Wer sind die "Sexarbeiterinnen" wirklich?

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Am 4. September veröffentlichte die Sprecherin des „Berufs­verbandes“ der „Sexarbei­te­r_innen“, Johanna Weber, in der Huffington Post einen Offenen Brief mit dem Titel: „Aufschrei einer Prostituierten: An die Politiker, die meinen Job zerstören“. Sie habe, schreibt sie, „sehr tiefe Einblicke in den Arbeitsalltag der Bundespolitiker bekommen“. Und wenig später fährt sie fort: „Ja, und dann kommt das spannende, aber für die Politik unbequeme Thema Prostitution aufs Tablett. Unbequem, weil die Medien das Thema unberechenbar ausschlachten, denn Sex sells. Unbequem deshalb, weil hier die Doppelmoral regiert. Kaum ein Mann traut sich zu sagen, dass er sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmt.“

Was will Weber, die Frontfrau der LobbyistInnen der Prostitutionsbranche, damit sagen? Sollte hier etwa gewissen Politikern gedroht werden? Politiker, die sich nicht trauen zu sagen, dass sie „sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen“? Politiker, die darum tun müssen, was die Prostitutionsbranche will – wenn sie nicht auf Seite 1 der „unberechenbaren Medien“ landen wollen?

Im Rest des offenen Briefes der Sprecherin des so genannten „Berufsverbandes“ von „Sexarbeiter_innen“ geht es fast ausschließlich um die Meldepflicht für Prostituierte. Sie ist einer der Punkte, der im Zusammenhang mit der Gesetzesreform diskutiert wird. Doch man kann nur hoffen, dass die Sorge mancher Politiker, auf Seite 1 zu landen, weil Sex sells, nicht verhindern wird, dass die Meldepflicht Gesetz wird. Denn sie macht die Prostitutionsbrache, die schon lange von der organisierten Kriminalität beherrscht wird, transparenter – und schützt die hunderttausenden Elendsprostituierten.

Die Spezialität von Johanna Weber ist: Natursekt, Kaviar und Facefarting.

Sechs Tage später, am 10. September, war eine Domina in Kanada noch deut­licher geworden. Terri-Jean Bedford hatte in einer Anhörung gedroht: „Wenn dieses Gesetz durchkommt, sorge ich dafür, dass ihr Jungs hochgeht. Denn ich habe mehr Informationen über Politiker in diesem Land, als euch lieb sein kann.“ Bedford wurde des Saales verwiesen – und das ­Gesetz verabschiedet. Seit dem 8. Oktober gilt in Kanada: Sexkauf wird bestraft, Werbung für Prostitution ist verboten und jährlich stellt der Staat 20 Millionen Dollar für Ausstiegsprojekte zur Verfügung. Das Gesetz wurde mit den 156 Stimmen der Konservativen verabschiedet – gegen 124 Stimmen von ­Sozialisten, Grünen etc.

Aber wer ist eigentlich diese Deutsche Johanna Weber, die, wie Bedford, Teil der so genannten internationalen „Hurenbewegung“ ist? Und die ebenfalls Politikern zu drohen scheint? Und was ist dieser „Berufs­verband“? EMMAs Recherche ergab ­Erstaunliches. Sehr Erstaunliches.

Mitten im Sommerloch hatte Bild.de mit der pikanten Schlagzeile getitelt: „Diese Huren beraten die Regierung“. Und sodann erfuhren die geneigten LeserInnen, dass die „Huren“ Johanna Weber (46) und Fabienne Freymadl (35) im Zusammenhang mit der geplanten Gesetzesänderung zur Prostitution in der Hauptstadt als „Fachfrauen“ gehandelt werden (Foto: Weber links). Sie nahmen an „mehreren informativen Hintergrundgesprächen“ teil, „trafen verschiedene FachpolitikerInnen von CDU/CSU und SPD, Grünen und Linken und telefonieren regelmäßig mit ihnen“ (Bild).

Johanna Weber, die politische Sprecherin vom so genannten „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.“ beriet auch das Bundesfamilien­ministerium bei dessen Hearing zur Prostitution am 12. Juni 2014. „Die Politiker kommen oft mit vermeintlich guten Ideen zu uns, aber die passen meistens nicht zur Realität der Branche“, verrät sie. Sie weiß anscheinend, was passt.

