Alice Schwarzer schreibt

Die Favoritin der Basis

Artikel teilen

Als der Favorit für den Part des konservativen Präsidentschaftskandidaten im Januar in der überfüllten Pariser Olympiahalle vor seine Parteibasis trat, sprach er gleich im ersten Satz von seinen Gefühlen: "Ich glaubte früher, ein starker Mann müsse seine Gefühle verbergen", sagte Nicolas Sarkozy, das Emigrantenkind ungarisch-griechisch-jüdischer Eltern. "Aber ich habe inzwischen verstanden, dass nur derjenige stark ist, der in seiner ganzen Wahrheit erscheint." Der Innenminister mit der starken Faust spielte damit primär auf seine in der Öffentlichkeit breit betratschte Ehekrise an, während der ihn seine Frau und Wahlhelferin Cäcilia sogar kurzfristig wegen eines anderen verlassen hatte. Dahinter jedoch stand seine Erkenntnis, dass der bisher Siegesgewisse es nun schwer haben dürfte beim Kampf um den Einzug in den Élisée-Palast, sehr schwer. Denn sein Gegner ist seit jüngstem - eine Gegnerin. Also spielt der gewiefte Sarkozy im Wahlkampf die "weibliche" Karte: die der Gefühle.

Anzeige

Den weiblichen Part verkörpert Konkurrentin Ségolène Royal, die Kandidatin der bis zu deren Antritt chancenlosen Sozialisten, in echt und in Perfektion. Denn "die Frau mit dem sanften Lächeln und dem sturen Dickkopf", sieht nicht nur so aus, dass "jeder Mann sie gerne heiraten möchte" (laut Umfragen), sondern ist auch noch eine in der Wolle gewaschene Feministin. Ihre Vorbilder sind, laut eigenen Aussagen, niemand Geringeres als Jeanne d'Arc und Simone de Beauvoir.

Die Stimmung in Frankreich? "Es muss sich was ändern!"So gerüstet tritt Ségolène Royal, 53, am 22. April an, in Frankreich die Wahlen zu gewinnen (Stichwahl 6. Mai). Denn in Umfragen liegt "la madonna de sondages" ganz vorn. Drei Monate vor der Wahl sind 55 Prozent aller Franzosen und Französinnen bereit, ihr ihre Stimme zu geben. Warum? Wohl weniger wegen des Wahlprogramms, das vage sozialistisch ist und ein bisschen kapitalistisch (sie will zum Beispiel die in Frankreich geltende 35-Stunden-Woche abschaffen); vage auch, weil die Kandidatin in manchem, wie in der Außenpolitik, noch keine klaren Positionen zu haben scheint, und weil die Linke zur politischen Mitte schielt.

Nein, die Begeisterung liegt wohl eher in ihrer anderen Erscheinung und ihrem anderen Stil begründet. Die aktuelle Stimmung in Frankreich lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Faut que ca change! - Es muss sich was ändern! Und diese Stimmung scheint sich allmählich in der gesamten westlichen Welt breitzumachen. Die Menschen sind die großspurigen Sprüche und Auftritte der Zampanos einfach leid. Sie wissen, dass die Frauen nicht zum Club gehören und, bei allen Unterschieden auch untereinander, weniger eitel, sachorientierter und dichter an den Menschen sind.

So wie auch Angela Merkel, deren Entwicklung in Frankreich, seit Royal dräut, mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt worden ist. Die deutsche Kanzlerin bewies den Franzosen, dass eine Staatschefin nicht nur anders ist als die gewohnten Gockel, sondern sich - selbst bei demonstrativen Handküssen - auch auf dem internationalen Parkett sicher bewegt und überhaupt ihre Sache mindestens so gut macht wie die Jungs.

Gleichzeitig aber verkörpert Merkel ein Royal scheinbar diametral entgegen gesetztes Frauenbild. Denn Royal hat nicht nur eine klassisch weibliche Inszenierung, sondern ist auch Mutter von vier Kindern. Deren Vater Francois Hollande ist auch noch Chef ihrer Partei und galt selber eine Zeitlang als potenzieller Präsidentschaftskandidat. Niemand scheint wirklich sagen zu können, ob Hollande nun Royals Konkurrent ist oder ihr Komplize - vermutlich letzteres, mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Es ist zu vermuten, dass der politische Gegner im Wahlkampf versuchen wird, das Paar zu entzweien - was bisher nie gelungen ist.Le Pen verkörpert, was sie an ihrem autoritären Vater hasste.

