Attentate: Say their names!
Christiane Hartmann. Stefanie Wagner. Johanna H. Sie haben diese Namen nie gehört? Sie haben diese Gesichter nie gesehen? Stimmt. Dabei wurde sehr viel über diese drei Frauen berichtet. Nur: Sie wurden weder benannt noch gezeigt. Warum nicht?
Als am 25. Juni 2021, einem Freitagnachmittag, der somalische Asylbewerber Abdirahman J. bei Woolworth in Würzburg begann, mit einem Messer auf Verkäuferinnen und Kundinnen einzustechen, waren Christiane Hartmann und ihre elfjährige Tochter Akines in dem Kaufhaus. Die Mutter warf sich schützend über ihre Tochter. Der Täter, heißt es, habe so heftig auf die Mutter eingestochen, dass er auch die unter ihr liegende Tochter schwer verletzte. Johanna H., eine 82-jährige Rentnerin, versuchte, den Angreifer von dem Mädchen abzulenken. Sie überlebte ihren mutigen Rettungsversuch nicht (von ihr gibt es leider kein Foto).
Auch Christiane Hartmann starb. Anfang des Jahres war die 49-Jährige mit ihrer Tochter Akines, die einen brasilianischen Vater hat, aus Brasilien nach Würzburg gekommen, wo sie als Deutschlehrerin arbeitete. Akines ist jetzt Halbwaise und in Obhut des Jugendamtes.
Stefanie Wagner wollte an diesem Freitagnachmittag ein Kleid für die Hochzeit ihrer besten Freundin kaufen. Die 24-Jährige wäre am Sonntag Trauzeugin gewesen. Sie wurde vom Täter so schwer mit Messerstichen verletzt, dass sie vor dem Kaufhaus zusammenbrach und starb.
Deutschland ging nach dem Attentat erstaunlich schnell zur Tagesordnung über
Christiane Hartmann, Johanna H. und Stefanie Wagner waren tagelang in den Schlagzeilen, aber nicht als Individuen mit Geschichten und Gesichtern, sondern als namen- und gesichtslose Opfer. Nicht einmal beim Trauergottesdienst im Würzburger Kiliansdom wurden ihre Namen genannt.
„Nichts wird so sein wie vorher“, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei seiner Trauerrede. Aber das stimmt nur für diejenigen, die den ermordeten und verletzten Opfern nahestanden. Der Rest der Republik ist nach diesem Attentat bemerkenswert schnell zur Tagesordnung übergegangen. Dabei war das Attentat von Würzburg der verheerendste Femizid, den Deutschland bisher erlebt hat: Ein psychisch labiler, islamistisch verhetzter Mann – das eine schließt das andere mitnichten aus –, der ganz offensichtlich gezielt Frauen töten wollte und dabei „Allahu akbar“ rief. Am Ende sind drei Frauen tot und vier schwer verletzt.
Das ist nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern auch ein enormes Politikum. Dass von beidem nur wenige Wochen nach der entsetzlichen Tat niemand mehr spricht, hängt nicht nur, aber auch damit zusammen, dass die Opfer namenlos und gesichtslos blieben. Das ist in anderen Ländern anders. Emmanuel Macron zum Beispiel wäre niemals eingefallen, beim Staatsakt für den Lehrer Samuel Paty, den ein islamistischer Attentäter enthauptete, dessen Namen nicht zu nennen. Ganz Frankreich kennt Patys Gesicht.
Doch Deutschland hat eine merkwürdig kalte Art, mit Opfern umzugehen. Nach dem Attentat am Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 kondolierte die Kanzlerin erst ein Jahr später den Angehörigen der Opfer – auf deren Bitte hin. Wesentlich schneller allerdings bekamen die Hinterbliebenen die Rechnung für die Obduktion der Leichen ihrer Angehörigen zugeschickt. Den Namen des Attentäters Anis Amri kennt heute jedeR. Kennen Sie auch nur einen Namen eines seiner Opfer?
"Black Lives Matter" hat begriffen, warum Opfer keine anonymen Zahlen sein dürfen
Die „Black Lives Matter“-Bewegung hat begriffen, wie wichtig es ist, dass die Opfer keine anonymen Zahlen in einer Statistik werden, sondern Menschen bleiben. Die AktivistInnen, die gegen die rassistische Polizeigewalt gegen Schwarze auf die Straße gingen, sprühten die Namen und Fotos der Opfer auf Hauswände, sie bedruckten T-Shirts damit und erfanden den Slogan #SayTheirNames. Und als schwarze Frauen realisierten, dass in der öffentlichen Debatte die getöteten Frauen vergessen werden, lancierten sie gegen die Unsichtbarkeit der weiblichen Opfer einen neuen Slogan: „SayHerName“!