Wer steckt eigentlich hinter diesem "Berufsverband" der "Sexarbeiter_innen"?

Doch passt sie? Es fängt damit an, dass Johanna Weber in Wahrheit Verena Johannsen heißt. Ihre Spezialität als Domina sind „Schweinereien“. Was sie damit genau meint, erläutert sie auf ihrer Website: „Natursekt“ (auf Männer urinieren), „Kaviar“ (auf Männer koten, auch direkt in den Mund), oder auch „Facefarting“ (sich auf das Gesicht des Mannes setzen und ihm in dasselbe furzen).

Diese Art von Tätigkeit ist allerdings auch für Weber/Johannsen neu. Die Frontfrau des erst vor einem Jahr gegründeten „Berufsverbandes“ für „Sexarbeiter_innen“ ist nach eigenen Angaben erst seit vier Jahren in dem Gewerbe. Vorher gab die professionelle Langstreckenläuferin Sportkurse, war im Sportmarketing aktiv und organisierte „Frauenläufe“, zum Beispiel beim Lesben-Beach-Festival. Auch politisch scheint sich die Domina eher in Frauen- bzw. Linken-Zusammenhängen zu engagieren. Nach eigenen Angaben spendet sie fünf Prozent ihrer Einnahmen, meist an „Sexworker“-Organisationen wie Hydra, aber auch schon mal an Attac oder Terre des Femmes.

Entsprechend polit-, ja bewegungs­erfahren klingen die Stellungnahmen zum ­Prostitutionsgesetz, die Weber/Johannsen (unter)schreibt. Das spielt dann nicht mehr unter der Gürtellinie, sondern kommt hochtrabend daher. Wie die 23-seitige „Stellungnahme zur Anhörung ‚Regulierung des Prostitutionsgewerbes‘“ für das Bundesfamilienministerium. Da heißt es einleitend:

„Wir entschuldigen uns dafür, unsere Stellungnahme nicht zum gewünschten Termin am 2. Juni 2014 eingereicht zu haben. Der 2. Juni, der Internationale Hurentag, ist ein Gedenktag der Hurenbewegung. An diesem Tag im Jahre 1975 traten französische Sexarbeiterinnen in einen Streik und besetzten eine Kirche von Lyon, um sich gegen Polizeigewalt und anhaltende Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Das Ereignis gilt als Ursprung der weltweiten Hurenbewegung. Unsere Stellungnahme widmen wir deshalb diesen tapferen Kolleg_innen.“ 

Kolleginnen? Die in der Tat sehr tapferen Prostituierten in Lyon können sich leider nicht wehren. Denn sie kennen Johanna Weber nicht und ahnen nicht, was da in ihrem Namen verzapft wird. Wüssten sie es, würden sie es sich wohl verbitten. Das fängt schon an mit dem Etikett „Hure“. „Nous ne sommes pas des putes!“ lautete ihr Slogan, mit dem sie damals auf die Straße gingen, Schulter an Schulter mit aus Paris angereisten Feministinnen, die ihren Protest begleiteten und unterstützten. „Wir sind keine Huren!“, sondern Menschen. Die Frauen in Lyon kämpften damals für ihre Rechte – und nicht für die von Zuhältern und Bordellbetreibern.

Diese "Sexarbeiter_innen" sind GEGEN ein Verbot von Flatrates und Gang-Bang-Praktiken.

Auf dem verwackelten Gründungsfoto der „Sexarbeiter_innen“ sieht man knapp dreißig Frauen, viele verdeckt, plus einen Mann. Seither taucht das immer gleiche halbe Dutzend in Talkshows und auf Events auf, erzählt, was für einen Spaß das macht, sich zu prostituieren, und plädiert für die Anerkennung der Prostitu­tion als „Beruf wie jeder andere“. Diese Frauen haben Namen wie Undine, Amber oder Fabienne und sind auffallend häufig als Dominas, also im Sadomaso-Bereich tätig bzw. waren es. In einigen Fällen betreiben sie inzwischen lieber selber „Studios“, in denen sie zusammen agieren oder aber andere Frauen anschaffen lassen.

