Mama & Mama und Papa & Papa
Jede zweite lesbische Frau, jeder zweite schwule Mann unter zwanzig will Kinder, Tendenz steigend. Birgit Schreiber begleitete über Jahre ein Elterndoppel, das Kind-Sharing macht.
Es ist vier Jahre her. Damals blickten Susanne Walter und Stephie Weber durch ein Fenster, auf mehrere Männer, die ihnen fremd waren. Und sie fragten sich, ob sie mit einem von ihnen ein Kind zeugen wollten. Die Frauen waren 40 und 32 Jahre alt, die eine Ärztin, die andere Bühnenausstatterin. Die Männer saßen in Bremen an einem Tisch in einer Kneipe, waren etwa im selben Alter, und sahen „alle ganz passabel aus“, fanden die Frauen. Möglicherweise würden die beiden ihrem Ziel, Mütter zu werden, an diesem Abend ein Stück näher kommen.
Ein Kind zu bekommen war für Stephie und Susanne ein Herzenswunsch und zugleich ein Problem, denn beide lieben Frauen. Aus dem selben Grund waren die anderen Frauen hier, die mit am Tisch saßen, und aus einem sehr ähnlichen Grund die Männer: Auch sie wollten Kinder, wollten Väter werden, doch sie lieben Männer.
Susanne und Stephie fielen zwei Männer ins Auge, beide Mitte 40, dunkle Haare und „ziemlich nett“. Fanden die Frauen. Die Männer hießen Thomas X. und Lothar Wolnik. Sie hatten dieses Treffen organisiert, als letzten Versuch, um doch noch irgendwie Väter zu werden. Vor ein paar Monaten hatten zwei Freundinnen, die potenziellen Mütter, sie kurz vor dem ersten Zeugungsversuch sitzen lassen. Eine ähnliche Geschichte hörten die Männer nun von Susanne Walter und Stephie Weber. Susanne war mit dem Samen eines schwulen Freundes schwanger geworden. Doch der war getürmt, samt Partner, noch vor der Fehlgeburt. Andere mögliche Erzeuger kannten die beiden Frauen nicht; und die Männer, die sie über Anzeigen in Szeneblättern trafen, trauten sich letztlich doch nicht oder waren unsympathisch. Lothar und Thomas ging es ähnlich: Ihnen fehlten potenzielle Mütter. Die Gruppe in Bremen nennt sich ‚Queer & Kids‘. Es gibt ähnliche in anderen deutschen Städten, in Berlin, Leipzig, Kiel und Köln, die Zahl wächst.
Knapp jede und jeder Zweite der Schwulen und Lesben unter Zwanzig in Deutschland will Kinder, Tendenz steigend, das belegt eine Studie aus Nordrhein-Westfalen. In Szene-Magazinen ist vom „Gayby-Boom“ zu lesen, und der Trendforscher Matthias Horx macht in unkonventionellen Vierteln deutscher Großstädte „Fertility-Cluster“ aus, wo viele Homosexuelle leben und wo auch die Zahl der Kinder von heterosexuellen Paaren steigt. Zunehmend viele Lesben und Schwule reklamieren schon seit Jahren so etwas wie Familie für sich, wo sie füreinander Verantwortung übernehmen, so manches Mal verlässlicher als Hetero-EhepartnerInnen, die dazu gesetzlich verpflichtet sind.
Dennoch ist das Kinderkriegen in diesem Land für Homosexuelle noch immer eine schwierige Angelegenheit, und das liegt nicht nur an den natürlichen Hindernissen. Wenn Lesben sich an deutschen Samenbanken Sperma besorgen wollen, findet die Bundesärztekammer dies „standesrechtlich unzulässig.“ Viele Frauen kauften den Samen deshalb im Ausland. Schwule Männer dürfen keine Leihmütter engagieren, wie dies in Großbritannien und in den USA möglich ist. In Deutschland ist das strafbar. Selbst Adoptionen kommen nicht in Frage: Eingetragenen Lebenspartnerschaften sind sie untersagt, schwule oder lesbische Einzelpersonen sind im Wettbewerb mit kinderlosen Ehepaaren fast immer chancenlos
So suchen kinderwillige Schwule und Lesben im Freundes-, im Bekanntenkreis, in Kontaktbörsen, per Anzeige und im Internet nach Samenspendern oder Gebärwilligen zur Gründung einer Familie. Regenbogenfamilie nennt die sich, wenn mindestens ein Elternteil schwul oder lesbisch ist, Queer Family, wenn alle Eltern homosexuell sind.
