Rose McGowan - die Anklägerin
Rose McGowans Auftritte haben etwas Irritierendes. Die Schauspielerin, die als Wegbereiterin von Harvey Weinsteins Niedergang seit Monaten Hollywoods „MeToo“-Bewegung anführt, will in keine Schublade passen. Nach ihrem Bekenntnis Anfang Oktober, 1997 während des Filmfestivals Sundance von Weinstein vergewaltigt worden zu sein, blies die 44-Jährige zum Sturm. Sie erklärte: „Mir wurde 20 Jahre lang der Mund verboten. Was mir hinter den Kulissen passierte, kann jeder Frau passieren. Wir sind stark, wir sind mutig, und wir werden kämpfen.“
Wir sind stark, wir sind mutig, und wir werden kämpfen
Wie die Schauspielerin bei ihrem Kampf sämtliche Regeln der amerikanischen Unterhaltungsindustrie auf den Kopf stellt, war wenige Wochen später in Stephen Colberts Talkshow zu erleben. In Hoodie und Sporthose – statt des bei Abendsendungen üblichen Cocktailkleidchens – kritisierte McGowan Gewaltdarstellungen im kanadischen und amerikanischen Fernsehen, mokierte sich über „Anzugträger“ und setzte die katholische Kirche mit einer Sekte gleich. „Sie scheinen sich im Unbehagen wohlzufühlen“, kommentierte Talkmaster Colbert die Absage von McGowan an das traditionelle Celebrity-Interview.
McGowans Bruch mit Hollywoods Konventionen hat sie in den vergangenen Monaten zur Einzelkämpferin werden lassen. Während Schauspielerinnen wie Reese Witherspoon, Meryl Streep und Salma Hayek mit der „Time’s Up“-Kampagne gegen Sexismus und Machtgefälle in der Filmindustrie protestieren, zieht sie öffentlich über das jahrelange Schweigen ihrer potenziellen Mitstreiterinnen her.
Deren Versuch, mit schwarzen Roben auf dem roten Teppich der Golden Globes auf sexuelle Übergriffe aufmerksam zu machen, bezeichnet sie als billiges Ablenkungsmanöver. „Schauspielerinnen wie Meryl Streep, die freudig für das Schweinemonster gearbeitet haben, tragen in stillem Protest Schwarz. Aber euer Schweigen ist das Problem!!!! Ihr ändert nichts. Ich verabscheue eure Heuchelei!“, warf sie Hollywoods weiblichen Stars vor.
In McGowans Autobiografie „Brave“, die jetzt unter dem Titel „Mutig“ in Deutschland erschienen ist, führt die Aktivistin den Protest fort. Das Cover zeigt, wie McGowan den Rasierer über den militärisch anmutenden Bürstenschnitt auf ihrem Schädel fahren lässt. Die Message? Auch äußerlich hat sich die frühere „Charmed – Zauberhafte Hexen“-Darstellerin längst von Hollywoods Zwängen befreit: von mädchenhaften Locken, einfältigen Plaudereien über Filmprojekte, dem Schweigen über niedrige Gagen für Frauen und die epidemischen sexuellen Übergriffe.
Dass McGowan ausreichend Erfahrung mit kaputten Systemen hat, um sie als solche zu erkennen, verraten schon die ersten Kapitel ihrer Autobiografie. Als Tochter einer Schriftstellerin und eines Künstlers wuchs sie in Italien in einer Kolonie der kalifornischen Hippie-Sekte „Kinder Gottes“ auf. Um seine Tochter vor dem in der Gruppe erlaubten Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern zu schützen, brachte ihr zu Gewaltausbrüchen neigender Vater sie schließlich in die Vereinigten Staaten.
Es folgten Jahre auf der Straße, Drogensucht und ein Entzug als 13-Jährige. Roses erste Beziehung mit einem 20-Jährigen endete ein paar Jahre später mit ausgerissenen Zehennägeln. Auch Verbindungen mit dem Musiker Marilyn Manson, dem Regisseur Robert Rodriguez und dem kalifornischen Künstler Davey Detail sollen später weniger harmonisch verlaufen sein als öffentlich dargestellt.
Nach der Entdeckung durch einen Produzenten folgten Ende der 80er Rose McGowans erste Vorsprechtermine. Wie sie in „Mutig“ schreibt, gehörten zu den Auditions für Filme wie „The Doom Generation“ Probeszenen mit sexuell erregten männlichen Co-Stars.
Ihre Rollen in „Steinzeit Junior“ und „Scream – Schrei!“ machten auch Weinstein auf die hübsche, brünette Nachwuchsdarstellerin aufmerksam. Während des Filmfestivals Sundance 1997 lud „das Monster“, wie McGowan den Produzenten nennt, sie zum Frühstück in sein Hotel ein. „Ich dachte, wir würden den großen Bogen meiner Karriere planen“, erinnert sich die Schauspielerin. Der vermeintliche Geschäftstermin entwickelte sich nach wenigen Minuten zu McGowans schlimmstem Albtraum.
Frauen sollen Wut und Ärger einfach herausschreien
In ihrer Autobiografie berichtet die 44-Jährige, wie Weinstein sie auszog und auf den Rand des Whirlpools setzte. Während er masturbierte, vergewaltigte er sie oral. „Ich fühlte mich schmutzig. Ich war verletzt und tief traurig“, erinnerte sich McGowan. Eine Strafrechtlerin und auch ihre Managerin Jill Messick haben der Schauspielerin damals aber geraten, Weinsteins Übergriff für sich zu behalten, schreibt sie.
Nach über 20 Jahren hat Rose McGowan nun ihre Stimme gefunden. In sozialen Medien entlarvt sie quasi täglich neue Facetten der „psychischen Störung, genannt Hollywood“: Weinsteins Versuch, sie mit 100.000 Dollar und dem israelischen Geheimdienst zum Schweigen zu bringen; das systematische Wegsehen von Kollegen wie Ben Affleck; oder die zögerlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Bosse der Glamourfabrik. Das Ziel ihrer Aktion #RoseArmy? „Ich möchte erreichen, dass Frauen Wut und Ärger hinausschreien. Davor haben viele Leute Angst. Und sie sollten auch Angst haben, damit sie endlich aufhören, uns auszunutzen.“
Weiterlesen:
Rose McGowan: Mutig (Harper Collins Germany, 16 €)
www.rosearmy.com