Ihnen gegenüber stehen geschätzte 400000 Frauen, die als Prostituierte arbeiten. Etwa 70 Prozent (Schätzungen der Pro-Prostitutions-Front) bis zu 98 Prozent (Schätzungen der Polizei) sind Migrantinnen und kommen in der Regel aus den ärmsten osteuropäischen Ländern. Die Dominas vom „Berufsverband“ sprechen also nur für ein paar Prozent der deutschen Prostituierten. Trotzdem war diese atypische, verschwindend kleine Minderheit über Jahre vorrangiger Ansprechpartner der Politik und der quasi einzige Ansprechpartner unter den Prostituierten.

Dabei vertreten diese „Fachfrauen“ keineswegs die Interessen der Prostituierten, sondern eher die Interessen der Zuhälter und Bordellbetreiber – bis hin zu denen der Menschenhändler, indem sie deren entscheidende Rollen im Prostitutions­geschäft verharmlosen oder gar leugnen.

Der "Berufsverband" der "Sexarbeiter_innen" ist ein dreister Etikettenschwindel.

Das lässt sich auch der 23-seitigen Stellungnahme der „Sexarbeiter_innen“ für das Frauenministerium vom 12. Juni 2014 entnehmen, die sich wie ein Produkt ausgefuchster Juristen liest. Hier wird mit rechtsstaatlich ausgefeilten Argumenten nicht den Interessen der Frauen in der Prostitution das Wort geredet, sondern denen der Sexbranche, die längst in der Faust der Organisierten Kriminalität ist.

In dieser Stellungnahme des „Berufsverbandes“ der „Sexarbeiter_innen“ wird die „Entkriminalisierung der Sexarbeit“ gefordert – aber für wen? Frauen und Männer, die sich prostituieren, machen sich deswegen in Deutschland schon lange nicht mehr strafbar. Die Stellungnahme der „Sexarbeiter_innen“ enthält fast ausschließlich Forderungen, die die Händler mit der Ware Frau entkriminalisieren: Sie plädieren gegen eine Anhebung des Schutzalters auf 21, gegen verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen und gegen eine Kondompflicht. Dafür fordern sie die ersatzlose Streichung der Strafparagraphen gegen „Zuhälterei“, die „Ausbeutung von Prostituierten“ und „jugend­gefährdender Prostitution“. Die „Sexarbeiter_innen“ möchten, dass die Polizei sich möglichst ganz raushält aus dem Gewerbe: Der „Berufsverband“ ist gegen eine „Erlaubnis- oder Überwachungspflicht von Prostitutionsstätten“ und für eine „Einstellung der anlassunabhängigen Kontrollen durch die Polizeibehören“. Das sei eine „Störung des Betriebsablaufes“. Also: Freie Bahn für Zuhälter und Menschenhändler.

Dafür plädiert der „Berufsverband“ für staatlich geförderte „Einstiegsberatung“ in die Prostitution und „Fortbildung“. Welche Praktiken so eine „Fortbildung“ lehren könnte, ist der Website des „Berufsverbandes“ zu entnehmen: Da sind die Sexarbeiter_innen gegen ein Verbot von Flatrate und Gang-Bang (simulierte Gruppenvergewaltigung). Zynischer geht’s nimmer.

Der geplante "Sexarbeits-Kongress" will in Berlin die Politik beeinflussen.

Der vorgebliche Berufsverband arbeitet gleichzeitig auf eine totale Deregulierung der Prostitution in Deutschland sowie auf eine stärkere Förderung und Ausweitung der Prostitution hin. Die Damen Sexarbeiter_innen sind also schlicht Lobbyistinnen der Prostitutionsbranche. Und sie geben sich inzwischen auch gar nicht mehr die Mühe, das noch länger zu kaschieren.

So schrieb Johanna Weber am 30. Juni 2014 im Namen des „Berufsverbandes“ einen Brief an die „Sehr geehrte Frau Bundesministerin Schwesig“. Darin gratuliert sie der für Prostitution zuständigen Ministerin zu der offensichtlich bereits erfolgten „politischen und juristischen Trennung der Themenbereiche Menschenhandel und Prostitution“ sowie zu dem „partizipativen Ansatz, Sexarbeiter_innen und Betreibe­r_in­nen mit einzubeziehen“.