Doch Ségolène tritt nicht nur gegen zwei Männer an, sondern gegen drei. Der Dritte ist der vielleicht gefährlichste, aber auf jeden Fall der eigentliche Gegner. Es ist Jean Marie Le Pen, die allmächtige Vaterfigur der französischen Rechtsradikalen (der von seiner Tochter Marine promotet wird). Le Pen hatte bei den Wahlen 2002 satte 16 Prozent errungen, was den sozialistischen Präsidenten Alain Jospin kippte und so indirekt dem eigentlich schon damals ausgedienten Jacques Chirac wieder in den Sattel half. Für 2007 halten Demoskopen 20 Prozent der Stimmen für Le Pen keineswegs für ausgeschlossen.

Bremsen könnte diese Entwicklung vermutlich noch nicht einmal der mit eiserner Faust am rechten Rand fischende Sarkozy, sondern nur eine: die mit entschlossener Sanftmut die Basis verführende Royal. An politischer und persönlicher Motivation zum Kampf gegen die Rechtsradikalen mangelt es der Kandidatin nicht. Denn Le Pen ist nicht nur der Mann, den ihr Vater zu wählen pflegte, er verkörpert auch alles, was sie an ihrem autoritären Vater hasst, über den Tod hinaus.

Ségolène Royal kommt als viertes Kind von Colonel Jacques und Hausfrau Hélène in Dakar zur Welt, der Hauptstadt der damaligen französischen Kolonie Senegal. Es sollten noch vier Kinder folgen, doch der Vater sprach lebenslang nur von "meinen fünf Kindern und den drei Mädchen". Der Sohn eines Generals und Berufsoffizier ließ sich mit Anfang 40 pensionieren, frustriert über die militärischen Niederlagen und den Niedergang Frankreichs als Großmacht.

Doch für die Familie war die Dauerpräsenz des Vaters in den heimatlichen Vogesen kein Quell der Freude. Der hartherzige Mann machte aus dem Familienhaus eine Kaserne, drillte die Jungen und demütigte die Mädchen ("Mein Vater hat es uns Mädchen immer spüren lassen, dass wir für ihn Menschen zweiter Klasse waren"). Er verachtete auch seine Frau - und er schlug alle. Die Mutter resignierte. Doch als der Schwiegervater über sie die Parole ausgab: "Hélène ist verrückt", reichte es den Kindern. Sie hielten offen zur Mutter, rebellierten und die Familie zerbrach.

In der Zeit ist Ségolène schon Studentin in Nantes. Als die verzweifelte Mutter bei ihr Hilfe sucht, ist für sie klar: Die Tochter hält zu ihr. Der Vater rächt sich klassisch, er zahlt keinen Pfennig. Die Mutter ist zeitweise so bitterarm, dass sie beim Sozialamt um Matratzen für ihre Jüngsten betteln muss. Mit 19 verklagt Ségolène den Vater auf Unterhalt - es dauert Jahre, bis er zum Zahlen verurteilt wird.Der Präsidentschaftskandidatin und vierfachen Mutter muss also niemand erzählen, was Frausein bedeutet und Familie auch sein kann. Aus ihrer Erfahrung zieht sie den Schluss, dass sie weder dem tyrannischen Vater - bei dem sich in Bezug auf Tochter Ségolène traditionelle Verachtung mit widerwilligem Respekt mischte - noch der gebrochenen Mutter nacheifern will. Ségolène lernt und lernt und lernt - und heiratete auch als Mutter von vier Kindern nicht den Vater ihrer Kinder. Damit liegt die Kandidatin im Trend: In Frankreich kommt heute jedes zweite Kind "außerehelich" zur Welt.

