Jetzt im Kino: Schraders "She said"

Zoe Kazan und Carey Mulligan spielen die New York Times-Reporterinnen Jodi Kantor und Megan Twohey.
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Irland, 1995. Eine junge Frau mit rötlichem Kurzhaarschnitt läuft an einem Strand auf Piratenschiffe und Männer in Soldatenuniformen zu, sie strahlt vor Vorfreude. Bald wird sie Teil der Crew sein, die hier gerade einen Film dreht. Cut. Dieselbe junge Frau rennt weinend durch eine Straße. Ihr Traum, so viel ist klar, ist geplatzt. Wir ahnen, warum.

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New York, 2017. Im Großraumbüro der New York Times stehen fünf Menschen um einen Bildschirm, darunter die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey. Sie fliegen ein letztes Mal über den Text und ziehen schließlich den Cursor auf „publish“. Klick.

Das ist die erste und die letzte Szene von „She said“. Was dazwischen passiert ist, ist bekannt. Was seither passierte, sowieso. Der Filmmogul Harvey Weinstein hat jahrzehntelang seine Macht benutzt, um zahllosen Frauen – Schauspielerinnen, aber auch „normalen“ Angestellten – sexuelle Gewalt anzutun. Am 11. März wurde der heute 70-Jährige in New York wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt. Gerade steht er in Los Angeles wieder vor Gericht. Der Fall war Auslöser für die weltweite #MeToo-Bewegung, sie sich in diesem Winter zum fünften Mal jährt.

Megan Twohey und Jodi Kantor (sitzend), die echten Reporterinnen.
Megan Twohey und Jodi Kantor (sitzend), die echten Reporterinnen.

Obwohl der Film also eine bekannte Geschichte mit bekanntem Ausgang erzählt, ist es ungeheuer spannend und berührend, wie sie erzählt wird. Denn Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz und Regisseurin Maria Schrader haben keinen der üblichen „Mutige-Reporter-decken-Skandal-auf“-Filme gemacht, der spätestens seit Watergate ein beliebtes Genre des amerikanischen Films ist. Selbstverständlich würdigt „She said“ die Leistung der Reporterinnen Jodi Kantor und Megan Twohey, die mit unermüdlichem Einsatz versuchen, Weinsteins Opfer davon zu überzeugen, gegen den übermächtigen Filmboss auszusagen. Doch der Film zeichnet die beiden nicht als Heldinnen, die über Opfer schreiben, sondern als zugehörig zur potenziellen Opfergruppe. Die Journalistinnen sind auch Frauen, wie ihre Zeuginnen, auch ihnen hätte es passieren können. Zoe Kazan und Carey Mulligan, die im Oscar-Gewinner „Promising Young Women“ die Vergewaltigung ihrer Freundin rächte, spielen die beiden Reporterinnen mit einer Mischung aus Kampfgeist und Verletzlichkeit.

Und auch der Täter Weinstein ist im Film kein singuläres Monster, sondern Teil der Männerwelt, in der sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung sind. Da ist der Typ in der Kneipe, der die beiden ins Gespräch vertieften Journalistinnen anbaggert und ausfallend wird („Ich fick dich von hinten!“), als die seine plumpen Avancen abweisen. Da ist Megans kleine Tochter, die nach einem Telefonat der Mutter fragt: „Ging es da um Vergewaltigung?“ Als die Mutter fragt, woher die Achtjährige dieses Wort kennt, antwortet die: „Die Jungen sagen es alle!“ Und da ist natürlich Donald Trump, dessen berühmt-berüchtigten Satz „You can grab them by the pussy“ die Journalistin Megan Twohey an die Öffentlichkeit brachte – und der trotzdem gewählt wurde.

"Auch ich empfand es früher als Stärke, all diese Erlebnisse zu vergessen, wegzulachen oder zu ignorieren." Regisseurin Maria Schrader
"Auch ich empfand es früher als Stärke, all diese Erlebnisse zu vergessen, wegzulachen oder zu ignorieren." Regisseurin Maria Schrader

Schon die erste lange Kamerafahrt durch die Straßen von New York, die auf jedem Frauengesicht kurz einfriert, zeigt, worauf es der deutschen Regisseurin Schrader ankommt: Der Fall Weinstein ist ein besonders skandalöser, aber er steht pars pro toto für ein System. „Ich kenne kaum eine Frau, die nicht einen Kanon von schlechten Erfahrungen gemacht hat – von chauvinistischen Sprüchen über Einschüchterung bis hin zu sexuellen Übergriffen. Das liegt daran, dass wir in einer Welt aufgewachsen sind, die von patriarchalen Strukturen geprägt war und ist“, sagt Maria Schrader.

