Sarkasmus und Zärtlichkeit
Es gibt Menschen, die halten Köln für die Wahlheimat der Cartoonistin Franziska Becker. In Wahrheit aber ist Köln die Vaterstadt der geborenen Mannheimerin. Die Mutter Berlinerin, der Vater Kölner, aufgewachsen irgendwo am Rhein - da ist der Humor ja geradezu zwingend und diese Mischung zwischen hart und weich, zwischen sarkastisch und verspielt kein Zufall.
Ich erinnere mich noch gut an den Tag, an dem ich – einen Steinwurf vom Kölner Dom entfernt - Franziska Beckers ersten Brief in der Hand hielt. Es muss im November 1976 gewesen sein, also in den letzten heißen Wochen vor Erscheinen der EMMA. Alles war klar, nur eines nicht: Wo nur kriege ich die für EMMA so ersehnte Karikaturistin her?
Denn damals, vor 23 Jahren, da gab es noch keine Anthologien und Seminare über Karikaturistinnen, da waren weibliche Cartoonistinnen noch unbekannte Wesen. Dass das heute anders ist, das hat auch etwas mit der provokanten Existenz von Franziska Becker zu tun, die in ihrer Domäne längst eine Klassikerin ist. Damals aber, da war zwar in Frankreich eine gewisse Ciaire Bretecher und in Deutschland Marie Marcks, aber Erstere war weit weg und Zweitere hatte viele Kinder und keine Zeit. Die Kunststudentin Becker aber hatte Zeit und Lust. Sie schrieb mir aus Heidelberg, sie habe gehört, dass EMMA eine Karikaturistin suche, Berufserfahrung habe sie zwar noch nicht - mal abgesehen von der lebenslangen privaten Zeichenleidenschaft - aber Spaß machen würde es ihr schon. Das Ganze war schwungvoll unterzeichnet und bebildert mit einem Selbstporträt, dem anzusehen war: Die Frau hat Talent!
Ich versuchte es also mit der damals 26-Jährigen - und habe es nie bereut. Nach Erscheinen der zweiten EMMA-Ausgabe schmiss Becker ihr Kunststudium in Karlsruhe - zuviele eitle Lüpperts - und machte das Zeichnen zu ihrem Beruf. Sehr rasch fand sie ihren eigenen, ganz und gar unverwechselbaren detailgenauen Stil zwischen Porträt, Karikatur und Cartoon.
In der aktuellen Ausstellung ist eine Auswahl ihrer Arbeit der letzten Jahre zu sehen. Anhand der Originale erschließt es sich noch deutlicher als im immer verkleinerten Zeitschriften druck, dass nicht nur ihre detailgespickten Tableaus, sondern auch ihre Skizzen von ganzen Universen bevölkert sind. So ist es nicht überraschend, dass die Cartoonistin irgendwann anfing, auch als Malerin zu arbeiten. Das Malerische steckte von Anfang an in jeder ihrer Zeichnungen.
Niemand entgeht Beckers Röntgenblick, weder Sie noch ich, weder Männer noch Frauen, weder Kinder noch Alte; jedes Thema geht sie an: der Krieg zuhause wie der im Kosovo, der Fußballplatz wie die Modeboutique, Karneval, Popkomm und Art Cologne. Die schon besonders. Denn Künstler und Kinder sind ihr Liebstes - wobei Erstere mit ätzendem Spott rechnen müssen, zweitere auf liebevolle Nachsicht rechnen dürfen.
Hätte Franziska Becker nicht volltime mit dem Bevölkern ihrer Zeichenwelt zu tun - sie hätte wohl auch real eine von Kindern heißgeliebte Mutter werden können, denn: Sie nimmt Kinder ernst und hat das Kind in sich nie vergessen.
Franziska Becker ist auch Zeitgeist-Chronistin. Sie verliert nie den bewussten Blick einer Frau, lässt sich aber auch nie in der Frauenecke einschließen. Diese Feministin und Moralistin ist eine durch und durch politische Karikaturistin. Sie selbst sieht sich übrigens "in der Tradition von William Hogarth, Thomas Rowlandsen und James Gillray, diesen großen angelsächsischen Satirikern des 18. Jahrhunderts". Becker richtet ihren Blick auf die ganze Welt, bleibt immer in Bewegung. Kein Trend entgeht ihr, kein Zeitgeist kann ihre Haltung korrumpieren oder ihren Durchblick vernebeln.
Doch wird ihr scharfe Kritik kaum übel genommen, es wird sogar noch darüber gelacht - wenn auch manchmal schief. Humor und Satire dürfen eben mehr als andere. Gerade bei Becker, denn bei ihr kommt zur Schärfe immer auch eine Zärtlichkeit hinzu, die sie für alle Menschen hat, selbst für Bösewichte.
Seit dem ersten Tag ihrer Arbeit als Zeichnerin bin ich Arbeitspartnerin von Franziska Becker, seit langem auch Freundin. Ich kenne also aus nächster Nähe den oft mühsamen Entstehungsprozess dieser so leicht wirkenden Arbeiten. Und natürlich ist auch diese Frau und Künstlerin nicht frei von Selbstzweifeln - und ist auch die Komikerin nicht frei von Melancholie. In welcher Stadt würde man das besser verstehen als in ihrer Wahlheimat Köln?