All das wäre eigentlich schon mehr als genug. Doch Weber unterzeichnet den Brief nicht allein. Mitunterzeichner ist Holger Rettig, Vorsitzender des sehr undurchsichtigen „Unternehmerverbandes Erotikgewerbe Deutschland e.V.“. Der Verband wurde 2007 gegründet und hat, laut Rettig, 170 Mitglieder. Außer ihm ist allerdings bisher noch keines an die Öffentlichkeit getreten (siehe S. 49). Der Unternehmerverband der Bordellbesitzer und der „Berufsverband“ der Prostituierten machen also Schulter an Schulter gemeinsame Lobbyarbeit für ein genehmes Gesetz. Das ist, wie wenn der Arbeitgeberverband und die Gewerkschaften zusammen kämpfen würden. Der Begriff „Berufsverband“ ist also reiner Etikettenschwindel.

Umsatz im Sex-Gewerbe: 2013 allein in Deutschland 14,6 Milliarden Euro: 1.000 % Profit

Es geht bei Prostitution und Menschenhandel um viel. Um sehr viel. In der Prostitution fließen nicht nur Millionen staatlicher Fördergelder, sondern werden vor allem Milliarden-Umsätze gemacht – allein in Deutschland im Jahr 2013 laut Statistischem Bundesamt 14,6 Milliarden Euro. Die Profitraten liegen bei bis zu tausend Prozent. Davon können die Drogen- und Waffenhändler nur träumen.

Da mangelt es LobbyistInnen natürlich nicht an Power und Geld für aufwändige Websites, juristisch ausgefeilte Stellungnahmen und Kongresse. Demgegenüber stehen Hunderttausende namenlose, bitterarme Prostituierte, deren Verdienst unter dem Mindestlohn liegt und die in den meisten Fällen noch nicht einmal Deutsch können.

Doch übrigens, wer ist denn nun eigentlich Fabienne Freymadl, die zweite „Hure“, die in Berlin PolitikerInnen berät? Die 35-Jährige kommt aus dem erzkatholischen Freising, wo auch der deutsche Papst lange segensreich gewirkt hat, und ist nach eigenen Angaben „Sadistin aus Passion“ (Was ja in den Kreisen öfter vorkommen soll). Freymadl tritt auch schon mal als „Firelilly“ auf Partys auf, inklusive „Burlesquetanz“ oder „Kinderschminken“. Oder sie steht als Goldengel auf Stelzen auf Weihnachtsmärkten. Ist doch eigentlich niedlich, oder?

Manchen macht es Spaß, Männer zu quälen. Diese lassen sich dafür bezahlen.

Als Domina allerdings ist die Vielseitige schon strenger. Sie ist spezialisiert im Schmerzzufügen („Dein Leid lässt meine Augen glänzen.“). Ihre Spezialität ist ein „Straflager mit authentischem Ambiente“. Da können ihre Kunden sich der „Lagerordnung“ unterwerfen, werden verhört, angekettet und gequält, mindestens zwölf Stunden lang oder auch länger. Vielleicht sollten einige Damen und Herren PolitikerInnen aus der Hauptstadt dort mal eine Ortsbesichtigung machen?

Führend bei den Lobbyistinnen sind deutsche Dominas. Sicher, es mag manchen Damen ja durchaus Spaß machen, Männer zu quälen. Sowas nennt man normalerweise schlicht Männerhass. Dass diese Männerhasserinnen sich das von Männern auch noch gerne bezahlen lassen, ist verständlich. Aber dass sie sich auf Kosten von hunderttausenden Frauen als Lobbyistinnen des Sexgewerbes bei Politik und Medien andienen – das geht zu weit. Dem sollte Einhalt geboten werden. Und zwar rasch!

 

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Englische Fassung des Artikels
Prostitution: Argumente gegen Scheinargumente

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„Prostitution & Menschenhandel sind untrennbar“

Manfred Paulus, hier in Tirana/Albanien.
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Die SPD betont, man müsse zwischen Prostitution und Menschenhandel unterscheiden.
Wir haben in der Prostitution in Deutschland heute bis zu 100 Prozent Frauen aus dem Ausland. Es sollte klar sein, dass eine Weißrussin aus dem Tschernobyl-Gebiet oder eine Roma aus dem Ghetto in Rumänien sich niemals ­allein aufmachen kann, um sich in Deutschland zu prostituieren. Die haben kein Geld, keine Bezugspersonen, keine Anlaufstelle. Die Frauen werden ins Land geschleust, und da haben sich inzwischen hochkriminelle Strukturen gebildet. Die Organisierte Kriminalität hat das Gewerbe im Griff. Die geforderte Trennung lässt Schlimmstes befürchten.