Es ist eher einem Zufall zu verdanken, dass die Einserstudentin trotz mangelnder Privilegien und Beziehungen den Sprung auf die ENA schafft, die Kaderschmiede der zukünftigen Verwalter und Regierenden der Grande Nation. Sie ist auf der ENA eher eine Außenseiterin - bis sie dem langen Werben des als "Monsieur Witzbild" beliebten Francois Hollande, ein Arztsohn aus der Normandie, nachgibt. Die beiden werden ein Paar, er wirbt sie für die Parti Socialiste, in die sie 1978 eintritt.

In der Zeit fordert die frauenbewegte Royal an der Eliteschule ENA provokant "Nähkurse für Studenten und Handwerkskurse für Studentinnen", und als Namen für ihren Jahrgang schlägt sie "Louise Michel" vor, die Sozialistin und Kommunardin, die 1871 die letzte Barrikade der Pariser Kommune hielt. Es wurde dann doch der Jahrgang "Voltaire".

1982 wird Ségolène, zusammen mit ihrem Gefährten Francois, die jüngste Beraterin von Präsident Mitterand - und hat prompt mit Gerüchten über ihre "sehr gute" Beziehung zu dem berüchtigten Womanizer zu kämpfen. Doch sie steckt nicht zurück. Nicht nur als sie als Abgeordnete für die traditionell konservative Region Poitou-Charantes in Westfrankreich kandidiert - und überraschend gewinnt - sind von ihr neue Töne zu hören.

1988 attackiert sie auf einer Wahlveranstaltung die Werbung für Sloggy-Slips, die auf Plakaten Mädchen in Stringtangas zeigen. "Solche Plakate sind für Frauen entwürdigend!", ruft Ségolène in den überwiegend mit Männern besetzten Saal. Am nächsten Tag ist sie mit dem Thema auf den Titelseiten der Medien.

Und als Royal 1992 Umweltministerin wird, stellt sie nicht nur ihre Kompetenz für ökologische Probleme unter Beweis, sondern proklamiert auch die "Feminisierung der Sprache": Die damals 39-Jährige ist die erste, die sich nicht mehr "Frau Minister", sondern "Frau Ministerin" nennen lässt. Der Umstand, dass sie mit ihrem vierten Kind im achten Monat ist, kann sie nicht daran hindern, am Umweltgipfel in Rio teilzunehmen - und dreieinhalb Stunden nach der Geburt der Tochter Flora ihr erstes Interview zu geben, strahlend. Es heißt, der Lebensgefährte und Vater des Kindes habe vorher von dem Interview nichts gewusst.

In der Tat wird, bei aller entschlossenen Familienloyalität der Royal-Hollandes, immer wieder Ségolène "sehr eigener Kopf" und ihre "Unabhängigkeit" betont, auch vom eigenen Lebensgefährten.1997 wird Royal Erziehungsministerin - und lanciert nicht nur die "Pille danach" für Schülerinnen, sondern greift auch scharf die Tradition der sadomasochistischen Initiationsriten für Abiturienten an, die auf Eliteschulen gehen. Sie müssen sich vor schwarz maskierten Lehrern und johlenden Mitschülern im Dreck wälzen und Kot essen, die Mädchen strippen. Die von Madame la Ministre kritisierten Lehrer sind so beleidigt, dass sie gegen ihre oberste Dienstherrin klagen. Vergeblich."Prostitution ist eine Beleidigung für alle Frauen."

Die Frau weiß, was sie tut, vor allem im Bereich der Gewalt und Sexualpolitik, von der Abtreibung bis zur Prostitution. Selbstverständlich befürwortet die Mutter von vier Kindern die in Frankreich geltende Fristenlösung, das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten. Und ebenso selbstverständlich bekämpft sie die Prostitution. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 schreibt Ségolène Royal einen "offenen Brief" an die deutsche Kanzlerin, in dem sie diese auffordert, gegen die zunehmende Tolerierung von Prostitution und Menschenhandel in Deutschland aktiv zu werden.

