Renate Künast: Entschlossen
Sie will regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Und sie hat Chancen. Optisch steht sie für die unangepasste, emanzipierte Frau. Und inhaltlich?
Sie setzt auf Sieg, und nur auf Sieg! Im nächsten September will Renate Künast Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Eine Grüne als Landesmutter, die den Sozialdemokraten Klaus Wowereit aus dem Feld schlägt? Prickelnder könnte ein Wahlkampf kaum sein, umso mehr, als die Kandidatin nicht in die Schubladen passt, in die ihr Kontrahent sie stecken möchten. Keine von uns, weil sie im Ruhrgebiet geboren ist und in die Bundespolitik zurück will, wenn sie nicht die Nummer Eins wird?
Eine Berliner Type ist Künast dennoch: in den 1970er Jahren Sozialarbeiterin im Knast, Jurastudium, Rechtsanwältin, Alternative Liste. „Meine wenigen Damen! Meine zahlreichen Herren!“ So beginnt 1985 ihre erste Rede im Berliner Angeordnetenhaus. Große Klappe, kesser Auftritt.
Renate Künast ist, was es für Wowereit nicht leichter macht, keine aus den privilegierten Milieus. Die Grünen mögen die Partei der Besserverdienenden sein, ihre Spitzenkandidatin kommt von unten. Aus Recklinghausen, wo für Mädchen ihrer Herkunft – Vater Kfz-Mechaniker und Fahrer, Mutter Hilfsschwester – Realschule und Heirat vorgesehen sind. „Wäre es nach meinen Eltern gegangen, wäre ich mit 30 Jahren Bankkauffrau gewesen.“
Sie hat um einen anderen Bildungsweg so hartnäckig gekämpft, wie sie das Ideal von „verheiratet, Faltenrock, Dauerwelle, ein paar Kinder“ verweigert hat. Keine Kinder, unverheiratet langjährigliiert, kein Tribut an äußerliche Weiblichkeitsklischees. Künast erobert in flachen Schuhen, Hosenanzügen und einer Mecki-Frisur, die zum Markenzeichen wird, die Bühne der Politik. Als Frau und, wie sie unbefangen bekennt, als Quotenfrau.
Als sie 2001 in die Bundesregierung katapultiert wird und das Landwirtschafts - zum Verbraucherschutzministerium umbaut, lernen die Bauernverbandsmänner eine Ministerin kennen, die sich hart mit ihnen auseinandersetzt und auf Landwirtschaftsmessen zart ihre Rinder tätschelt. Als Joschka Fischer seinen Nachfolgern im November 2005 sein sentimentales „Ciao Ragazzi“ zuruft, hat Künast schon umgeschaltet. Noch bevor die große Koalition und Angela Merkel ins Amt kommen, legt sie das Ministeramt nieder und ihre Hand auf den Vorsitz in der grünen Bundestagfraktion.
Der informelle Übervater brachte Künast schon 1998 bei der ersten rot-grünen Regierungsbildung ins Spiel; sie hielt sich zurück und gilt fortan als ministrabel. 1999 zieht Fischer die Strippen, als das Duo Künast/Fritz Kuhn den Bundesvorsitz übernimmt. Die Grünen ohne Fischer, das ist eine neue Epoche in Künasts persönlicher und der grünen Parteigeschichte.
Fünf Jahre später ist sie das Gesicht der Partei, Jürgen Trittin, Cem Özedemir und Claudia Roth dürfen daneben friedlich koexistieren. Sollte sie es in Berlin schaffen, hat sie grüne Geschichte geschrieben. Dass zuvor in Baden-Württemberg ein grüner Ministerpräsident gewählt werden könnte, kann Künasts Wahlkampf beflügeln und zugleich auf den Wirklichkeitstest legen, den sie fürchten muss.
Mit dem schwarz-gelben Debakel des ersten Regierungsjahres schießen die grünen Werte in den Himmel. Die FDP stürzt ab, die Union schrumpft, die Linke pflegt interne Konflikte, die SPD kann nur in Maßen profitieren. Die Grünen sind heute die Projektionsfläche aller guten Hoffnungen. Wer redet noch von Rot- oder gar Schwarz-Grün? Wenn schon, dann doch Grün-Rot …
Die Öko-Partei ist inzwischen mit genug Wassern gewaschen, um solchen medialen Verstärkern ihres Aufwinds zu misstrauen. Hochmut, siehe FDP, kommt vor dem Fall. Eine wie Künast ist die Richtige für diese Zeit. In ihren frühen politischen Jahren ist sie Bewohnerin der Freien Republik Wendland gewesen. Nach Gorleben fährt sie im diesjährigen bewegten Herbst nicht. Und keiner regt sich darüber auf.
Künast verkörpert die grüne Erzählung von Radikalität und Läuterung mit ihrer selbstbewussten Behauptung, dass die Republik sich jedenfalls mehr verändert hat als die grünen PolitikerInnen. Die Erfahrungen im Drogenknast, die Diskussionen mit Berliner Polizisten, die alljährlich die 1.Mai-Randale in Kreuzberg ausbaden müssen, haben sie eben lernen lassen. Eine eigene Wirkung hat sicher auch die Tatsache, dass die Jahre auch die Interessen der Kreuzberger Anwohner und Grünenwähler verändert haben – vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer.
Nach Baden-Württemberg könnte das Prinzip Verantwortung – wer regiert, verliert – schnell zuschlagen. Künast bleibt mit ihrem großen Mundwerk oft im Ungefähren. Doch damit ist sie, wenn man so will, eben eine ganz normale Spitzenpolitikerin. Sie proklamiert sich als „fröhliche Feministin“, findet aber „schrecklich“ das „Modell alte Feministin, die den jungen Frauen erklärt, was sie zu tun haben“. Da kennt eine das Seelenleben ihrer Pappenheimerinnen, der alten wie der jungen.
Wahlversprechen werde sie in Berlin nicht machen. Doch in ihren Reden winken 100000 Arbeitsplätze und der Spitzenplatz in Öko-Innovation. Vorsichtig und im Zweifel unentschieden bleibt die Berliner Spitzenkandidatin bei dem in Berlin zentralen Thema Islam. Aber das hält der Regierende Wowereit nicht anders.
2003 hat Künast den „Aufruf wider eine Lex Kopftuch“ unterschrieben. Als die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz mit ihrem Aufruf „Legt das Kopftuch ab!“ in der türkischen Presse angegriffen, in ihrer eigenen Partei heftig kritisiert wird und zeitweise unter Polizeischutz leben muss, verteidigt Künast sie. Doch mit ihrer Position, dass viele Mädchen das Kopftuch unter Zwang tragen, bleibt Deligöz bei den Grünen allein.