Und natürlich hat sie das alles selbst erlebt: „Verbaler Sexismus, unerwünschte körperliche Berührungen, Zudringlichkeiten, bei der Arbeit und außerhalb.“ Der Mitfahrer im leeren U-Bahn-Abteil, der vor ihr zu onanieren beginnt; der Kollege am Theater, von dem sie sich so bedroht fühlt, dass sie einen Rechtsanwalt einschaltet. Das allerdings, sagt Schrader, sei das einzige Mal gewesen, dass sie sich gewehrt habe. „Ich empfand es als Stärke, all diese Erlebnisse sofort zu vergessen, wegzulachen oder zu ignorieren.“

Diese Zeiten sind, jedenfalls für entschieden mehr Frauen als früher, seit #MeToo vorbei. Allerdings: Dass Frauen sexuelle Übergriffe nicht mehr schweigend hinnehmen, ist eins. Was dann passiert, etwas anderes. Zu besichtigen bei der Causa Dieter Wedel, dem einzigen #MeToo-Fall in Deutschland. Obwohl mehrere Frauen den Regisseur schwerer sexueller Straftaten beschuldigt hatten, darunter eine äußerst brutale Vergewaltigung, konnte der die Taten erfolgreich abstreiten. Noch bevor überhaupt ein Verfahren eröffnet war, machten sich Wedels drei VerteidigerInnen daran, die mutmaßlichen Opfer zu verunglimpfen. Und die Münchner Staatsanwaltschaft ließ sich so lange Zeit mit der Anklageerhebung, dass eines der mutmaßlichen Opfer „Untätigkeitsbeschwerde“ einreichte. Als die Staatsanwaltschaft im April 2021 schließlich Anklage erhob, zögerte das Münchner Landgericht wiederum ein Jahr lang mit der Entscheidung, ein Verfahren zu eröffnen – obwohl (oder weil?) bekannt war, dass der 82-Jährige erkrankt war. Wedel starb eine Woche, bevor das Verfahren eröffnet wurde.

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Doch selbst wenn sehr viele Frauen einen Mann beschuldigen (bei Weinstein über 80!), selbst wenn alle „es“ wissen, passiert oft – nichts. Denn es gilt: „He said, she said“. Aussage gegen Aussage. Eine Konstellation, die in den meisten Fällen mit dem Freispruch des mutmaßlichen Täters endet, besonders wenn der reich und mächtig ist.

Megan Twohey und Jodi Kantor sorgten dafür, dass etwas passierte, und wurden für ihre Recherche mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, gemeinsam mit Ronan Farrow. Der Sohn von Mia Farrow und Woody Allen hatte ebenfalls im Fall Weinstein recherchiert und am 23. Oktober 2017, eine Woche nach den beiden Kolleginnen von der New York Times, seine Enthüllungsgeschichte im New Yorker veröffentlicht.

Farrow kennt das „He said, she said“-Prinzip aus eigener, bitterer Erfahrung. Seine jüngere Schwester Dylan hatte ihren Adoptivvater Woody Allen mehrfach des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Dennoch konnte Allen weiterhin als gefeierter Starregisseur in Hollywood Karriere machen. Produziert wurden seine Filme von: Harvey Weinstein.

Harvey Weinstein steht gerade vor einem Gericht in Los Angeles, vier Frauen, darunter die Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs, Jennifer Siebel Newsom, beschuldigen ihn schwerer sexueller Übergriffe. Newsoms Filmkarriere war nach der Vergewaltigung im Jahr 2005 vorbei, unter Tränen erklärte sie, sie schäme sich bis heute.

Auch dies zeigt Maria Schrader in „She said“, indem sie, auch mit der Kamera, ganz dicht an den aussagenden Frauen bleibt: Welch dramatische Folgen sexuelle Gewalt hat, nicht selten lebenslänglich. „She said“ zeigt die tiefe Verletzung der Frauen, die gegen Weinstein aussagen, aber auch ihren Mut und ihre Würde. Auch deshalb wird Maria Schraders Film zurecht als Kandidat für den Oscar gehandelt.

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