Royal: "Es ist nicht zu tolerieren, dass anlässlich der Weltmeisterschaft im Herzen von Europa ein Sklavenmarkt organisiert wird. Das ist eine Beleidigung für alle Frauen, auch für die immer zahlreicher werdenden weiblichen Fans." Und sie erinnert daran, dass die auch von Deutschland unterzeichneten UN-Konventionen die Prostitution als "unvereinbar mit der Menschenwürde" verurteilen. Merkel hat darauf nie geantwortet - was sich bei einer Staatspräsidentin Royal ändern dürfte.

Sollte Ségolène Royal die Wahl gewinnen, wird die Freude auch innerhalb ihrer eigenen Partei gemischt sein, zumindest in den oberen Etagen. Die so genannten "Elefanten", die selber kandidieren wollten, haben bis zuletzt versucht, die Konkurrentin aus den eigenen Reihen zu verhindern. Mit allen Mitteln. Sprüche wie "frömmelnde, dumme Kuh" oder "ein Wahlkampf ist kein Schönheitswettbewerb" waren noch das Harmloseste. "Doch als ihre innerparteilichen Konkurrenten anfingen, Ségolène Royal als "Schneewittchen" zu verspotten, hatten sie nicht bedacht, dass ihnen fortan der Part der sieben Zwerge zugeschrieben würde", spottete die FAZ.

Männer scheint die Frage nicht wirklich zu bewegen, aber Frauen fragen sich natürlich: Und wie macht sie das mit den vier Kindern? Nun, Frankreich, da hast du es besser. Zum einen gehen alle Kinder in die staatlichen Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten, die Maternelles. Auch stehen Ganztagskrippen zur Verfügung. Und wer es sich leisten kann, hat auch noch eine Ersatzmutter für die Kinder im Haus. Bei Royal-Hollandes ist es eine Senegalesin, die seit 20 Jahren mit der Familie lebt.

Anders wäre der Stress auch gar nicht zu bewältigen. Denn beide haben ihre, hunderte von Kilometern auseinanderliegenden, Wahlkreise; und sie ist Präsidentschaftskandidatin und er Parteichef. Doch es heißt, dass auch er sich "sehr selbstverständlich" um Kinder und Haushalt kümmere, wenn er da ist. Alles wird scheinbar recht pragmatisch geregelt.

Dass Ségolène Royal nicht zu Sentimentalitäten neigt, zeigt auch eine Episode, die Heiko Engelkes, der ehemalige ARD-Korrespondent, in einer gerade erschienenen Royal-Biografie veröffentlicht hat ('Eine Frau auf dem Weg zur Macht').

Am 8. Januar 2006 zog ein breiter sozialistischer Pilgerstrom zum Grab von Francois Mitterand in Jarnac, um feierlich den zehnten Todestag des "sozialistischen Sonnengottes" zu begehen. Nur eine fehlte: Mitterands Protegée Ségolène Royal. Die war auf dem Weg nach Chile, um Michelle Bachelet im Wahlkampf zu unterstützen. Gefragt, warum sie so entschieden habe, antwortete sie den Journalisten: "Mir liegt die Zukunft näher als die Vergangenheit."

Übrigens: Wenn Ségolène Royal am 6. Mai 2007 zur Präsidentin von Frankreich gewählt werden sollte, weiß sie auch schon, welches Gesetz sie als erstes vorschlagen wird: ein Gesetz zum besseren Schutz von Frauen vor Gewalt. Und als Ségolène Royal in der Nacht zum 17. November 2006 von 61 Prozent der Parteimitglieder zur Kandidatin gekürt wurde, sprach sie mit Tränen in den Augen ins Mikro: "Wir werden gemeinsam eine neue Seite der Geschichte schreiben. (...) Es ist den Sozialisten vorbehalten, die kühne Revolution herbeizuführen, dass eine Frau an die Spitze des Staates gelangt und damit das Ideal von Gleichheit und Fortschritt verkörpert."

Zumindest in Frankreich könnte das so sein - doch auch da keineswegs dank der Genossen an der Macht, sondern ausschließlich dank der Stimmung an der Basis.

Alice Schwarzer, EMMA 2/2007 - vorab auf EMMAonline.

Die Homepage von Ségolène Royal: www.desirsdavenir.org

Erstes Royal-Porträt in EMMA 3/06.

Artikel teilen
 
Zur Startseite