Quo vadis, Amerika?

Wir stehen das durch, Buddy! Präsident Trump bei der Vereidigung von Richter Kavanaugh am 8. Oktober. - Foto: Kevin Dietsch/Imago/UPI Photo
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Auch Wochen nach den unwürdigen Scharmützeln um Richter Brett Kavanaugh, Trumps Favoriten für den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, reibt sich frau weiter die Augen. Wie konnte der Senat den 53-Jährigen in den Supreme Court heben, obwohl mindestens drei Frauen ihn des sexuellen Missbrauchs beschuldigten? Was stand in dem Geheimreport über Kavanaughs offenbar bewegte Vergangenheit, den die amerikanische Bundespolizei FBI den Senatoren Anfang Oktober kurz vor der Abstimmung auf Capitol Hill präsentierte?

Wie inzwischen durchsickerte, hatten sich gleich mehrere SchulfreundInnen und ehemalige KommilitonInnen des Juristen bei der Bundespolizei gemeldet. Die ErmittlerInnen sollen aber darauf verzichtet haben, sie zu Kavanaughs Trinkspielen und mutmaßlichen sexuellen Übergriffen zu befragen.

Die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford, die nach Washington geflogen war, um dem Justizausschuss über einen Verge­wal­tigungsversuch des 17-jäh­rigen „Brett“ bei einer Schülerparty im Sommer 1982 zu berichten, dürfte das letzte Fünkchen Glauben an Gerechtigkeit verloren haben. Wie auch die hunderte von AnhängerInnen der MeToo-­Bewegung, die bei Protesten auf den Stufen des Supreme Court verhaftet wurden. „Es ist an der Zeit, dass Frauen gehört werden“, hat Karen Bralove verlangt, eine frühere Mitschülerin von ­Blasey Ford. „Wir werden nicht länger den Mund halten.“

In das Meer aus Plakaten mit Forderungen wie „Glaubt Dr. Ford!“ und „Verfolgt sexuellen Missbrauch!“ mischten sich auch immer wieder Protestierende mit „Protect Roe“-Schildern. Der Hinweis auf die Grundsatzentscheidung „Roe v. Wade“, dem Recht auf Abtreibung, erinnerte an Trumps Kampfansage aus dem Jahr 2015. Mit Blick auf die Stimmen religiöser Fundamentalisten hatte der damalige Präsidentschaftsbewerber angekündigt: Er werde als Präsident ausschließlich Kandidaten für den Obersten Gerichtshof nominieren, die bereit seien, das Recht auf Abtreibung zu streichen. Die Evangelikalen wählten Trump zu 80 Prozent. Ihnen verdankt der Präsident entscheidend seinen Wahlsieg.

Trump versprach damals auch, die Mittel der gemeinnützigen Organisation Planned Parenthood Federation of America (PPFA) zu kappen. Der Verein nimmt weltweit Abtreibungen vor und betreibt Kliniken zur reproduktiven Gesundheitsvorsorge. In den Vereinigten Staaten wurde in der Vergangenheit fast jede dritte einkommensschwache Frau durch eine der etwa 800 PPFA-Kliniken mit Verhütungsmitteln versorgt. „Millionen Frauen wird dort wunderbar geholfen. Auch wenn Abtreibungen nur drei Prozent der Arbeit der Organisation ausmachen, kann ich sie nicht unterstützen“, tönte der gewählte Trump prompt zur Freude der Fundamentalisten. Nur wenige Tage nach Einzug in das Weiße Haus machte er sein Versprechen wahr und strich Planned Parenthood alle Mittel für Kliniken außerhalb der Vereinigten Staaten. Im Mai 2018 zog Trump inneramerikanisch nach und kündigte an, in Zukunft auch heimischen Einrichtungen finanzielle Unterstützung zu streichen.

