Volksmütter und Skingirls

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Sie sind wieder drin. Hätten nur Frauen gewählt, wären sie draußen. Denn wie schon bei den Landtagswahlen 2006 sind zwei Drittel der NPDWählerschaft männlich. Sechs Prozent holten die Rechtsextremen am 4. September 2011 in Mecklenburg-Vorpommern, von den Wählerinnen machten aber nur vier Prozent ihr Kreuz bei Spitzenkandidat Udo Pastörs und dessen Mannen – und Frauen. Zwar waren nur zwei von 36 Direktkandidaten der NPD weiblich, und auf der Landesliste keine einzige Frau. Es gibt sie dennoch, die „Kameradinnen“ und „Skingirls“. Und sie scheinen an Bedeutung zu gewinnen. Auch wenn es im NPD-Parteiprogamm unmissverständlich heißt: „Die Leistung der Hausfrau und Mutter ist mit keiner Arbeitsleistung anderer Berufe zu vergleichen.“

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Dass Frauen ihren Männern den Rücken freihalten, ist für den NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs Teil des „gesunden Volksempfindens“. Als 2006 die NPD in Mecklenburg-Vorpommern mit über sieben Prozent erstmalig in den Landtag einzog, trat Pastörs am Wahlabend ans Mikrofon und bedankte sich bei seinen Unterstützern – und er vergaß die Frauen nicht. Einer ihrer bedeutendsten Beiträge zum Wahlsieg sei das „Wäschewaschen für die Kameraden“ gewesen. Es seien diese „stillen, treuen, schaffenden Frauen“, schmetterte er, die der NPD so gut täten.

Die Neonazissen mögen treu und schaffend sein – still sind sie nicht. Jedenfalls nicht immer. Sie halten flammende  Reden gegen das Gender Mainstreaming (was auch immer sie darunter verstehen), das den „Volkstod der Deutschen“ bedeute. Sie sitzen in Stadträten und stellen dort Anträge auf „getrennte Schulklassen für Deutsche und Ausländer“. Sie sitzen, wie die Zwickauerin Gitta Schüßler, im Landtag und fordern „Müttergehalt statt Elterngeld“. Sie organisieren sich in eigenen Verbänden wie den „Düütschen Deerns“, dem „Mädelring Thüringen“ oder dem „Ring Nationaler Frauen“.

Jedes vierte NPD-Mitglied ist heute weiblich. Längst haben die rechten Kameraden erkannt, dass mit ihren Kameradinnen, die doch laut Programm an Heim und Herd gehören, im Wahlkampf viele Stimmen zu holen sind. Denn Frauen soften das Image der rechten Männerbünde ab und schaffen so Akzeptanz bei denen, die mit Neonazis bisher nur martialische Mannsbilder und prügelnde Skinheads verbunden haben. So gewinnt die NPD durch Frauen zunehmend Einfluss in Eltern vertretungen und Vereinen oder in Umweltschutz- und Ökoinitiativen. Durch Frauen wie Marianne Pastörs.

Die Frau des mecklenburg-vorpommerischen NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs scheint ihre Doppelrolle zwischen treusorgender Gattin und rechter Aktivistin perfekt zu beherrschen. Zwar schweigt sie, wenn ihr Mann und seine Parteifreunde reden und beschränkt sich auf zustimmendes Lächeln an den passenden Stellen. Bei Parteiveranstaltungen sitzt sie nicht auf dem Podium, sondern im Publikum und klatscht huldvoll, wenn ihr Mann, der wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, mal wieder eine seiner pathetischen Reden hält.

Aber als Abgeordnete im Stadtrat von Lübtheen ergreift Marianne Pastörs durchaus auch selbst das Wort: „Zu lange haben wir im nationalen Lager die sozial- und familienpolitischen Aktivitäten einer linken Denkschule überlassen, die eine naturwidrige Vorstellung von Emanzipation auf allen Gebieten und um jeden Preis propagiert“, erklärte sie jüngst bei der Gründung der ersten Regionalgruppe des „Rings Nationaler Frauen“, kurz RNF.

Marianne Pastörs hat Stenotypistin gelernt und sich später zur Diamant-Gutachterin ausbilden lassen. Im Frühjahr 2011 lieh sie der klammen NPD für den Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt 25 000 Euro – die verfehlte den Einzug nur knapp. Vor über zehn Jahren siedelten Marianne Pastörs und ihr Mann, gelernter Uhrmacher und Juwelier, aus Heinsberg bei Aachen um nach Mecklenburg-Vorpommern.

Gemeinsam mit vielen anderen „nationalen Siedlern“, die ein „starkes deutsches Bauerntum“ anstreben, zog das Ehepaar, das seinem Parteivorsitzenden Udo Voigt nur ein Kind geschenkt hat, in ein ehemaliges „Reichsmusterdorf“ nahe Lübtheen. Auf dem weitläufigen Anwesen werden Buchsbäume und Pferde gezüchtet, Marianne Pastörs betreibt nach eigenen Angaben einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Neonazis aus dem gesamten Norden trafen sich dort 2010 zum Erntedankfest. Im ehemaligen Schmuckgeschäft des Ehepaars in der Lübtheener Innenstadt ist inzwischen das NPD-Büro untergebracht. Dort treffen sich auch Marianne Pastörs und ihre Mitstreiterinnen vom RNF.

