Prostitutionsgesetz: verfassungswidrig!
„Prostitution ist die riskanteste Tätigkeit, die Sie in Deutschland ausüben können. Und das betrifft Hunderttausende Menschen, die meisten davon Frauen, die darunter zutiefst leiden. Die Beweislage ist so niederschmetternd, dass wir die derzeitige Gesetzgebung zur Prostitution für verfassungswidrig erachten!“
Klare und unmissverständliche Worte von Prof. Elke Mack. Die Sozialethikerin (Foto unten 4.v.re.) stellte gestern in München gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Prof. Ulrich Rommelfanger (Foto 2.v.re.) ihre Forschungsarbeit vor: „Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“.
Ihr Fazit: „Der Staat muss seinen Schutzverpflichtungen nachkommen und die andauernden Rechtsverletzungen beenden! Orientieren sollte sich der Gesetzgeber am Nordischen Modell, das die Freier-Bestrafung vorsieht und den Menschen in der Prostitution beim Ausstieg hilft.“
Präsentiert wurde die Untersuchung in den Räumen des „Deutschen Instituts für angewandte Kriminalitätsanalyse“ (DIAKA)*, dem eine ganze Reihe erfahrener ExpertInnen angehören. So u.a. der Kriminalkommissar i.R. Helmut Sporer (Foto li.), der jahrzehntelang im Rotlichtmilieu tätig war, und die deutsch-rumänische Journalistin und Aktivistin Inge Bell (Foto re.), die mehrere Fälle von Menschenhandel aufdeckte. In einen waren in Mazedonien auch deutsche KFOR-Soldaten verstrickt.
Dies sei eine wirklich „revolutionäre Forschungsarbeit“, erklärte Inge Bell. Tatsächlich ist die Untersuchung von Mack und Rommelfanger eine schallende Ohrfeige für die deutsche Prostitutionspolitik, die seit Jahrzehnten von einer bedrückenden Ignoranz gegenüber den realen Verhältnissen im Rotlichtmilieu geprägt ist.
"Die Regierung hat nie überprüft, ob von Freiwilligkeit überhaupt die Rede sein kann."
Die Untersuchung kommt zu dem Schluss: Weder hätten die jeweiligen Regierungen jemals empirisch überprüft, ob von der vielzitierten „Freiwilligkeit“ überhaupt die Rede sein könne, noch habe der Gesetzgeber jemals hinterfragt, „ob Prostitution eine Würdeverletzung nach sich zieht“. Was sie zwangsläufig tue, denn: „Die Menschenwürde wird verletzt, wenn durch staatliches Handeln Menschen ‚verobjektiviert‘ werden, also im Sinne einer Herabwürdigung zu Objekten werden.“
Und die Freiwilligkeit? Dabei, so die VerfasserInnen, handle es sich um eine „Chimäre“, denn: „Im weit überwiegenden Teil der Prostitution, namentlich der Straßen-, der Zwangs-, Elends- und Armutsprostitution, kann von Freiwilligkeit der prostitutiven Tätigkeit nicht ausgegangen werden.“
Für ihre Untersuchung haben die Sozialethikerin und der Verfassungsrechtler viele Menschen aus der Praxis befragt: PolizistInnen, StaatsanwältInnen, MedizinerInnen, SozialarbeiterInnen und natürlich Betroffene selbst. Das Ergebnis: Die Lage von Frauen in der Prostitution ist in Deutschland ein Desaster. EMMA schreibt das seit Jahrzehnten, jetzt empört sich auch der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe über die „brutale Realität auf dem Strich und im Bordell“.
"Das Argument, in Bordellen seien die Frauen sicher vor Zwang und Gewalt, ist falsch."