Immer öfter finden sich mittlerweile ein oder zwei Lesben und ein oder zwei Schwule zu einer Queer Family zusammen, oft sind es Fremde, die sich da auf eine möglicherweise lebenslange Beziehung einlassen mit einem anderen Menschen, einem anderen Paar, mit dem sie am Anfang nicht mehr teilen, als den Wunsch, ein Kind zu haben.
Susanne Walter, Stephie Weber, Thomas X. und Lothar Wolnik, die vier aus Bremen, hatten in der Kneipe lange miteinander gesprochen, und sie beschlossen, für eine Woche gemeinsam nach Dänemark zu fahren, in ein Ferienhaus, um sich genauer kennen zu lernen, und um all die Fragen zu diskutieren, die sich nun stellten: Kann ein Kind gedeihen und glücklich werden, wenn die Elternpaare nie miteinander leben und wenn das Kind das einzige Bindeglied zwischen ihnen ist, das zwischen ihnen pendelt? Hat es dann zwei Mütter und zwei Väter? Eine sehr große oder keine Familie?
Und wenn das ausdiskutiert ist, stellen sich neue Fragen: Machen wir eine Fruchtwasseruntersuchung oder nicht? Entbindet die Mutter Zuhause oder im Krankenhaus? Riskieren wir ein zweites Outing und sagen den KindergärtnerInnen, den LehrerInnen, der Volleyballtrainerin, dem Musiklehrer, dass unser Kind homosexuelle Eltern hat? Und wer bleibt zu Hause nach der Geburt? Muss alles immer einstimmig beschlossen werden?
Am Ende der Woche haben sich die vier aus Bremen auf Grundsätze für das erste Jahr geeinigt: Susanne Walter wird das Kind austragen. Es gibt keine Fruchtwasseruntersuchung, nur die Nackenfalte wird gemessen. Entbunden wird zu Hause. Die leibliche Mutter macht ihre Praxis für ein Jahr zu, und Thomas X., der leibliche Vater, zahlt für sie nach der Düsseldorfer Unterhaltstabelle. Vater und Co-Vater nehmen das Kind zunächst an zwei Nachmittagen, später, wenn die leibliche Mutter wieder arbeitet, läuft die Betreuung fifty-fifty zwischen Müttern und Vätern. Und alles Weitere wird verhandelt, wenn es dran ist.
Ein paar Wochen später klingeln Thomas und Lothar an der Tür der beiden Frauen, in den Händen einen Blumenstrauß und eine Einwegspritze, gefüllt mit Sperma. Die beiden Frauen bedanken sich, allen ist irgendwie feierlich zumute, dann schließen die künftigen Mütter die Tür. Doch der Versuch misslingt, und auch der nächste und übernächste.
Vier Blumensträuße, vier Spritzen werden überreicht, dann ist Susanne Walter endlich schwanger. Neun Monate später, nachts um halb eins, beginnen die Wehen. Stephie Weber atmet mit der Gebärenden, Thomas X. und Lothar Wolnik kochen Hühnersuppe, in ihrer eigenen Wohnung. Die Geburt wollen die Frauen allein erleben. Die Männer kommen mit der Suppe erst, als sie schon Väter sind. Zu viert sitzen sie wenig später auf dem Bett, in der Mitte ihr Sohn, Maximilian. Er wird sie verbinden, in guten wie in schlechten Zeiten.
Die ersten Schwierigkeiten gibt es schon kurz nach der Geburt. Susanne Walter fühlt sich von den Mit-Eltern nicht entlastet, sondern gestört. Sie will allein sein mit ihrem Kind, will es stillen, doch die anderen wollen eigentlich nicht gehen, sie wollen da sein und dem Kind die Flasche geben, vor allem die beiden Väter wollen das tun. Doch die Mutter setzt sich durch, die Väter müssen sich fügen, und erst als sich die Brüste von Susanne Walter entzünden, als das Stillen schmerzhaft wird, gibt es eine neue Chance für Vater und Co-Vater. Doch die Mutter macht weiter, die Co-Mutter macht Quarkwickel.
Susanne Walter ist überrascht von sich selbst. Sie wollte mehr Nähe und Gemeinsamkeit und findet stattdessen „viel weniger Schnittmenge“, als sie gehofft hatte. Auch die Männer sind unzufrieden, weil sie fürchten, dass die Mutter-Kind-Bindung zu eng wird, dass sie von ihrem Sohn nicht genug abbekommen. Um das Problem zu lösen, setzen sich die Eltern zusammen, und schließlich siegt bei der leiblichen Mutter der Wille zum Kompromiss über ihre Muttergefühle. Statt der Brust gibt es nun die Flasche, die können alle Eltern geben.
