Salafisten verloren Machtkampf: Femen in
Die drei Angeklagten waren, wie vorgeschrieben, im traditionellen Safasari im Gerichtssaal erschienen, dem bodenlangen hellen Tuch, das sie von Kopf bis Fuß bedeckte. Doch sie werden wohl schon heute unverschleiert nach Paris ausfliegen: die beiden französischen Femen und die deutsche Studentin, die sich Josephine Markmann nennt. Genau 29 Tage hatten sie im Gefängnis in Tunis verbracht, zusammen mit 29 weiteren Frauen in einer Zelle. Wäre es nach dem Urteil in erster Instanz gegangen, wären die drei erst Ende August da wieder rausgekommen. Doch in der Berufung wurden sie frei gesprochen, auf Bewährung. Und das trotz der skandalösen Zulassung salafistischer Organisationen als Nebenkläger. Während die tunesische Anwältin der Femen um „Gnade“ bat, argumentierte der aus Paris angereiste Anwalt Patrick Klugman politisch: „Hören Sie auf, auf die Brüste der Frauen zu starren - und hören Sie ihnen zu“, rief er den Richtern zu.
Klugman plädierte an den Stolz der tunesischen Justiz: „Die Frauen konnten nicht ahnen, dass sie mit dieser Aktion ihre Freiheit riskieren – in einem Land, das sich gerade für seine Freiheit erhoben hat.“ Das saß. Der Richter, der von den Islamisten öffentlich stark unter Druck gesetzt worden war, hat es nach einer eintägigen Verhandlung am späten Abend gewagt, die drei Aktivistinnen in die Freiheit zu entlassen.
Das ist nicht nur ein Sieg für die kämpferischen Femen, das ist auch ein Sieg für Tunesien. Ein kleiner. Der internationale Protest – und nicht zuletzt auch die Unterstützung durch die französische und die deutsche Botschaft – war so stark, dass Tunesien sich nicht blamieren wollte.
Dennoch sieht es allgemein gar nicht gut aus für den Rechtsstaat in dem Land, das seinen autokratischen Herrscher verjagt hat und nun in der Faust der Islamisten ist. Vor nur zwei Wochen wurde der bekannte Rapper Weld El15 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Grund: Er hatte in einem seiner Songs die tunesischen Polizisten als „Hunde“ bezeichnet (was auf Deutsch „Schweinen“ entspricht). Weld El15 tauchte zunächst unter, hat sich aber dann gestellt. Jetzt ist er im Gefängnis. Auf internationale Unterstützung kann er kaum hoffen.
Auch Amina Sboui sitzt weiterhin im Gefängnis. Die Verhaftung der 19-Jährigen am 29. Mai 2013 war für die drei europäischen Femen der Anlass gewesen, mit bloßem Busen und dem Schlachtruf „Free Amina“ in Tunis zu protestieren. Amina hatte sich Anfang des Jahres im Internet mit entblößtem Busen und dem Slogan „Mein Körper gehört mir“ den Femen angeschlossen und wäre dafür beinahe gelyncht worden.
Auslöser für ihre Verhaftung war dann Aminas todesmutiger Protest gegen ein Treffen der Salafisten in Kasouan. Die junge Frau war alleine in die Stadt gereist und hatte die Kampfparole FEMEN an eine Friedhofsmauer gesprüht. Zunächst hatte es geheißen, Amina riskiere zwölf Jahre Gefängnis. Jetzt ist von zwei Jahren die Rede. Es gibt einflussreiche SympathisantInnen in Frankreich, die sich um Amina kümmern. Alleine wäre sie verloren.
Dennoch ist der Jubel bei den europäischen Femen jetzt verständlicherweise groß. „Unsere Brüste waren stärker als ihre Steine!“ posteten die deutschen Femen noch heute Nacht auf Facebook. Ja. Aber es hätte auch anders ausgehen können. Und es ist noch nicht ausgemacht, ob die Femen-Solidaritätsaktion der hochgefährdeten Amina nun eher genutzt oder eher geschadet hat.
Vermutlich wird die Femen-Aktion in Tunis Anlass einer selbstkritischen Bilanz bei den Femen der jeweiligen Länder. Bisher erhielten sie ihre Inspirationen immer direkt von den Ukrainerinnen. Die Frage muss sein: Wann sind welche Mittel effektiv? Und wie hoch ist jeweils das persönliche Risiko der Aktivistinnen?
In Europa führt die Provokation bloßer Brüste als Werbetafeln für feministische Parolen in der Tat die hiesige Doppelmoral auf frappant-ironische Weise vor. Aber bestätigt dieser Protest, wenn er eins zu eins auf ein islamisches Land übertragen wird, dort nicht eher das Klischee von den dekadenten westlichen Feministinnen? So zumindest sehen es in Tunesien im Jahr 2013 nicht nur die Islamisten, sondern leider auch weite Teile der Öffentlichkeit, Frauen inbegriffen. Andere Sitten, andere Kampfformen - auch wenn die Menschenrechte der Frauen universell sind.
Weiterlesen
Femen, #Aufschrei und die Neofeministinnen (EMMA 4/2013)
Femen in Tunis in Gefahr (EMMAonline, 13.6.2013)
Aminas Vater ist stolz auf seine Tochter (EMMAonline, 7.6.2013)
Femen gegen Islamismus (EMMAonline, 3.5.2013)
Femen-Protest: Befreit Amina! (EMMAonline, 5.4.2013)
Femen aller Länder, vereinigt euch! (EMMA 1/2012)
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