Aber wie erklären Sie sich so unrealis­tische Einschätzungen?
Da sind offensichtlich Leute am Werk, die das Milieu nicht oder zu wenig kennen und sich diesen Mythos von der sauberen Prostitution von den Lobbyisten und Lobbyistinnen einflüstern lassen, bewusst oder ­unbewusst. Das scheint mir bereits 2001 der Fall gewesen zu sein, als SPD und Grüne das heutige Prostitutionsgesetz gemacht haben. Damals hat man zum Beispiel ein „Weisungsrecht“ für Bordellbetreiber in das Gesetz geschrieben. Wir sind wahrscheinlich das einzige Land der Welt, das Bordellbetreibern gegenüber Frauen ausdrücklich so ein Recht einräumt.

Die SPD hat kürzlich eine Experten-­Anhörung veranstaltet, zu der auch der „Bundesverband der Unternehmer im Erotikgewerbe“ geladen war. Mit am Tisch saß auch der „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“. Der vertritt nicht einmal ein Prozent der ­Prostituierten, aber erklärt stets, die große Mehrheit der Prostituierten arbeite „freiwillig“ und Zwangsprostitution sei eine „Randerscheinung“.
Ich bin, zusammen mit vielen Kollegen, der Meinung: 98 Prozent der Frauen, die sich in Deutschland prostituieren, tun das fremdbestimmt. Freiwillige Prostituierte begegnen mir nur an einem Ort: in Talkshows. Dort habe ich nach 30 Jahren im Milieu zum ersten Mal Frauen erlebt, die seit ihrer Jugend nichts anderes im Sinn hatten, als aus Überzeugung Männer auf diese Weise glücklich zu machen und die noch nie einen Zuhälter gesehen haben. Aber „Freiwilligkeit“ ist eben ein wahres Zauberwort. Wenn die Prostitution freiwillig stattfindet, dann hat der Bordell­betreiber, der Barbesitzer, der Freier kein Problem mehr. Und dann hat die Polizei, die Justiz, die Politik keine Handhabe mehr. Deshalb haben viele Menschen dieses Wort sehr gern. Die Wahrheit ist aber eine ganz andere. Von Freiwilligkeit zu sprechen, halte ich für zynisch.

Was müsste dann in einem neuen Prostitutionsgesetz stehen?
Sehr wichtig ist, dass das Weisungsrecht fällt und Prostitution nur als selbstständige Tätigkeit erlaubt ist. Zentral ist auch, dass Prostitution erst ab 21 ausgeübt werden darf, weil die meisten Opfer unter 21 Jahre alt sind. Eine An- und Abmeldepflicht der Prostitution ist wichtig und auch die ­Wiedereinführung der Gesundheitsuntersuchung. Die Polizei muss wieder in die Bordelle reinkommen. Im Grunde müssen aber alle Punkte, die die CDU/CSU vor­gelegt hat, ins Gesetz. Es reicht auf keinen Fall, es bei einer Erlaubnispflicht für Bordelle und ein paar kleinen Regelungen zu belassen. Das wäre sogar kontraproduktiv.

Weil der Bordellbetreiber dann eine Art staatliche Zertifizierung hätte?
So ist es. Wir haben heute Vorzeige-­Bordelle mit Marmor und Edelstahl. Das schließt nicht aus, dass sich dahinter ­Zuhälter und hinter denen irgendeine „GmbH & Co. KG“ verbergen. Und wenn wir hinter diese Briefkastenfirma schauen, dann entdecken wir möglicherweise albanische Clans, die so genannte Russenmafia oder die Hells Angels. Und dann sind wir bei der Organisierten Kriminalität, die alles steuert. Um diese Strukturen aufzubrechen, genügt es nicht zu sagen: Der Bordellbetreiber – der nur Strohmann sein könnte – muss sich anmelden, dann ist es erledigt. Es darf nicht passieren, dass bei der Reform Stückwerk herauskommt, das wieder nur den Profiteuren der Prostitution nützt.