Mit Kavanaugh hat Trump nun ein weiteres Wahlversprechen erfüllt. Der streng gläubige Katholik gilt als entschiedener Abtreibungsgegner - was er bei den Senatsanhörungen vor Einzug in den Supreme Court zu kaschieren versuchte. Fragen nach seiner Haltung zu dem seit 1973 durch Roe v. Wade garantierten Recht auf Abtreibung wich er geschickt mit Allgemeinplätzen aus. „Ich verstehe, dass das Thema für viele Menschen sehr emotional ist. Ich lebe schließlich nicht in einer Blase, sondern in der realen Welt“, antwortete Kavanaugh auf die Frage der Demokratin Dianne Feinstein nach seiner Position zu dem Recht der Frauen, selbst über einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. „Mir ist die Bedeutung von Roe v. Wade als Präzedenzfall bekannt. Er wurde in den vergangenen 45 Jahren wiederholt bestätigt“, wehrte er an anderer Stelle ab.

Wie Kavanaugh tatsächlich zu der in den Vereinigten Staaten wieder heftig geführten Abtreibungsdebatte steht, zeigt die Causa Garza v. Hargan. Amerikanische GrenzschützInnen hatten im vergangenen Herbst eine 17-jährige Mexikanerin verhaftet, die ohne Papiere nach Texas eingewandert war. Nach der Einlieferung in ein privates Aufnahmelager stellte sich heraus, dass die Jugendliche in der achten Woche schwanger war. Jane Doe, wie sie zum Schutz ihrer Privatsphäre in den Gerichtsakten heißt, entschloss sich zu einem Abbruch. Ein texanischer Richter attestierte der Minderjährigen die „Reife, um über eine Abtreibung zu entscheiden“.

Da die Mexikanerin auch eigenes Geld für den Eingriff hatte, machte sie einen Termin. Kurz vor der Fahrt in die Klinik untersagten Trumps AnwältInnen der Jugendlichen, das durch die Behörde für Umsiedlung von Flüchtlingen beauftragte Lager zu verlassen: Die Fahrt in eine Klinik widerspreche einem Erlass, der in Aufnahmelagern „Handlungen zur Erleichterung von Abtreibungen“ verbietet.

Nachdem die Bürgerrechtsorganisation ACLU die amerikanische Regierung in Jane Does Namen verklagt hatte, landete der Fall vor dem Bundesberufungsgericht in Washington. Einer der drei RichterInnen war Kavanaugh. Während seine KollegInnen über Verfassung und Abtreibung debattierten, schlug der neu ernannte Richter am Obersten Gerichtshof vor, Jane Doe in eine andere Einrichtung zu verlegen. Der wohl nicht ganz zufällige Haken: Von dort hätte sie zwar zu einer Abtreibungsklinik fahren dürfen, das Verfahren hätte sich aber so lange hingezogen, bis die in Texas legale Frist für Schwangerschaftsabbrüche von 20 Wochen verstrichen wäre. Auf Drängen der ACLU-­Juristin Rochelle Garza entschied das Gericht schließlich doch für Jane Doe und ihre Fahrt zu einer Abtreibungsklinik.

Falls sich Kavanaugh durchgesetzt hätte, hätte die minderjährige Mexikanerin gegen ihren Willen Mutter werden müssen. „Wird Brett Kavanaugh Roe v. Wade aushöhlen oder kippen, wenn er Richter des Supreme Court wird? Selbstverständlich!“, twitterte Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton damals empört.

Kavanaughs Einzug in den Supreme Court lässt viele liberale AmerikanerInnen nicht nur um das Recht auf Abtreibung fürchten. Der Jurist tritt die Nachfolge des im Sommer zurückgetretenen Richters Anthony Kennedy an, der trotz einer konservativen Grundhaltung für Überraschungen gut war. Er gab immer wieder den Ausschlag, wenn die vier durch republikanische Präsidenten ernannten Obersten Richter und ihre vier durch Demokraten ernannten KollegInnen bei Entscheidungen zu Homosexualität, Waffen oder Wahlen en bloc auftraten.

Unter dem republikanischen Präsidenten droht der Oberste Gerichtshof nun für Jahrzehnte in die gesellschaftspolitische Steinzeit zurück­geworfen zu werden und Amerika weiter zu spalten. Hinzu kommt: In Trumps Amtszeit werden demnächst unter Umständen zwei weitere Richterstühle frei – weil in Zeiten von MeToo und Homo-Ehe ausgerechnet die für liberale Entscheidungen bekannten Obersten RichterInnen Ruth Bader Ginsburg und Stephen Beyer ausscheiden werden.

Es sieht nicht gut aus für die Zukunft Ame­rikas, allen voran die der Amerkanerinnen.

 

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