Poberschnigg: Hoch hinaus
Wenn sie sich vom Hubschrauber zu einem Verunglückten in einer Felswand der Zugspitze abseilt, bekommt Regina Poberschnigg nicht selten die Frage gestellt: „Ja, können Sie das denn auch?“ „Naa, wir versuchen’s halt a mal!“ brüllt die Bergretterin dann gegen Lärm der Rotorblätter des Hubschraubers. Regina Poberschnigg hat Humor. Den braucht sie auch als eine der raren Frauen in der Bergrettung.
Nicht nur männliche Kollegen, sondern sogar manche Verunglückte, deren einzige Rettung sie ist, zweifeln an ihrem Können. Warum? Weil sie eine Frau ist. Dabei rettet die Tirolerin nicht nur Menschen, sie leitet sogar eine „Bergrettungseinsatzstelle“. In Ehrwald, am Fuß der Zugspitze auf der österreichischen Seite des Bergs. 60 Männer hat sie unter sich und eine Frau.
Seit 2015 haben sich die Einsätze der Einsatzstelle verdoppelt. Die Menschen werden leichtsinniger. Regina rückt im Sommer nahezu täglich, am Wochenende sogar mehrere Male aus und rettet alle, die die WetterWarnungen ignoriert haben, die abgestürzt sind oder verschüttet wurden. Nicht nur Bergsteiger und Kletterer, auch Mountainbiker, Gleitsegler und Motorradfahrer. Im Sommer wie Winter, bei Regen, Schnee und Eis oder auch mitten in der Nacht. „Wenn mein Funkgerät sich meldet, springe ich aus dem Bett und düse los. Dann zählt jede Sekunde“, sagt die 56-Jährige.
Raum für eine Familie ist da nicht. Am Spiegel ihres Jeeps baumelt ein Rosenkranz. „Tod und Leichtsinn am Berg sind männlich“, weiß die Bergretterin. „Männer kehren nicht einfach um, wenn die Lage gefährlich wird. Sie wollen sich etwas beweisen, sie suchen das Risiko, wollen den Kick. Das endet dann manchmal tödlich.“ 2018 starben in Österreich 230 Männer am Berg – und 38 Frauen. „Frauen müssen wir retten, weil sie Pech hatten, weil sie vom Wetter überrascht wurden oder ausgerutscht sind. Frauen setzen ihr Leben nicht leichtsinnig aufs Spiel, aber die jungen Männer, die glauben unbesiegbar zu sein. „Wir haben schon 20-Jährige in kurzen Hosen und Turnschuhen aus der Felswand geholt“, erinnert sie sich.
Regina ist in den Bergen aufgewachsen, als ältestes von vier Mädchen. Ihr Vater Erwin war ebenfalls Bergretter und Chef einer Zimmerei, Mutter Maria kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder. Schon als Jugendliche ist sie auf Dreitausender gestiegen. Wenn sie in den Bergen als Guide unterwegs war, stieß sie oft auf Unfälle. Irgendwann drückten ihr die Ehrwalder ein Funkgerät der Bergretter in die Hand, damit sie nicht bis zur Schutzhütte musste, um Hilfe zu rufen. Auf die Idee, sie zur amtlichen Bergretterin zu machen, musste Regina die Bergwelt erst bringen. „Eine Frau bei der Bergrettung? Das gibt es nicht!“ hieß es, Frauen waren sogar ausdrücklich verboten. Regina boxte eine Abstimmung durch – und gewann. Die Bergrettung musste ihre Statuten ändern. Seither dürfen in ganz Österreich auch Frauen retten.
Inzwischen ist Regina seit 21 Jahren bei der Bergrettung. Es gibt nicht viel, was sie nicht erlebt hat. Menschen, die 300 Meter tief abstürzen, sehen schlimm aus. Sie hat so viele Tote gesehen, dass sie sie schon lange nicht mehr zählt. Nach schlimmen Einsätzen gehen sie und ihr Team auch schon mal einen Schnaps trinken. Aber es überwiegen die Momente der Freude: „Der dankbare Blick eines Menschen, dem gerade das Leben gerettet wurde. Diese unendliche Erleichterung“. Noch Jahre danach bekommt die Bergretterin Postkarten von Geretteten aus allen Teilen der Welt
Die Bergrettung ist in Deutschland und Österreich ein Ehrenamt, im Hauptberuf ist Regina als Guide unterwegs, führt WanderInnen durch die Berge und vermietet Ferienwohnungen. Als junge Frau startete sie nach der Schule als Bürokauffrau. „Das war mir nix“, sagt sie, „ich brauche den Himmel und die Berge.“
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