Die Angehörigen der Opfer des Anschlags von Hanau haben den Slogan „SayTheirNames“ übernommen und so dafür gesorgt, dass die Erinnerung an ihre ermordeten Liebsten bleibt. Sie mieteten ein Ladenlokal und hängten dort die Porträts ihrer Söhne und Schwestern auf. Auch in Hanau war und ist der Umgang der Behörden mit den Hinterbliebenen alles andere als vorbildlich. Doch: Zum ersten Jahrestag des Attentats am 19. Februar 2021 kam Bundespräsident Steinmeier persönlich nach Hanau. Er hielt seine Rede vor den neun Porträts der Ermordeten und nannte ihre Namen.
Auch in Hanau mussten erst die Hinterbliebenen selbst aktiv werden, doch sie wurden getragen von einer Welle der antirassistischen Solidarität. Niemand stellte in Frage, dass der deutsche Täter Tobias R., obwohl auch er eindeutig psychisch gestört war, aus rassistischen Motiven gehandelt hatte. In Würzburg hingegen entbrannte auf der Stelle eine Debatte darüber, ob der muslimische Täter nicht schlicht ein durch die Flucht traumatisierter, psychisch kranker Geflüchteter sei.
Ein Ehrenmord ist ein Femizid, aber nicht jeder Femizid ist ein Ehrenmord
Zwei Tage nach Würzburg, am 27. Juni 2021, wurde in Wien die 13-jährige Leonie von vier afghanischen Asylbewerbern unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und schließlich leblos an einen Baum gelehnt. Alle vier Täter hätten wegen krimineller Machenschaften längst außer Landes sein sollen. Am 8. Juli stürmte ein vermummter Frauentrupp den Radiosender Oe24. Die rund 20 Frauen, die sich „Alerta Feminista“ nennt, protestierten mit der Aktion gegen die „sexistische und rassistische“ Berichterstattung des Senders. Ihr Vorwurf: „Ihr schreibt von Beziehungstat oder Liebesdrama, obwohl es sich um Morde, um Femizide handelt. Ihr thematisiert sie nur dann, wenn sie in euer rassistisches Weltbild passen.“
Der feministische Sturmtrupp bezeichnete das 13-jährige Mädchen auf Facebook als „minderjährige FLINTA*-Person“. Für Uneingeweihte: Das ist die queerpolitisch korrekte, weil alle Identitäten inkludierende Abkürzung für „Frauen/Lesben/Intersexuelle/Transsexuelle/Asexuelle“ plus Sternchen, falls sich irgendjemand immer noch ausgeschlossen fühlt. Zynischer kann man ein vergewaltigtes und ermordetes Mädchen wohl kaum für seine identitätspolitische Mission instrumentalisieren.
Auch Maryam H. sollte sprachlich zum Verschwinden gebracht werden. Beziehungsweise das Verbrechen, dem sie zum Opfer fiel. Die 34-jährige Afghanin wurde in einem Erdloch im bayerischen Holzkirchen gefunden. Ihre beiden Brüder Seyed, 22, und Sayed, 25, hatten sie dort verscharrt, nachdem sie ihre ältere Schwester am 13. Juli in Berlin getötet und deren Leiche in einem Koffer durch das halbe Land transportiert hatten.
Die Berliner Polizei teilte mit: Die beiden Tatverdächtigen hätten sich „gekränkt gefühlt“, weil „das Leben ihrer geschiedenen Schwester nicht ihren Moralvorstellungen entsprochen hatte“. Man ermittle in einem „sogenannten ‚Ehrenmord‘“. Das rief prompt die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Die Linke) auf den Plan. Man solle die Tat bitte nicht als „Ehrenmord“ bezeichnen, forderte sie. Es handle sich um einen „Femizid“, also um einen Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Was richtig ist. Falsch aber ist, das Besondere an diesem Frauenmord zu verschleiern, indem man das Motiv der Täter unter dem Oberbegriff „Femizid“ verschwinden lässt. Das fand auch Franziska Giffey (SPD), die der Senatorin prompt widersprach: „Nur wenn Zwangsheirat und Ehrenmorde und auch ihre religiösen und kulturellen Hintergründe keine Tabuthemen sind, können wir wirksam gegen die Ursachen vorgehen.“
So ist es. Wir müssen die Verhältnisse beim Namen nennen. Und die Opfer. Christiane Hartmann. Stefanie Wagner. Johanna H.. Leonie, ein 13-jähriges Mädchen. Und Maryam, Opfer eines sogenannten „Ehrenmordes“.
CHANTAL LOUIS