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Roya Sadat: Jeder Film ein Hilferuf!

Roya Sadat fragt: "Wie kann der Westen die Frauen nur so im Stich lassen?" - Foto: Stephen Brashear/ Associated Press/dpa
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"Die inhaftierten Frauenrechtlerinnen in Iran, die haben wenigstens etwas getan, wofür sie ins Gefängnis müssen. Die Frauen in Afghanistan sitzen einfach so im Gefängnis, in ihrem Zuhause“, klagt Roya Sadat. Sie ist eine der bekanntesten Filmemacherinnen Afghanistans und war 2018 mit „A Letter to the president“ für den Oscar nominiert. Ihre Filme sind Hilferufe für die Frauen Afghanistans. So auch ihr neuer Spielfilm, „Sima’s Song“, den sie zurzeit auf interna­tionalen Filmfestivals präsentiert. Der Film ist inspi­riert von ihrer eigenen Geschichte.

Roya Sadat war gerade 13 Jahre alt, als die Taliban im September 1996 erstmals die Macht an sich rissen. „Uns Mädchen und Frauen wurde von heute auf morgen die Menschenwürde genommen. Keine Schule mehr, nicht ohne männlichen Begleiter vor die Haustür und nicht ohne Burka.“ Roya und ihre acht Schwestern, Mutter, Vater und Tante lebten fortan tagein, tagaus in ihrem Haus in Herat. Immer durfte nur eine und nie ohne Begleitung des Vaters nach draußen.

Mutter und Tante unterrichteten die Mädchen so gut sie konnten. Wenn sie verzweifelten, retten sie sich mit Musik. Roya las jedes Buch über das Filmemachen, das sie in die Finger bekommen konnte. Als der Vater depressiv wurde, machte die Mutter eine Tochter äußerlich zum Sohn, um überleben zu können. Denn nur ein Sohn durfte raus in die Welt, um Essen zu organisieren. Roya ging in den Untergrund. In Krankenhäusern organisierte sie heimlich Theaterkurse für Frauen, schrieb Drehbücher und machte ihren ersten Film über Zwangsheirat.

Nach dem Einmarsch der USA und der Entmachtung der Taliban 2001 konnte auch Roya studieren, sie ging zeitweise nach Korea und dann in die USA. Für ihren Einsatz für die Rechte von Frauen erhielt sie 2018 den „International Women of Courage Award“ des US-Außenministeriums.

In Washington war die Afghanin auch, als die Taliban am 15. August 2021 zurück an die Macht kamen. Sie blieb in den USA und kämpft nun von außen für ihr Land. In ihrem Film „Sima’s Song“ zeigt sie auch, wie das Leben vor der Machtergreifung der Taliban war: Wie Mädchen und Frauen in Kabul in den 1970ern in Röcken unterwegs sind, wie sie selbstverständlich Autofahren und zu westlicher Musik in der Uni tanzen. Bis, ja bis sich im Zuge des Bürgerkriegs „eine seltsame religiöse Bewegung“, herausbildet, gepuscht von den USA, um die Sowjets zu vertreiben. Ihr oberstes Anliegen: die Unterdrückung von Frauen. Frauenrechte seien ein „westlicher Wert“, argumentieren sie.

„Es gehört zur Propaganda der Taliban, Afghanistan dem Westen als unterentwickeltes Land zu verkaufen, das zu mehr als Krieg und Fundamentalismus nie imstande gewesen ist“, klagt Roya, „als wären wir ein kulturloses Volk“.

Wenn Roya Sadat mit EMMA spricht, kämpft sie mit den Tränen. Sie erträgt sie nicht mehr, die „Dekrete“ der Taliban, die Schritt für Schritt Frauen ihrer Freiheit und ihres Menschseins berauben. Jüngst haben die Taliban sogar den Einbau von Fenstern in neue Wohnhäuser verboten, durch die Menschen von außen in das Haus sehen können – und die Frauen von innen die Welt. In alten Häusern sollen die Fenster nun zugemauert werden. Die verbannten Frauen leben dann in Verliesen.

Und dann sind da all diese Hilferufe aus Kabul, etwa auf Social Media. Vor Angst weinende neunjährige Mädchen, die aus ihrer Familie geholt und an einen „Ehemann“ verkauft werden. Mädchen, die flehen, zur Schule gehen zu dürfen. Frauen, die noch vor drei Jahren Polizistinnen waren und sich nun in Todesangst in Kellern verstecken. „Wie kann der Westen die Frauen nur so im Stich lassen?“, empört sich Roya. „Länder, die mit ihren schwarzen Mitmenschen so umgehen wie Afghanistan mit seinen 20 Millionen Frauen, sie würden wegen Apartheid international geächtet.“ Ihre letzte Hoffnung liegt auf der jungen Generation der Frauen. „Sie organisieren sich im Untergrund und sind zu allem entschlossen. Wie ich damals. Wir müssen für uns selbst kämpfen.“ 

Sadats Film „Sima’s Song“ läuft auf Filmfestivals in Europa. Termine: plutofilm.de

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