Bei den Kommunalwahlen 2009 errang die Gattin des NPD-Fraktionsvorsitzenden ein Mandat, das sie – ganz wie eine weitere Kandidatin – an zwei NPD-Männer abtrat. Hinter vorgehaltener Hand gilt insbesondere der Landesverband der NPD an der Ostsee als „Männersekte“. Selten wagt jemand, den mächtigen Verband in Mecklenburg- Vorpommern offen zu kritisieren. Nachdem die beiden NPD-Frauen durch Männer ersetzt worden waren, schimpfte lediglich die sächsische Landtagsabgeordnete Gitta Schüßler über den „Betrug am Wähler“. Schnell wurde sie zum Schweigen gebracht, vor allem von ihren Geschlechtsgenossinnen, die der eigenen Politikerin „feministische Absichten“ unterstellten. Nach einem Misstrauens antrag musste sie als Vorsitzende des „Rings Nationaler Frauen“ zurücktreten. Marianne Pastörs hingegen äußerte sich nicht. Ihr Mandat für den Stadtratsposten im heimischen Lübtheen jedoch nahm sie an.

Die deutschlandweit rund 100 Kaderfrauen im RNF, der 2006 gegründeten Frauenorganisation der NPD, verstehen sich als „Sprachrohr der Frauen in der Partei und der Bewegung“ und wollen „Frauen zur Übernahme von Verantwortung in den Kommunen, auf Landes- und Bundesebene“ befähigen und ermuntern. Eigene frauenpolitische Forderungen haben die NPDMarianne Frauen allerdings nicht – sie wettern stattdessen gegen Feminismus und Gender Mainstreaming und sind, ganz wie ihre Männer, glühende Anhängerinnen des Biologismus. „Die Welt der Frau sind der Mann, die Kinder und das Heim. Ihre Aufgabe ist es, Bewahrerin des rassischen Erbes zu sein“, erklärt RNF-Chefin Edda Schmidt.

Die Argumente der deutschen Neonazis ähneln frappant denen von Maskulisten wie Michael Klonovsky, die gegen die durch den Feminismus verursachte „Verweiblichung des Mannes“ polemisieren und angesichts der zunehmenden Anzahl unmännlicher Jammerlappen um die Verteidigung des Landes gegen die muslimische Invasion fürchten. Auch die christlichen Fundamentalisten à la Eva Herman blasen ins gleiche Horn und treffen sich mit den Neonazis auch in ihrer Ablehnung des Rechts auf Abtreibung.

So fällt die biologistische Propaganda der Nazis auf fruchtbaren Boden. Denn: „Diese Haltung ist auch jenseits der rechtsextremen Lebenswelt recht verbreitet. Dass sie gesellschaftlich anschlussfähig ist, zeigt unter anderem das große Interesse an Büchern wie ‚Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken‘. Die NPD versucht daher, mit Teilelementen ihrer Frauen- und Familienpolitik konservativ geprägte Wählerschichten anzusprechen“, konstatierten Rechtsextremismus-Expertinnen beim Fachgespräch über „Frauen in der Nazi-Szene“, zu dem die Grünen im Bundestag geladen hatten. „Dabei nutzen speziell die Frauen bürgerliche Andockstellen, die man gar nicht mit Rechtsextremismus in Verbindung bringt, um Einfluss auszuüben.“

Das Kalkül scheint aufzugehen. Die Zahl der Rechtswählerinnen steigt. Zwar wählten bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern wie seit Jahren doppelt so viele Männer wie Frauen die NPD. Aber in den jüngeren Altersgruppen, wo die Rechten am stärksten sind, wird der traditionell große Gender Gap kleiner: Unter den 18- bis 29-Jährigen wählt heute jeder sechste Mann die NPD – und jede zehnte Frau.

Die NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme verwies im November 2009 auf eine repräsentative Umfrage der Universität Leipzig, nach der sich der Anteil weiblicher NPDWähler auf Bundesebene von 26 Prozent im Jahr 2006 auf 36 Prozent im Jahr 2009 erhöht habe. „Ein Zuwachs von immerhin knapp zehn Prozent, der uns als Nationaldemokraten in unserem Kurs bestätigt“, kommentierte Gitta Schüßler und triumphierte: „Nachdem die NPD jahrzehntelang den Ruch einer ewiggestrigen Altherrenpartei hatte, ist es uns gelungen, zunehmend Frauen für nationale Themen zu interessieren.“

