„Es liefen Wetten, ob wir durchhalten!“
Ziegler Film wird dieses Jahr 50. Wie feiern Sie?
Regina Ziegler Mit einer Gala im Tipi am Kanzleramt.
Sie, Regina Ziegler, haben die Firma 1973 gegründet. Sie, Tanja Ziegler, sind im Jahr 2000 als Geschäftsführerin eingestiegen. Wie sieht Ihre Arbeitsteilung aus?
Tanja Ziegler Es gibt keinen Film, den wir zusammen produziert haben, und das seit 23 Jahren. Ich glaube, dass wir auch deshalb so gut miteinander arbeiten können, weil jede ihre eigenen Produktionen macht.
Regina Ziegler Wir achten gemeinsam darauf, dass die Bilanz stimmt. Mit Anfang Fünfzig habe ich beschlossen, meine Tochter zu fragen, bevor ich eine andere Partnerschaft für die Firma eingehe. Sie hatte sich gerade eine Filmproduktion, Luzi Film, aufgebaut und sagte, sie müsse darüber nachdenken. Es war von Anfang an klar, dass jede ihre eigenen Projekte macht, sonst würde es nicht so gut funktionieren bei uns. Jede entwickelt ihre eigenen Geschichten, setzt sie durch und steht dann auch dafür.
Tanja Ziegler Im ersten halben Jahr nach meinem Einstieg habe ich schlecht geschlafen, aber man wächst mit seinen Herausforderungen.
Reden wir mal über Geld und Geschäft. Wie gehen Sie mit dem finanziellen Risiko um, das zu Ihrer Branche gehört?
Regina Ziegler Am 27. April 1973 habe ich mit 60 D-Mark Eigenkapital die persönlich haftende Firma, die Regina Ziegler Filmproduktion, gegründet. Davor hatte ich als Produktionsassistentin beim Sender Freies Berlin gearbeitet. Es ist schon ein Unterschied, ob du bei einem Sender bist oder als Unternehmerin einen Kredit über 400.000 D-Mark aufnimmst und persönlich dafür geradestehen musst. Wenn du eine Firma aufbaust, musst du wissen, dass das auch schiefgehen und die Insolvenz vor der Tür stehen kann. Du brauchst eine Menge Durchhaltevermögen. Einmal habe ich nach einem finanziellen Misserfolg meine Altersvorsorge aufgelöst und mir selbst kein Gehalt mehr ausbezahlt. Das ging natürlich nur, weil Wolf Gremm, mein Mann, als Regisseur erfolgreich war.
Welche Eigenschaften braucht eine Produzentin?
Tanja Ziegler Ängstlich sollte sie nicht sein …
Regina Ziegler Hartnäckigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und ein gutes Gefühl für Stoffe. Man muss Trends erkennen. Bei vielen Projekten musste ich erst gegen die Skepsis arbeiten. Als wir „Weissensee“ entwickelt haben, wurden wir nicht mit offenen Armen in der ARD empfangen. Eine Serie, die in der DDR der Achtziger Jahre spielt. Und dann kam der Riesenerfolg.
Als Sie die Firma 1973 gründeten, durften westdeutsche Frauen ohne die Einwilligung ihres Ehemanns nicht einmal einen Arbeitsvertrag unterschreiben. Wie haben denn die männlichen Kollegen damals auf Sie reagiert?
Regina Ziegler 1973 war ich gerade nicht verheiratet, deswegen musste ich auch niemanden fragen. Ich hatte das große Glück, dass der Filialleiter der Bank für Handel und Industrie am Theodor-Heuss-Platz mich unterstützen wollte. Die Kollegen allerdings waren über eine Frau als Konkurrentin not amused. Aber in den Sendern kam mir sehr viel Sympathie entgegen, besonders vom WDR und vom ZDF, und ich hatte Wolf Gremm an meiner Seite, der mich darin bestärkte, meinen eigenen Weg zu gehen. Als Regisseur wusste er, dass damals eine Karriere im Sender für Frauen nicht vorgesehen war. Meine Tochter hatte Verständnis, denn ab und zu war ich auch mal weg. Ich hatte als Kind die gleiche Erfahrung gemacht, meine Mutter war als rasende Reporterin ständig auf dem Moped unterwegs.
Tanja Ziegler Ich war in den Sommerferien oft bei der Großmutter in der Nähe von Hannover, wenn Regina gedreht hat. Als ich mit 15 ins Internat gehen wollte, unterstützte mich meine Großmutter Trude finanziell und erfüllte mir diesen Wunsch. Das hat meine Perspektiven geöffnet. Regina Ziegler Meine Mutter hat mich sehr geprägt. Tanja, Wolf und ich haben ein Buch über sie herausgebracht – „Alle nannten sie Trude“, mit einer Auswahl aus ihren Fotos. Tausende von Negativen haben wir dafür gesichtet. Trude war 1943 im Krieg mit meiner fünfjährigen Schwester Barbara und mit mir hochschwanger drei Tage und vier Nächte im Luftschutzkeller verschüttet. Trude hatte einen unglaublich starken Überlebenswillen und ist konsequent ihren Weg gegangen. Später hat sie alles durchgesetzt, was sie durchsetzen wollte. Aber es gibt Dinge, die wir nicht beeinflussen können. Mein Vater ist früh gestorben und nach wunderbaren 44 Jahren ist Wolf vor acht Jahren von uns gegangen.
