern, sich an Körpern zu bedienen und der Gesellschaft, wegzusehen. 
 
5. Stigmatisierung?
In erster Linie sei es die „Stigmatisierung“, die gesellschaftliche Teilhabe von Prostituierten und deren Zugang zu Recht, Schutz und sozialen Ressourcen beschränke. Sogar für die Begleitkriminalität, für Gewalt und Zwangsprostitution sei das Stigma verantwortlich. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Stigmatisierung von Frauen in der Prostitution existiert und Teil des Problems ist, aber keineswegs die einzige oder auch nur die Hauptursache. Die schlimmste Stigmatisierung ist ohnehin die Erniedrigung, die Frauen erfahren, wenn Männer, die sie nicht begehren, ungewollt in alle Körperöffnungen eindringen, ins Gesicht abspritzen, auf die Frauen urinieren und tun, was sonst noch so im „Leistungskatalog“ des Bordells oder auf den von Zuhältern verfassten Auftragszetteln von Frauen steht. Vieles, was mit dem Körper der Frauen passiert, ist pure Machtdemonstration und Frauenhass! 
 
6. Die unsichtbaren Zuhälter
Ideologen sind die großen Vereinfacher, die alles, was nicht ins Bild passt, ausblenden und populistische Erklärungen für ihre als „Massen“ begriffene Anhängerschaft anbieten. Im Falle des ver.di Papiers wird die „Stigmatisierung“ für fast alle Probleme verantwortlich gemacht, nach dem Motto: Der Mensch ist gut, die Welt ist schlecht. Kriminalität entsteht also nicht, weil es für jemanden Vorteile bieten könnte, Frauen zu verkaufen, weil man damit gutes Geld verdienen könnte, weil es einen Markt gibt und weil Deutschland perfekte Standortbedingungen für fast risikofreies Agieren bietet - sondern einzig wegen mangelnder Akzeptanz?  Von Zuhältern ist in dem Papier an keiner Stelle die Rede, nur von „Sicherheit und Covering“, die unter dem Nordischen Modell verboten wären. Zuhälterei, also die sexuelle Ausbeutung von Frauen zum Zweck der Gewinnmaximierung erkennen und benennen ver.di Frauen nicht als Problem. Ist das nur weltfremd, zynisch oder einfach Lobby-Talk?
 
7. Zwangsprostitution und Menschenhandel? 
Nicht unser Problem!? Die Notwendigkeit der Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel wird in dem ver.di Papier zwar immer wieder betont, aber als rein organisatorisches, also lösbares Problem angesehen. Der Staat müsse die Mittel dafür zur Verfügung stellen. Dass Ermittlungen immer von der Aussagebereitschaft der Opfer abhängen, dass diese schwer oder gar nicht gegeben ist, an rudimentären Sprachkenntnissen scheitern, an Druck aus dem Milieu, Traumafolgen und vielen anderen Faktoren, interessiert die Autorinnen offenbar nicht. Dass im Bereich Prostitution und Menschenhandel deshalb quasi eine Kultur der Straflosigkeit herrscht, Rockerbanden, oft in Personalunion mit Rechtsradikalen, sich ihre Einflusssphären aufteilen, ohne dass es eine Handhabe gegen sie gäbe – das wird in dem Papier vollständig ignoriert. Lieferkettengesetze sollen richtigerweise Kinder in Afrika und Textilarbeiterinnen in Asien vor Ausbeutung schützen, aber die Lieferketten des Menschenhandels werden durch unsere Gesetzgebung gefördert und die Lieferwege zu Autobahnen ausgebaut, ohne dass ver.di das problematisieren würde?
 
8. Die Evaluation: Abwarten und Tee trinken?
Das Familienministerium hat Versuche, die menschenfeindliche Prostitutionspolitik infrage zu stellen, oft mit dem Hinweis auf die Ergebnisse der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes, also auf Sommer 2025 vertagt. Diese Evaluation sollen jetzt auch die Koalitionäre abwarten, fordern der ver.di Frauenrat. Damit wollten sie offenbar verhindern, dass ein Paradigmenwechsel hin zum Nordischen Modell in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird. Die Politik soll abwarten und dann auf dem Weg der Regulierung weiterhin irgendwelche Maßnahmen verfügen, statt das Problem an der Wurzel zu packen: beim Geld der Freier!
 

Andrea, 22, an der Grenze zwischen Deutschland und Tschechien. - Foto: Bettina Flitner
Andrea, 22, an der Grenze zwischen Deutschland und Tschechien. - Foto: Bettina Flitner

9. Follow the Money! Was bewirkt das Geld der Freier?
Das Geld der Freier befeuert den Menschenhandel und kriminelle Wirtschaftskreisläufe. Es zerstört Frauen körperlich und seelisch, überlässt sie dann dem Staat. Das Geld der Freier fließt in Drogen, Spielhallen, Korruption, Geldwäsche, weitere kriminelle Aktivitäten und das protzige Leben der Zuhälter. Nur sehr wenig verbleibt bei den Frauen. Legaler Sexkauf lehrt Jugendliche, sie hätten ein Recht darauf, Porno-Videos am lebenden Objekt nachspielen zu lassen; dass Sexualität vom Geld bestimmt, eine Ware wie jede andere ist. Das Geld der Freier suggeriert Männern Allmacht – allen Männern, denn ihnen allen erlaubt der Staat, als Freier Frauen zu benutzen. Sie alle leben also in dem Bewusstsein, potenzielle Freier zu sein! Die Gesellschaft sollte sich überlegen, welche Geldkreisläufe sie unterstützen will. Und eine Gewerkschaft sollte darüber nachdenken, auf wessen Seite sie dabei stehen will.

Die gesamte Stellungnahme der AGGB ist hier nachzulesen.

Das Aufmacher-Foto zeigt Andrea, 22, die sich auf dem "längsten Straßenstrich Europas", entlang der Grenze zwischen Deutschland und Tschechien, prostituiert. Bettina Flitner fotografierte die Frauen, die dort arbeiten. Und fragte sie: "Wovon träumen Sie?" Andrea antwortete: „Mein Traum für die Zukunft? Ein normales Leben. Das hier mache ich jetzt seit zwei Jahren... war in Frankfurt, Hamburg, Nürnberg, in Clubs. Mein Freund? Hab keinen. Da ist nur einer mit seiner Familie, die sind nicht gut zu mir." - mehr auf www.bettinaflitner.de

 

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