Revoluzzerin aus der Schweiz

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Franziska Herren kämpft für sauberes Trinkwasser in der Schweiz – denn das ist besonders schmutzig! Und gegen die Massentierhaltung. Und Meret Schneider, Nationalrätin der Grünen, kämpft mit einem Volksbegehren gegen die Massentierhaltung. Wie zwei Frauen die Schweiz umkrempeln wollen.

Eigentlich ist sie von Beruf Fitnesstrainerin. Doch Franziska Herren lässt nicht im Fitnessstudio, sondern auf dem Land die Muskeln spielen. Sie ist nicht einverstanden. Mit der Massentierhaltung, mit Futtermittelimporten, mit überdüngten Feldern und Wiesen, mit dem giftigen Pestizideinsatz, der Verschwendung von Lebensmitteln. „Die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, ist selbstzerstörerisch. Das muss sich endlich ändern“, sagt sie. Das würden wahrscheinlich Millionen Menschen direkt so unterschreiben – und dann bei der Frage nach dem Wie mit den Achseln zucken.

Franziska Herren hat eine Antwort gefunden: Trinkwasser. Das ist in der Schweiz so hoch mit Nitraten und Pestiziden belastet, dass es in der Volksseele brodelt. Das Wasser soll ihr den Weg zur Revolution bahnen.

Die für uns so romantische Schweizer Landwirtschaft ist eine der intensivsten Agrarindus trien – selbst im Vergleich zur gesamten europä ischen Landwirtschaft, die weltweit zu den intensivsten gehört.

Jährlich werden 2.000 Tonnen Pestizide auf den Feldern versprüht. Dies entspricht 4,5 Kilogramm pro Hektar Agrarland, und damit dem Doppelten der in Österreich oder Deutschland gespritzten Mittel. Die Schwellenwerte für Pestizide werden regelmäßig übertreten: über eine Million SchweizerInnen konsumieren Trinkwasser, das mit Pestizidrückständen über dem gesetzlichen Grenzwert belastet ist.

Um die hohen „Nutztierbestände“ unterhalten zu können, importiert die Schweiz jedes Jahr über eine Million Tonnen Futtermittel, vorrangig aus Brasilien. In der Folge entsteht viel mehr Gülle, als auf den Feldern ausgetragen werden kann. Der GülleÜberschuss und darin enthaltenes Ammoniak, Nitrat, Phosphat und Antibiotika bahnen sich ihren Weg in Gewässer oder sickern ins Grundwasser. Und das aus gerechnet in der Schweiz – dem Wasserpark Europas, mit seinen 500 Seen, 890 Quadratkilometern Gletschern und unzähligen Flüssen und Bächen.

Trinkwasser und Landwirtschaft sind also eng miteinander verknüpft. Bessert sich das eine, bessert sich das andere. Sieben Jahre hat Franziska Herren gebraucht, um ihre Initiative „Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung“ auf den Weg zu bringen. Ohne Rückendeckung einer Partei, als ganz normale Bürgerin und – belächelt von sämtlichen Behörden. Der letzte Schritt war die Volksinitiative. Als ein Wasserforschungsinstitut im April einen Bericht über die zu hohe Pestizidbelastung in Schweizer Bächen veröffentlichte, wurde die Unterschriftensammlung zum Selbstläufer. Verseuchtes Wasser will niemand. Damit eine Volksinitiative auf Bundesebene zustande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften von Stimm berechtigten gesammelt werden. Innerhalb von nur zehn Monaten unterzeichneten über 120.000 Menschen Herrens Initiative. Im November wird das gesamte Schweizer Stimmvolk an der Urne abstimmen.

Seit 2018 wird die Trinkwasserinitiative auch von Greenpeace und Pro Natura unterstützt. Konkret sollen die landwirtschaftlichen Direktzahlungen anders verteilt werden. 3,7 Milliarden Franken an direkten Subventionen fließen in die Landwirtschaft. Herren spricht von einer „Umpolung“ des Geldes. Subventioniert werden sollen nur noch Landwirtschaftsbetriebe, die keine Pestizide einsetzen und an ihre Tiere nicht schon vorbeugend Antibiotika verfüttern. Außerdem sollen jede Bäuerin und jeder Bauer nur noch so viele Tiere halten dürfen, wie sie oder er vom eigenen Land und ohne importiertes Futter ernähren kann. Subventionen gäbe es dann also nur noch für BiobäuerInnen. Es wäre das Ende der Massentierhaltung in der Schweiz. Eine Revolution.

Die Landwirtschaftslobby bekämpft das Anliegen mit viel Geld. Weniger Tiere auf Schweizer Höfen bedeute mehr Import, also Fleisch aus dem Ausland, argumentiert der Verband. „Weniger Tiere auf den Höfen könnte aber auch weniger Fleisch auf dem Teller bedeuten“, kontert Herren. Für das Forschungsinstitut für biologischen Landbau ein vernünftiges Szenario. „Nicht nur für die Ökologie, sondern auch für die Gesundheit wäre es sowieso besser, wenn wir nur noch halb so viel Fleisch essen“, sagt der abtretende Leiter des Instituts, Urs Niggli. Und die BürgerInnen ziehen mit: Der Fleischkonsum in der Schweiz nimmt seit Jahren ab und liegt derzeit bei rund 45 Kilo pro Kopf pro Jahr. (In Deutschland sind es 60 Kilo.)

Zum Umdenken in Sachen Fleischkonsum  beigetragen hat auch eine weitere Volksinitiative, die in 2022 zur Abstimmung kommen soll. Meret Schneider, Nationalrätin der Grünen und Aktivistin der Tierrechtsorganisation „Sentience Politics“, hat im Herbst 2019 rund 100.000 Unterschriften für ihre Volksinitiative „Keine Massentierhaltung in der Schweiz“ eingereicht. 15 Bio- und Tierrechtsorganisationen haben sich ihr bereits angeschlossen.

Auch Schneider verlangt eine radikale Umstellung der Schweizer Landwirtschaft. Dazu gehört der Zugang für die Tiere ins Freie, die Art der Schlachtung und die maximal zulässige Gruppengröße pro Stall. Nach einer Übergangsfrist von maximal 25 Jahren soll die Tierhaltung nur noch nach Vorgaben erlaubt werden, die sich am Standard der Vereinigung Biosuisse ausrichten, dem Dachverband von 32 Organisationen der biologischen Landwirtschaft und einem der besten BioSiegel der Welt. Nur ein Beispiel: Heute erlaubt sind 18.000 Legehennen in einem Stall. Biosuisse lässt nur 2.000 zu (in Deutschland sind 80.000 Hennen pro Stall die Regel.)

Die 28-jährige Politikerin: „Viele Landwirte wären froh, würde die Initiative umgesetzt. Sie leiden unter dem enormen Preisdruck, der fortschreitenden Konzentration und der hochge züchteten Rassen.“ Der Bundesrat hat bereits einen Gegenvorschlag vor das Parlament gebracht, der das Anliegen der Initiative in ihren Grund sätzen teilt.

Franziska Herren und Meret Schneider haben an den richtigen Stellen zugepackt – die Schweiz wird umgekrempelt.

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