Rentnerinnen Ost: Wir sind Migrantinnen
„Wir sind Migrantinnen mit DDR-Hintergrund und bis heute nicht im Rechtsstaat angekommen“, sagt Ute Lauterbach, die Vorsitzende vom „Verein der in der DDR geschiedenen Frauen“. Ihr geht es „um die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Rentenzahlung und um die Anerkennung unserer Lebensleistung.“
Nach DDR-Recht gab es bei einer Scheidung in der Regel keine Verpflichtungen zwischen den Ehepartnern. Beide sollten selbst für ihren Unterhalt aufkommen und auch die Ansprüche auf Rente durch eigene Berufsarbeit aufbauen. Da Frauen genauso wie ihre Männer zur Erfüllung des sozialistischen Plans beizutragen hatten und in der Regel immer voll erwerbstätig waren, dürften es ja nicht allzu viele sein, die aus dem Raster fallen. So weit die Überlegungen, als das gesamtdeutsche Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) 1991 (für bis 1992 Geschiedene) in Kraft trat. Für die wenigen Ausnahmen müsse „eine spezialgesetzliche Regelung für die Rentenberechnung der in der DDR Geschiedenen erfolgen, sobald die Angleichung der Rentensysteme abgeschlossen sei“, hieß es darin. Diese „spezialgesetzliche Regelung“ gibt es allerdings bis heute nicht. Warum? „Weil wir Frauen sind!“, erzürnt sich Ute Lauterbach. „Dieser Umstand wäre für Männer von Männern längst gelöst worden. Der Rentenberechnung liegt nicht nur ein Bruch des Einigungsvertrages zu Grunde, sondern auch eine Verletzung des Gleichberechtigungsprinzips des Grundgesetzes.“
Die Zahl der geschiedenen Frauen aus dem Osten, die auf Grund dieses Gesetzes am Rande des Existenzminimums leben, pendelt sich bei 450.000 ein. Direkt nach der Wende waren es sogar rund 800.000. Zu ihnen gehören ebenso Frauen, die mit mehr als zwei Kindern für einige Jahre aus dem Job ausgestiegen sind wie Frauen, die in landwirtschaftlichen Betrieben oder in Gewerbebetrieben wie Bäckereien als Familienangehörige mitgearbeitet haben. Während ihre Ex-Ehemänner heute stattliche Renten kassieren, leben die Frauen häufig unter den Hartz IV-Sätzen. Für sie besteht keinerlei Versorgungsausgleich, wie er in der BRD bereits 1977 eingeführt wurde. Von Seiten des Staates heißt es, die Frauen könnten ja Grundsicherung beantragen. Einen Schonbetrag, der Gespartes zulässt, gibt es dabei nicht. Mit den steigenden Kosten im Alltag multipliziert sich die Armut.
Seit 1999 kämpft der Verein für Gleichberechtigung in der Rente. Bisher ohne Erfolg. Weil die bisherige Lösung mehr billig als recht ist. Gespräche mit Abgeordneten, mit Parteien, selbst mit der Bundeskanzlerin haben nichts gebracht. Die Frauen zogen vor das Justizministerium, vor das Bundesverfassungsgericht, demonstrierten vor dem Ministerium für Arbeit und Soziales und vor dem Familienministerium. Vergebens. Eine Gemeinschaftsklage wird 2009 von Karlsruhe abgelehnt, weil die Klägerinnen den falschen Instanzenweg gewählt hätten. Sie hätten vor das Familiengericht und nicht vor das Sozialgericht ziehen müssen. Der Verein schafft es, die Linken, die Grünen und die FDP (zu der Zeit noch Opposition) von seinem Anliegen zu überzeugen. Alle drei Parteien brachten Anträge in den Bundestag ein, fordern eine verbesserte Altersversorgung für die durch das Rentenüberleitungsgesetz benachteiligten Gruppen. Vergebens.
Das Veto pendelt sich immer wieder bei drei Gründen ein: 1. Das gab es in der DDR eben nicht. 2. Es gilt das Rückwirkungsverbot. 3. Zu teuer.
„Wir interessieren einfach nicht. Wir existieren nicht. Und weil viele den Zusammenhang nicht verstehen, werden wir sogar noch als Lügnerinnen dargestellt“, klagt Lauterbacher. „Wir wissen, wo die Reise hingehen soll: ins Jenseits. Man hofft auf die sogenannte biologische Lösung. Die Hälfte von uns ist ja schon gestorben.“
In Leipzig hat sich so etwas wie ein Protestzentrum etabliert. In den vergangenen Jahren rieben sich JournalistInnen die Augen, als sie über 80-Jährige mit Transparenten demonstrieren sahen. Am 8. März, dem internationalen Frauentag ist es wieder so weit, eine Demo um 15 Uhr im Stadtzentrum auf dem Augustusplatz beantragt. Aus ganz Sachsen wollen Frauen anreisen und für ihre Rechte demonstrieren.
Die letzte Hoffnung des Vereins liegt auf dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und auf einer Anhörung vor den Vereinten Nationen. Dort wird zurzeit geprüft, ob ein Verstoß gegen das internationale Übereinkommen der UN zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vorliegt. Wenn sich hier ein „Ja“ heraus stellen sollte, muss Deutschland handeln. Ursula Töpfer wird in diesem Jahr 86 Jahre alt.
Annika Ross, 4.3.2010