Am Ende dieser Krise spüren alle: Dies wird nicht die einzige Runde bleiben, in der die Anteile an ihrem Sohn verhandelt werden. Und das liegt, natürlich, an den vier verschiedenen Charakteren, aber auch an der Tatsache, dass Hetero-Familien auf erprobte Muster, auf Traditionen, auf halbwegs akzeptierte Geschlechterrollen zurückgreifen können. Die Paare in einer Queer Family haben diese Möglichkeit nicht, Aufgaben werden nach Vorliebe, Fähigkeit und Möglichkeit verteilt, sie besitzen keine gemeinsamen Wurzeln in einer Liebesbeziehung, sondern sind oft noch Fremde, wenn sie ein Kind bekommen. Während das Kind schon heranwächst, müssen sie noch am Fundament ihrer Familie bauen, am Vertrauen und einem Gefühl der Verlässlichkeit zwischen den Eltern. In den Krisen, die sie wie alle Mütter, Väter und Kinder managen, muss eine neue Familienidentität entstehen – eine, die auf ihre Queer Family passt, auf ihr soziales Experiment ohne Vorbilder.
Die vier aus Bremen bewegen ähnliche Fragen wie viele Regenbogeneltern, sie denken länger über ihre Familie nach als traditionelle Paare es wahrscheinlich tun. Sie fragen sich: Wie viel Nähe soll zwischen den Paaren herrschen? Hat die leibliche Mutter Sonderrechte? Und was ist mit dem leiblichen Vater? Darf er mehr verlangen als der Co-Vater, die Co-Mutter, die – wenn sie das Kind ihrer Partner nicht adoptiert haben – juristisch gesehen rechtlos sind? Haben die ständigen Verhandlungen dann Auswirkungen auf Maximilian? Auf seine Entwicklung? Sein Leben?
Ablehnend steht, nicht wirklich überraschend, die katholische Kirche Homosexuellen mit Kindern gegenüber. Papst Benedikt XVI. hält gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften für den Ausdruck „anarchischer Freiheit“. Er warnt, Familien dürften nicht zu „lockeren soziologischen Konstruktionen“ verkommen, sonst würde die Keimzelle der Gesellschaft, die heilige Ehe und die Familie, „ausgerottet“.
Unumstritten ist unter Fachleuten, dass Kinder aus Regenbogenfamilien genauso oft heterosexuell werden wie die Töchter und Söhne in traditionellen Familien, obwohl sie häufiger mit homosexuellen Erfahrungen experimentieren als andere. Und sie lernen weniger geschlechtstypisches Rollenverhalten. Schließlich erleben sie jeden Tag, dass auch Mütter Vollzeit arbeiten gehen und Väter den Brei kochen können. Weil Macht, Aufgaben und Pflichten in Regenbogenfamilien nicht automatisch an das Geschlecht geknüpft sind, haben auch homosexuelle Mütter heterosexuellen einiges voraus: Sie sind glücklicher mit ihren Partnerinnen, und das nicht nur, was den Haushalt angeht, sondern auch in ihrem Liebesleben.
Und klar ist ebenfalls: Regenbogenkinder sind psychisch genauso stabil und sozial kompetent wie ihre AltersgenossInnen aus traditionellen Familien. Vorausgesetzt, ihre Eltern sind stark genug. Denn feindlich eingestellte Nachbarn, Spielkameraden oder LehrerInnen sowie Eltern, die wegen alltäglicher Diskriminierung eingeschüchtert leben, schaden den Kindern. Am schlimmsten ist es, wenn sich die Kinder nicht zu sagen trauen, dass ihre Eltern lesbisch oder schwul sind und die Regenbogenfamilie ein Makel wird, der verborgen werden muss.
Die vier aus Bremen entschließen sich, ihre Familie nicht geheim zu halten, sondern sie offen zu zeigen. Mit einem Fest im Bremer Bürgerpark, das Maximilian feiert, zusammen mit seinen vier Eltern, fünf aktiven Großeltern, mit Freunden und Verwandten. Eine Theologin segnet Maximilian, die Großeltern strahlen, Wahl- und Blutsverwandte schreiben ihre guten Wünsche für Maximilian auf Karten und stecken sie in eine Kiste.