Allerdings sind junge Frauen, die mit der rechten Szene sympathisieren, bisweilen von der antiquierten Attitüde der Kameradinnen irritiert. Zum Beispiel, wenn die Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF), die älteste Frauenkameradschaft, die „Volksmutter“ als Vorbild für den weiblichen Lebensentwurf propagiert. So sei der Mann „Wegbereiter“, während die Frau „Hüterin, Walterin des nie versiegenden Bornes deutschen Volksgutes“ sei. Die GDF beklagt die Zerstörung der deutschen Familie, agitieren folglich gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften und die „vermischte Blutsuppe“ einer multikulturellen Gesellschaft. Aber selbst diese konspirativ agierende Frauentruppe, die aus knapp hundert Mitgliedern besteht, kommt aus dem ideologischen Dilemma zwischen Hausfrau und Aktivistin nicht heraus. Unter Umständen sei „mit der richtigen Erziehung von drei bis fünf Kindern mehr erreicht“ als durch die aktive Mitgliedschaft in einer Organisation, verkündet die Frauengemeinschaft. Denn: Verweigert sich eine deutsche Frau ihren „naturgegebenen Pflichten als Mutter, dann macht sie sich im schwersten Maße mitschuldig am Untergang des eigenen Volkes“.

Doch es gibt auch eine moderne Variante bei den rechten Frauen. Die Berliner Gymnasiastin Johanna reizte die Gratwanderung zwischen „reaktionären Frauenverständnis“ und „Abenteuerlust“. Johanna gehörte zu den „Autonomen Nationalisten“, und sie ging, wie immer mehr junge Frauen, nicht als „Freundin von“ in diese Szene, sondern aus eigenem Antrieb. „Das heroische Ideal der stolzen Germanin und Kämpferin für die ‚nationale Sache‘ bietet vielen Mädchen einen Impuls zum Einstieg“, erklärt Heike Radvan von der „Fachstelle Gender und Rechtsextremismus“ der Amadeo Antonio Stiftung. „Sie können sich mit dieser Vorstellung aufwerten, zum Beispiel gegenüber der ‚unterdrückten Orientalin‘.“

Diese jungen Rechten tragen bevorzugt schwarze Sportkleidung, dunkle Sonnenbrillen und Basecaps. Sie gelten als aggressive „Pop-Neonazis“ und reihen sich bei Aufmärschen hinter den Transparenten des nationalen „Black Blocks“ ein. Seit etwa zehn Jahren sind sie vor allem in den Metropolen aktiv. Spontanaktionen, Provokationen, das Ausspähen politischer Gegner und Überfälle gehen auf ihr Konto.

„Es gab Frauen in der Szene, die waren deutlich gewaltorientierter als die Männer“ erinnert sich Johanna. Einige hätten regelrecht „körperlich zurückgehalten“ werden müssen. Tatsächlich gehen Experten mittlerweile von einem auf zehn Prozent gestiegenen weiblichen Anteil an rechten Straftaten wie Propagandadelikten, Beleidigungen und auch Körperverletzungen aus.

Johanna gründete die 2005 verbotene „Mädelgruppe“ der „Kameradschaft Tor Berlin“ mit – und verließ die Szene wenig später wieder. Der entscheidende Grund für ihren Ausstieg: Ihre männlichen Kameraden machten ihr so viele Vorschriften, dass sie sich „fremdbestimmt“ gefühlt habe. So untersagten sie ihr, als Frau an einer Demonstration teilzunehmen. „Ich war immer dabei. Auf einmal erhielt ich die unmissverständliche Order, ja zu Hause zu bleiben, weil es gefährlich werden könnte.“

Es war dieses Verbot der eigenen Kameraden, das ihr die Augen öffnete, sagt sie heute. Das junge Mädchen begann über ihre Ideologie nachzudenken und beiseite geschobene Widersprüche „überhaupt erst einmal zu realisieren“. Langsam kapselte sie sich ab. Es gab Drohungen. Johanna hatte Glück. Sie profitierte von der Uneinigkeit in den Reihen ihrer ehemaligen Kameraden darüber, ob Frauen als Aussteigerinnen genauso angegriffen werden dürften wie Männer.

Heute schämt sie sich, spricht von einer „verlorenen“ Zeit. Wie die Kameraden sei sie überzeugt von der „nationalen Sache“ gewesen. Und nur weil sie niemanden verletzt habe, könne sie sich nicht von einer Schuld lossprechen, räumt die junge Frau ehrlich ein. „Ich habe zwar keinen Menschen körperlich geschädigt, aber ich bin durchaus mitverantwortlich, weil ich viele – vor allem junge Männer – angeworben habe.“

Marianne Pastörs gehört noch dazu. Sie besucht Dorfgemeinschaftsfeste oder Osterfeuer der Einheimischen. Sie ist keine von ihnen, grüßt aber freundlich. Plaudert im Blumengeschäft oder beim Einkaufen. Ein Stadtrat kommentierte den Auftritt der eleganten Dame nach der ersten Sitzung des Stadtrats von Lübtheen überrascht: „Die Frau Pastörs ist schon anders als die anderen Braunen.“ Die Strategie Frauen funktioniert.

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Andrea Röpke/Andreas Speit: Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene (Ch.Links, 16.90 €)

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