Haben Sie einmal daran gedacht, das Leben Ihrer Mutter, Ihrer Großmutter zu verfilmen?
Regina Ziegler Darüber denke ich zurzeit nicht nach.
Tanja Ziegler Ich würde dein Leben auch nicht verfilmen – finde, da muss jemand von außen drauf schauen, sonst wird das zu familiär.
Sie, Tanja, sind in der Film-Branche aufgewachsen.
Tanja Ziegler Man saugt den Beruf nicht mit der Muttermilch auf. Das ist ein Missverständnis, dem ich auch während meines Studiums an der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg öfter begegnet bin. Da fragte mich zum Beispiel einer der Dozenten, wie das denn war, als Regina „Korczak“ von Andrzej Wajda produziert hat. Ich konnte ihm damals nur sagen: Ich war nicht dabei. Schon vor und während des Studiums sammelte ich berufliche Erfahrungen in der Produktion, und so konnte ich Reginas Angebot, die Ziegler-Film gemeinsam mit ihr zu führen, zustimmen.
Regina Ziegler Ich war von Anfang an von dir überzeugt.
Tanja Ziegler Mir wurde erzählt, dass in der Branche Wetten gelaufen sind, wie lange wir das durchhalten. Ich hoffe, dass die Wettenden viel Geld verloren haben. Nun arbeiten wir bereits seit 23 Jahren zusammen. Und gerne zeigen wir uns – nach Fertigstellung – unsere Filme.
Regina Ziegler Von „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ durfte ich immerhin den Rohschnitt sehen (lacht).
Tanja Ziegler Mit dieser Kinoproduktion sind wir dreimal für den Deutschen Filmpreis (Verleihung: 12. Mai, Anm. d. Red.) in den Kategorien Maskenbild, Kostümbild und beste weibliche Nebenrolle nominiert. Der Film erzählt die DDR noch mal aus einem anderen Blickwinkel. Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine junge Frau, die in den letzten Monaten der DDR vor dem Mauerfall ihre Träume lebt und versucht, ihren Weg zu gehen.
Regina Ziegler Nach dem deutschen Kinostart im vorigen Herbst läuft er jetzt erfolgreich im Ausland.
Tanja Ziegler Der Film ist durch starke Frauen entstanden. Aelrun Goette führte Regie und schrieb das Drehbuch. Susa Kusche und ich finanzierten den Film in einem Jahr, und es gab tolle Frauenrollen, gespielt von Marlene Burow, Claudia Michelsen und Jördis Triebel. Auch hinter der Kamera waren, außer dem Kameramann Benedict Neuenfels, viele großartige Frauen am Set.
Innerhalb der Branche ist so viel Frauenpräsenz die Ausnahme. Initiativen wie „Pro Quote Film“ weisen seit Jahren auf mangelnde Gleichberechtigung im Filmbusiness hin. Noch immer, sagen sie, bestimmen Männer als Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten die Geschichten, die Kino, Fernsehen und Streaming-Plattformen erzählen. Und Männer werden in der Filmindustrie deutlich besser bezahlt als Frauen. Die Drehbuchautorinnen Annette Hess und Kristin Derfler forderten erst im vorigen Jahr eine Frauenquote für Serien. Was halten Sie davon?
Tanja Ziegler Ich habe das Statement der beiden Autorinnen gelesen und kann die Wut gut verstehen Drehbuchautoren waren lange nicht sichtbar und Drehbuchautorinnen noch weniger. Ich glaube, dass es Bereiche gibt, in denen eine Quote notwendig ist.
Regina Ziegler Ziegler Film war von Anfang an immer eine Frauenfirma. Wir haben zeitweise nur drei oder vier Männer in der Firma beschäftigt und zehn Mal so viele Frauen. Das haben wir gut durchgehalten. Wenn ich mich erinnere, mit wem wir in den fünf Jahrzehnten zusammengearbeitet haben, komme ich auf sehr viele Drehbuchautorinnen und Regisseurinnen.
Tanja Ziegler Es gibt inzwischen viele hochqualifizierte Frauen in der Filmbranche. Ich wehre mich trotzdem gegen das Prinzip einer Quote um jeden Preis. Wenn ich einen Stoff habe, für den ich eher einen bestimmten Regisseur sehe, dann möchte ich das auch so umsetzen können. Es muss inhaltlich passen. Ziegler Film hat schon immer sehr viele Filme mit Frauen gemacht. Wir haben die Quote von Anfang an erfüllt.