So schildert die Gynäkologin Liane Bissinger, die in Hamburg viele Jahre in der Gesundheitsversorgung von Prostituierten arbeitete, in der „Sexkauf“-Untersuchung die typischen Symptome, mit denen die Frauen zu ihr kamen: „Zerstörte Darmflora und damit weiter geschwächtes Immunsystem, ein generell entzündetes Magen-Darm-System aufgrund von häufigem Erbrechen durch Ekel bei Oralverkehr mit erzwungenem Sperma-Schlucken, miserable Ernährungssituationen, Mangelernährung, Essstörungen, nervöse Störungen. Im Bereich Mund und Kiefer: Unbehandelte Entzündungen, ausgeschlagene Zähne und entzündete Kiefergelenke durch zu lange Überdehnung des Gelenkes bei Oralverkehr.“
Bissingers Fazit: „Von regulärer Arbeit kann man aufgrund des Gewaltpotentials, das diese Befunde verursachen, im Zusammenhang mit Prostitution nicht sprechen. Keine andere Tätigkeit weist ein vergleichbar extremes Schädigungsspektrum am menschlichen Körper auf.“
Doch der Staat, der diese Frauen vor alledem schützen müsste, tut seit der fatalen rot-grünen Prostitutionsreform von 2001 so, als sei Prostitution „ein normaler Beruf“ und Bordellbetreiber ganz normale Unternehmer. Die viertelherzige Reform der Reform, das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ von 2017, änderte daran quasi nichts.
"Von regulärer Arbeit kann man aufgrund des Gewaltpotenzials nicht sprechen."
„Das Gesetz sollte, ebenso wie 2017 das Prostituiertenschutzgesetz die Rechte der Prostituierten stärken. Soweit die Theorie. In der Praxis fällt die Bilanz nach zwei Jahrzehnten düster aus. Schätzungen zufolge arbeiten etwa 250.000 Prostituierte in Deutschland. Angemeldet aber sind gerade einmal 23.700, nur wenige sind krankenversichert, kaum eine ist sozialversichert.“ Wovor EMMA vor 20 Jahren schon vor Verabschiedung des Gesetzes warnte, weiß nun heute auch der Spiegel. Sein Fazit: „Das Gesetz war ein verhängnisvoller Fehler.“
So ist es. Denn all das Grauen und all die Menschenrechtsverletzungen spielen sich in legalen Bordellen ab. „Das Argument, in Bordellen seien die Frauen generell sicher vor Zwang und Ausbeutung, ist falsch“, erklärt der Stuttgarter Staatsanwalt Peter Holzwarth. "In drei Viertel der Fälle oder noch mehr stecken Gewalt und Zwang hinter der Prostitution.“ Holzwarth ermittelte auch im „Paradise-Prozess“: Bordellbetreiber Jürgen Rudloff war als Vorzeige-Bordellier durch die Talkshows getingelt, bis er 2019 wegen „Beihilfe zum Menschenhandel“ verurteilt wurde.
Holzwarths Fazit: „Natürlich fördert der liberale gesetzliche Umgang mit der Prostitution hier in Deutschland die Prostitution und den Menschenhandel.“
"Natürlich fördert der liberale gesetzliche Umgang den Menschenhandel."
Die vorliegende Untersuchung von Sozialethikerin Mack und Verfassungsrechtler Rommelfanger wird voraussichtlich die Grundlage für eine Normenkontrollklage sein. Das erklärte die bei der Vorstellung der Studie anwesende SPD-Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier. Dann müsste das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob das deutsche Prostituiertenschutzgesetz gegen Artikel 1 der Verfassung verstößt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Spätestens nach dieser Untersuchung ist klar: Die Würde von Frauen wird in deutschen Bordellen tagtäglich tausendfach mit Füßen getreten.
CHANTAL LOUIS
* Auf dem Foto v.l.n.r. Erster Kriminaloberrat a.D. und 2. DIAKA-Vorsitzender Helmut Sporer, Politikerin Ursula Männle (CSU), Journalistin und Buchautorin Barbara Schmid ("Schneewittchen und der böse König"), Mitautor Dr. Jakob Drobnik, Prof. Dr. Elke Mack, Marietta Hageney (Solwodi), Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger, DIAKA-Vorsitzende Inge Bell.
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Elke Mack/Ulrich Rommelfanger: Eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution (Nomos)