Rachel Portman: Klingt gut
Es ist noch gar nichts passiert, da geht einem schon das Herz auf. Dabei läuft noch der Vorspann und fährt gerade erst schnaufend der Zug ein, der potenzielle Eltern anno 1943 zum Waisenhaus St. Clouds in Neuengland bringt. Die
Geschichte von Homer Wells beginnt gerade erst, und trotzdem wischen sich zartbesaitete ZuschauerInnen schon in den ersten Szenen von „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, der Verfilmung von John Irvings zutiefst feministischem Roman, die erste Träne von der Wange. Das liegt daran, dass Rachel Portman die Musik zu diesem Film komponiert hat. Das war im Jahr 1999.
Zwei Jahre zuvor hatte Portman für ihre Musik zu Jane Austens „Emma“ den Oscar für die beste Filmmusik gewonnen, als erste Frau überhaupt. Der Komponist – oder die Komponistin – entscheidet mit über die großen Gefühle der ZuschauerInnen: Beklemmung, Angst, Trauer, Erleichterung, Glück. Und wie alles, was sehr wichtig ist, ist Filmmusik fest in Männerhand. Die großen Blockbuster werden von einer Handvoll Komponisten bespielt: John Barry („Jenseits von Afrika“), John Williams („Star Wars“, „E.T.“ und fast alle Spielberg-Filme) und natürlich Hans Zimmer, der Deutsche in Hollywood, der mit seinen Filmmusiken („Fluch der Karibik“) sogar auf Tournee geht.
Und dann ist da noch diese bescheidene Britin, die auch schon seit 40 Jahren Musik für Filme schreibt. Rund 100 „Scores“ hat die 62-Jährige komponiert, vom Veteranen-Drama „Der Manchurian Kandidat“ bis zur Kitsch-Komödie „Chocolat“; von Toni Morrisons Sklaverei-Drama „Menschenkind“ bis zur Doku „Girl Rising“ gegen Zwangsverheiratung.
Beim Zoom-Interview mit EMMA sitzt Rachel Portman zwischen den Holzbalken ihres Hauses in Sussex. Gerade ist sie zurückgekehrt von einer kleinen Pressetour in Deutschland. Sie hat eine Best-of-CD herausgebracht, auf der sie ihre schönsten „Hits“ auf dem Klavier eingespielt hat. Mit „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ beginnt und endet die CD. Im Gegensatz zu ihrer isländischen Kollegin Hildur Guðnadóttir – einzige Filmkomponistin, die ebenfalls einen Oscar gewann –, die auf Beats und Elektronik setzt, ist Rachel Portman die Frau für die lyrischen Melodien. „Bei uns zu Hause hat niemand ein Instrument gespielt, aber meine Mutter hing ständig am Radio und hat klassische Musik gehört. Und sie ging in jedes Konzert, das sie bei uns auf dem Land erreichen konnte“, erzählt die Tochter einer Hausfrau und eines Versicherungsvertreters. Die musikalische Mutter von fünf Kindern war überglücklich, als mit ihrer jüngsten Tochter endlich eine ihre Begeisterung teilte. Und sie förderte Rachel, so gut sie konnte. Fand eine Klavierlehrerin, eine Cellolehrerin, sorgte irgendwie für die teuren Instrumente. „Ich bin meiner Mutter dafür so dankbar“, erzählt Portman, selbst Mutter dreier Töchter und verheiratet mit dem Filmproduzenten Uberto Pasolini.
Mit 13 komponierte das Mädchen die ersten Stücke, mit 18 begann sie ihr Musikstudium in Oxford. Mit 28 wurde sie vom Britischen Filminstitut als „Young Composer of the Year“ ausgezeichnet. Sie habe sich selbst nie als „female composer“ gesehen, hat Rachel Portman immer wieder gesagt. Das möchte sie im Gespräch mit EMMA gern erklären: „Ich bin in meinen letzten Schuljahren auf einer Jungenschule gewesen und habe gelernt, mich dort durchzusetzen“, sagt Portman. „Aber ich bin selbstverständlich stolz darauf, Filmkomponistin zu sein und damit auch ein Vorbild für junge Frauen.“ Natürlich macht sie mit bei einem Mentoring-Programm für junge Filmkomponistinnen, von denen es glücklicherweise immer mehr gebe. Frauen täten sich schwerer, ihre Kompositionen, in denen so viel Herzblut steckt, mit ebenso viel Selbstbewusstsein vorzustellen wie Männer. „Das macht sie aber gleichzeitig zu besseren Filmkomponistinnen. Denn als Filmkomponist muss man vor allem zuhören und offen für das sein, was im Film passiert und was der Regisseur oder Regisseurin sich vorstellen.“
Was Portman nach 100 Filmen gern noch komponieren würde? „Ich würde gern die Musik zu einem Western schreiben. Das stelle ich mir sehr lustig vor.“
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