Nur eine Freundin der Väter, eine christliche Familienberaterin, freut sich nicht. Sie prophezeit, Maximilian wäre mit seinen homosexuellen Eltern bald „ein Fall für ihre Praxis.“ Die Skeptikerin wird enttäuscht. Bei Maximilian und seinen Eltern läuft es gut, besonders die Männer finden ihr Leben mit Kind geradezu luxuriös – verglichen mit dem Alltag, den Normalfamilien am Anfang durchleiden.
Thomas und Lothar können nachts schlafen, sie gehen weiter ins Kino, zum Essen und fahren kinderfrei in Urlaub, weil Maximilian meist im Haus der Mütter übernachtet. Aber auch die Frauen profitieren von der Größe ihrer Familie. Bei vier Eltern, fünf aktiven Großeltern, und gut zwei Dutzend Tanten, Onkeln und Freunden mangelt es nie an Babysittern, und so gehen auch die Frauen bald wieder aus, genießen ihre Freiheit und ihre Familie. Es scheint, als vereine diese Queer Family das Beste aus zwei Welten: Zeit für sich selbst und Liebe zum Kind.
Doch die große Stärke dieser Queer Family, vier reflektierte Eltern mit ausgeprägten Persönlichkeiten und Entfaltungswillen, ist zugleich ihre größte Schwäche. Ihr kreatives Potential wird zum Risiko, wenn sich das Glück und die Ziele der Einzelnen nicht mehr mit denen der anderen vereinbaren lassen.
Bei Susanne Walter und Stephie Weber ist das der Fall, noch bevor Maximilian ein Jahr alt ist. Susanne lernt eine neue Frau kennen, beim Badminton. Alte Konflikte mit Stephie flammen auf, die beiden Mütter trennen sich, und die Co-Mutter zieht aus. Die mühsam errichtete Modellfamilie droht zusammenzubrechen. Die Väter sind verunsichert. Und Stephie fürchtet, Maximilian bald nicht mehr sehen zu dürfen. Ein Recht darauf besitzt sie nicht.
Doch um Maximilians Willen setzen sich die beiden Frauen an einen Tisch, dann die Frauen mit den Männern, und am Ende haben sie neue Familienregeln. Stephie zieht in eine Wohnung in die Nähe der Väter, und sie betreut Maximilian weiterhin einen Tag in der Woche, von früh morgens bis abends spät. Im zweiten Jahr schießt sie Geld für den Unterhalt ihrer Ex-Partnerin zu – so verantwortlich fühlen sich die Frauen noch füreinander. Für die Männer ändert sich nichts.
Es ist die zweite Krise der vier aus Bremen, sie war schwerwiegender als die erste. Sie hat die vier, sie hat die Modellfamilie gestärkt, denn viel schlimmer kann es in Zukunft nicht kommen. Es gibt eine Erkenntnis, die sie gewonnen haben während dieser Krise. Möglicherweise ist es von Vorteil, dass die leiblichen Eltern von Maximilian nicht durch eine Liebesbeziehung verbunden sind, sondern nur durch die Liebe zu ihrem Sohn. Und dann ist da Erkenntnis Nummer zwei: Ihre Familie ist kein Arrangement unter Gleichen. Innerhalb des Quartetts existiert trotz aller Bemühungen die traditionelle Kernfamilie. Die biologische Elternschaft wiegt schwerer als die soziale. Auch wenn die Co-Eltern ihren Sohn lieben. Thomas, der leibliche Vater, sagt es so: „Am Ende wird es immer auf mich und auf Susanne ankommen.“
Doch zurzeit ist keine weitere Krise in Sicht, die neuen Regeln haben sich bewährt, Maximilian entwickelt sich gut. Seine Familie könnte möglicherweise in nicht all zu ferner Zukunft keine Ausnahme mehr, sondern eine akzeptierte Variante neben Hetero-Ehen, Alleinerziehenden und Patchwork-Familien sein. Selbst Bundespräsident Horst Köhler forderte ein Familienleitbild, das homosexuelle Eltern mit einschließt, die CDU nahm jüngst homosexuelle Paare in den Entwurf ihres Grundsatzprogramms auf, und in einem aktuellen Positionspapier junger CSU-Politiker findet sich der Satz: „Eine Gemeinschaft, die Kinder erzieht, ist immer eine Familie.“
Die Autorin ist verheiratet und Mutter einer Tochter. Sie veröffentlichte 2005: "Versteckt. Jüdische Kinder im nationalsozialistischen Deutschland und ihr Leben danach" (Campus).