Prostitution: Welche Rolle spielt bei der Reform die SPD?
Am Morgen im Frühstücksfernsehen klang die Ministerin noch optimistisch: "Ich gehe davon aus", erklärte Manuela Schwesig, "dass es keinen großen Streit geben wird. Weil unsere Positionen eng beieinander liegen." Zehn Stunden später klang das schon ganz anders. Erstmals hatten sich heute die UnterhändlerInnen von CDU/CSU und SPD getroffen, um über die anstehende Prostitutionsreform zu verhandeln. Das Resultat lässt befürchten, dass die Kluft groß ist - auch wenn man sich nach dreistündiger Debatte "etwas näher gekommen" sei. Dennoch scheint die für die fatale rotgrüne Reform von 2002 mit verantwortliche SPD trotz der desaströsen Folgen der Deregulierung der Prostitution so weiter wursteln zu wollen wie bisher.
Einer der raren Punkte, in dem die Koalitionspartner sich einig zu sein scheinen, ist die "Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten". Die ist im Prinzip richtig, allerdings nur begrenzt effektiv. Denn erstens werden schon heute Strohmänner als Betreiber vorgeschoben, wenn die wahren Besitzer einschlägig vorbestraft sind (zum Beispiel wegen Menschenhandel). Und zweitens werden Bordelle wie das "Pascha" oder das "Paradise" weiterarbeiten wie bisher, aber haben dann auch noch eine Art staatliches Gütesiegel. Schon effizienter ist die Anmeldepflicht für Prostituierte, die ebenfalls Konsens zu sein scheint.
Fast alle anderen Maßnahmen, die dringlich notwendig wären, um aus Deutschland, dem "Bordell Europas", wieder ein Land zu machen, in dem der Handel mit der Ware Frau erschwert und der Schutz der Prostituierten verstärkt wird, scheinen unter den Koalitionspartnern umstritten zu sein: Die Union ist dafür, die SPD dagegen.
Aber die Lage ist noch nicht ganz hoffnungslos. Denn es sind keineswegs alle SozialdemokratInnen gegen eine konsequente Reform, im Gegenteil: Viele wollen sie. In den Ortsvereinen rumort es, heißt es. Sie wollen "nicht länger ausbaden, was die in Berlin verbockt haben". Vor Ort ist nämlich der Straßenstrich mitten in Wohnvierteln, sind die Bordelle in der City neben dem Supermarkt und die "Modelwohnungen" gleich nebenan.
Und auch in den oberen Etagen gibt es Widerstand: Die SPD-Oberbürgermeisterin Charlotte Britz in Saarbrücken unterzeichnete das EMMA-Manifest gegen Prostitution. Die SPD-Sozialministerin Katrin Altpeter in Stuttgart wünscht sich für Deutschland "die schwedische Lösung", also die Ächtung des Sexkaufs und die Freierbestrafung. Und selbst Frauenministerin Manuela Schwesig galt bisher als Anhängerin einer konsequenten Reform.
Darum hier noch einmal die noch strittigen Eckpunkte der notwendigen Reform, die so auch von der Union mitgetragen würden:
Heraufsetzung des Schutzalters von 18 auf 21 Jahre. Warum? Weil junge Mädchen abhängiger und manipulierbarer sind als Über-21-Jährige. Die GegnerInnen der Erhöhung argumentieren, damit treibe man die unter 21-Jährigen nur in die "Illegalität". - Doch was heißt Illegalität für die Frauen? So wie die Freier die Frauen finden, so findet sie auch die Polizei. Die Erhöhung des Schutzalters wäre der einzige Weg, die ganz Jungen wirklich schützen zu können vor denen, die sie in die Prostitution drängen oder gar zwingen - von den eigenen Familien über die Frauenhändler bis hin zu den Bordellbetreibern.
Kondompflicht. Weil immer mehr Freier "ohne" verlangen - und Zuhälter und Bordellbetreiber entsprechend darauf drängen. Eine gesetzliche Kondompflicht gäbe den Prostituierten ein Argument zur Ablehnung - und würde übrigens nicht nur sie, sondern auch die Freier und deren Ehefrauen bzw. Freundinnen schützen.
Monatliche Gesundheitsuntersuchungen. In Österreich, wo die Untersuchung Pflicht ist, hat man festgestellt, dass Frauen, die von Deutschland nach Österreich verschoben werden (von ihren Händlern) häufig besonders krank sind, vor allem geschlechtskrank. Das liegt daran, dass Prostituierte in Deutschland seit 2002 nicht mehr zur Gesundheitskontrolle müssen. Was nicht nur die Prostituierten selbst gefährdet, sondern auch die Frauen bzw. Freundinnen der Freier. Hinzu kommt, dass eine solche monatliche Untersuchung für viele Prostituierten, die oft in ihren Bordellzimmern leben, der einzige Kontakt mit der Außenwelt wäre.