Regina Ziegler Und was Schauspielerinnen betrifft, haben wir schon vor fast 25 Jahren eine TV-Reihe produziert mit dem Titel „Lauter tolle Frauen“. Darin haben Schauspielerinnen jeden Alters mitgespielt, wie zum Beispiel Thekla Carola Wied, Michaela May, Tina Ruland, Judy Winter, Jutta Speidel und Jennifer Nitsch. Margarethe von Trotta inszenierte in dieser Reihe ihren Film „Mit 50 küssen Männer anders“ mit Senta Berger in der Hauptrolle. Brigitte Mira spielte in einer unserer Produktionen noch mit 92 Jahren eine große Rolle, in dem Film „Ein lasterhaftes Pärchen“ mit Harald Juhnke und Günther Pfitzmann, sie war großartig.
Bestätigen Sie damit nicht genau die These, dass Frauen in Schlüsselpositionen auch mehr Frauen beschäftigen und andere Schwerpunkte setzen?
Regina Ziegler Wir wollten einfach mit Frauen arbeiten und kannten das Wort Quote nicht. Wir haben Stoffe umgesetzt, auf die wir Lust hatten und wollten mit der richtigen Portion an Emotionen nachhaltige Inhalte erzählen. Und so ist unter anderem auch 1974 „Anna & Edith“ entstanden, ein Film, der sehr mutig war, weil er eine lesbische Beziehung zeigte.
Tanja Ziegler Klar arbeiten wir gerne mit Frauen, weil wir Frauen sind. Für mich ist das gelebter Feminismus. Ich bin eine große Verfechterin von Frauensolidarität, und das schon immer. Ich möchte Frauen vernetzen. Eine weitere Stärkung von Frauen ist, dass wir als Produzentinnen zum Beispiel Kinderbetreuung in Kinoprojekten kalkulieren können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine große Herausforderung in unserer Branche. Ich habe meine Tochter viele Jahre allein erzogen, hatte immer gute KinderbetreuerInnen, aber das muss man sich finanziell leisten können. Ich hatte das Glück.
Kommen wir noch mal auf die Frauenrollen zurück. In Studien ist erforscht worden, dass die Lebensgeschichten und Perspektiven von Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Vor allem Frauen jenseits der Fünfzig sind überproportional häufig in helfenden Funktionen zu sehen, Hauptrollen sind die absolute Ausnahme.
Regina Ziegler Da erwischen Sie mich an einem Punkt, der mich wahnsinnig beschäftigt. Gehen wir in die Zeit des Nationalsozialismus zurück. Die Autorin Sabine Friedrich hat das Buch „Wer wir sind“ über die Frauen des Widerstands geschrieben. Diese Frauen sind fast alle vergessen, kaum jemand kennt heute mehr ihre Namen – einzig Sophie Scholl ist vielen ein Begriff. Ich versuche seit einiger Zeit, ihnen ihre Namen wiederzugeben und an sie zu erinnern.
Sie planen einen Film über die Frauen des Widerstands?
Regina Ziegler Als ich den Fernsehfilm „Martha Liebermann – ein gestohlenes Leben“ produziert habe, der im letzten Jahr beim TV Festival in Monte Carlo zwei goldene Nymphen für Thekla Carola Wied sowie für Ziegler Film erhielt und in der ARD lief, habe ich mich mit den Widerstandsfrauen des „Solf-Kreises“ beschäftigt – eine Gruppe um die Regimegegnerin Hanna Solf. Mein nächstes Filmprojekt wird eine dieser Frauen in den Mittelpunkt stellen: Maria Gräfin von Maltzahn. Ihre Erinnerungen „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht“ haben mich sehr bewegt. Diese namenlosen Frauen, im Alter von 16 bis 22 Jahren, wurden von den Nazis gefoltert, gequält und ermordet. Ich möchte, dass die Frauen des Widerstands endlich von der Gesellschaft mit ihren Namen wahrgenommen und anerkannt werden.
Tanja Ziegler Wenn ich den Bogen zur Gegenwart schlage: Fast alle unsere Produktionen erzählen von Frauen. Wie zum Beispiel der moderne Heimatfilm „Lena Lorenz“ mit einer Hebamme als Titelfigur gespielt von Judith Hoersch, von unserer Kölner Produzentin Barbara Thielen. Oder in „Theresa Wolff“, einer Reihe über eine Rechtsmedizinerin in Jena, gespielt von der fantastischen Nina Gummich.
Nina Gummich hat im Herbst die junge Alice Schwarzer gespielt.
Regina Ziegler Ja, das hat sie toll gemacht.
Tanja Ziegler Wir haben den Drehplan von „Theresa Wolff“ verschoben, damit sie das spielen konnte.
Sie haben ein gutes Gespür für Trends. Was wollen Zuschauerinnen und Zuschauer zurzeit sehen?
Regina Ziegler Ich glaube, wir brauchen mehr Komödien. Es gibt gerade jetzt nicht so viel zu lachen im Leben. Viele Menschen sehnen sich danach, sich auch mal fallen zu lassen. Und sie lassen sich gern auf verrückte, komödiantische Geschichten mit unterhaltsamen und ansprechenden Inhalten ein. Ich möchte auch den traditionellen Liebesfilm wiederaufleben lassen und heutig erzählen. Ich glaube, der Bedarf nach solchen Geschichten ist groß
Das Interview führte Christina Bylow.