Sie schreiben in Ihrem Buch, im Ausland schüttele man über die deutsche Gesetz­gebung den Kopf.
Ich hatte kürzlich mit dem leitenden Staatsanwalt in Palermo zu tun, der die Mafia in Italien bekämpft. Der war fassungslos und hat gefragt: „Merkt ihr eigentlich nicht, was bei euch passiert? Seid ihr immer noch nicht bereit, andere Gesetze zu schaffen?“ In Rumänien und Bulgarien höre ich das Gleiche. Ich denke, dass der Druck aus den Herkunftsländern der Frauen auf die deutsche Politik größer werden wird. In all diesen Ländern weiß man sehr genau, was hierzulande mit den Frauen passiert. Und man verachtet zutiefst, dass wir dem so gut wie nichts Wirksames entgegensetzen. Was wir hier als Freiheit bezeichnen, ist totale Unfreiheit für zahllose Frauen, das ist Sexsklaverei.

Das Bundeskriminalamt verzeichnet in seinem „Lagebild Menschenhandel“ jährlich rund 700 Fälle. Das wird als Beleg dafür angeführt, dass das Problem in Deutschland nicht allzu groß sei.
Das ist für mich kein wirkliches „Lagebild“, sondern eher die Dokumentation politischen Versagens! Wir haben Hunderttausende Frauen im Land, die einem in Teilen hochkriminellen Milieu ausgesetzt sind. Dass dem BKA jährlich nur 500 oder 700 Fälle von Menschenhandel gemeldet werden, zeigt, dass wir ein gigantisches Dunkelfeld haben. Zum einen ist der Straftatbestand Menschenhandel sehr kompliziert formuliert und die Hürden, ihn nachzuweisen, sind hoch. Das zweite Drama sind die Prozesse: Das Rotlichtmilieu hat es wie kein anderes verstanden, die Rechtsstaatlichkeit vor Gericht auszuhebeln. Da stellen Milieu-Anwälte zum Beispiel Beweisanträge, die nach Weißrussland, in die Ukraine oder nach Absurdistan zielen. So werden die Gerichte irgendwann zum Deal gezwungen – zugunsten der Täter und zum Leidwesen der Opfer und Ermittler. Und am Ende knallen im Gerichtssaal die Schampus-Korken. Darüber, dass die wenigen Frauen, die es gewagt haben auszusagen, im Laufe eines solchen Prozesses ihre Aussagen zurückziehen, muss man sich nicht wundern.

Deutschland hat bisher die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels von 2011 nicht umgesetzt. 
Das zeigt, dass dieser (Organisierten) Kriminalität hierzulande anhaltend viel zu wenig Bedeutung zugemessen wird. Ist das alles überhaupt noch zurückzu­holen?
Wir werden das nicht von heute auf morgen ändern, denn die Organisierte Kriminalität sitzt im Rotlichtmilieu sehr fest im Sattel. Aber wir können kurzfristig zumindest einen weiteren Zulauf verhindern, indem wir unser Prostitutionsgesetz nicht mehr so täterfreundlich gestalten. Denn wir haben mit dem Gesetz von 2002 den Tätern den Boden bereitet. Wir haben sie mit den Freiheiten, die sie hierzulande haben, geradezu angelockt. Es hat sich überall rumgesprochen, wie leicht man in Deutschland das Geschäft mit der Ware Frau betreiben kann. Und wenn wir diese Freiheiten für die Täter jetzt um 180 Grad zurückdrehen, dann wird sich auch das wieder herumsprechen.

Was muss also aus Ihrer Sicht jetzt passieren?
Die Große Koalition darf nicht vor ein paar Lobbyisten einknicken! Mit dem neuen Prostitutions-Gesetz müssen wir lange leben. Und wenn jetzt wieder Kompromisse gemacht werden, werden sich die Schleuser von Odessa bis Bukarest kaputtlachen.

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Manfred Paulus: "Menschenhandel- Tatort: Deutschland" (Klemm Verlag, 14.90 €)

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