Abschaffung des „Weisungsrechts“ von Bordellbetreibern sowie ein Verbot „menschenunwürdiger Geschäftsmodelle“ (wie Flatrate-Bordelle oder Gang-Bang-Bumsen). Dank des 2002 eingeführten Weisungsrechtes haben Bordellbesitzer heute die Möglichkeit, den Frauen Arbeitszeiten, Kleidung etc. vorzuschreiben. Das bringt die Prostituierten in verschärfte Demütigung und Abhängigkeit.
Beratung und Hilfe zum Ausstieg. Es gibt zwar ein "Modellprojekt Ausstieg" des Bundesfrauenministeriums – die über vier Jahre mit 1.790.000 Euro geförderten Projekte propagieren jedoch vor allem den Einstieg. Eine wirkliche Beratung zum Ausstieg, wie in Schweden oder Frankreich, gibt es in Deutschland bisher kaum. Frankreich zum Beispiel investiert jährlich 20 Millionen Euro in den echten Ausstieg und Umschulungen.
Kontrolle von Prostitutionsstätten. Polizei und Behörden müssen unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten jederzeit Zugang haben. Bei dieser Gelegenheit entdecken sie erfahrungsgemäß immer wieder Minderjährige, Zwangsprostituierte und Missstände.
Änderung des § 232: "Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung". Polizei wie Staatsanwaltschaften beklagen schon lange, die geringe Zahl der Verfahren (ca. 700 pro Jahr) stehe in keinem Verhältnis zur Zahl der tatsächlichen Straftaten in diesem Milieu, in dem die Organisierte Kriminalität das Sagen hat. Die Verfolgung der Täter hängt bisher von der subjektiven Aussage der Frau ab, die diese aus Angst oft nicht macht. Es müssten objektive Tatsachenbeweise herangezogen werden können: wie z.B. die Vermittlung einer Frau an ein Bordell, der Transport einer Frau, so genannten "Managertätigkeiten" etc.
Die Bestrafung von Freiern der Zwangsprostituierten. Das kann man tun - aber auch lassen. Denn "Zwangsprostitution" im engen Sinne ist kaum nachweisbar. Wenn Freierbestrafung, dann für alle. Aber dafür ist die Zeit in Deutschland leider noch nicht reif. Einer solchen Ächtung des Frauenkaufs muss eine breite gesellschaftliche Debatte vorausgehen. Und die hat in Deutschland gerade erst begonnen.
Treibende Kraft bei der Verhinderung der Umsetzung dieser Reform scheint, bittere Ironie der Geschichte, die "Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen" (AsF) zu sein. Ihre Vorsitzende, Elke Ferner, ist gleichzeitig Staatssekretärin für den Bereich Frauen im Schwesig-Ministerium. Bei dem Hearing, das das Ministerium Mitte Juni 2014 zur Prostitution einberufen hatte, war auffallend, dass quasi ausschließlich Prostitutions-BefürworterInnen eingeladen waren: von den "Sexarbeiterinnen" vom "Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V." bis hin zum Sprecher der Bordellbetreiber, Holger Rettich vom „Unternehmerverband Erotik Gewerbe Deutschland“.
Die AsF-Bundeskonferenz erklärte nach dem Hearing auf Antrag des Bundesvorstandes: „Der Vorwurf, das Prostitutionsgesetz von 2002 fördere die Prostitution und erschwere darüber hinaus die Bekämpfung der Zwangsprostitution, ist falsch.“ Stattdessen plädiert die AsF für die "Beibehaltung des Mindestalters von 18 Jahre für Dienstleistende", sowie gegen Kondompflicht und "Zwangsuntersuchungen" (Damit sind die Gesundheitschecks gemeint, die zum Beispiel für Köche und Bäckerei-Verkäuferinnen Pflicht sind). Ermutigend: 30 AsF-Delegierte, vor allem unter den Jungen, legten ein Veto ein gegen diese Pro-Prostitutions-Position.
Doch was sagt eigentlich der SPD-Vorsitzende dazu? Sigmar Gabriel hat sich "soziale Gerechtigkeit" und "Menschenwürde" auf die Fahnen geschrieben. Man darf also gespannt sein, wann und wie der Parteivorsitzende sich zu diesem so brennenden Problem äußern wird. Denn die Behandlung der Prostitution als "Beruf wie jeder andere" betrifft ja nicht nur Hunderttausende von Frauen im größten Elend mitten unter uns, sondern sie sagt auch viel aus über das Menschenbild, das wir uns von Frauen und Männern machen.
aktualisiert am 15.8.2014
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