Wir wollten doch nur sexy sein
Zugegeben: „Sex and the City“ war unsere Bibel. Sie war unsere heilige Schrift, die uns bestätigte, dass das, was wir lebten, richtig war. Wir waren Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha. Und wir saßen gemeinsam vor dem Fernseher und sahen uns unser Leben an. Wir spürten, dass wir gerade die beste Zeit unseres Lebens hatten.
Mit der Zeit zog jede von uns in ein anderes Land, manche bekamen Kinder, andere änderten ihr Leben komplett. Der erste Sex-and-the-City-Film kam in die Kinos – und wir waren enttäuscht.
Jetzt kommt „Sex and the City2“, und wir fragen uns, ob wir es uns überhaupt anschauen sollen. Es fühlt sich irgendwie überholt an. Veraltet. Outdated. Ja, mehr noch, sogar falsch. Was hat sich geändert? Haben wir uns geändert? Oder die Gesellschaft?
Es ging um sexuelle Befreiung. Ja, wieder Mal. „Wir haben uns in den Sechzigern sexuell befreit! Wozu noch eine Befreiung?“ ärgerte sich meine Mutter. Wirklich, wozu noch eine Befreiung? Weil wir eine andere Sexualität befreit haben. Die Generation meiner Mutter wollte Sexualität angstfrei und natürlich leben. Wir wollten sexy sein. Sexualität sollte gleichzeitig unser Schild und unsere Waffe sein.
Wir waren ausgebildet, hatten sichere und gute Jobs, unsere eigene Wohnungen, bezahlten unsere Rechnungen wie unseren Luxus selber. Wir schauten gut aus und trugen Stilettos. Wir waren Singles aus Überzeugung. Wir waren vollkommen selbständig.
Wir fühlten uns wie Kämpferinnen. Wir schauten uns die starken Damen nicht nur in der Serie an: Damals sangen Foxy Brown, Lil’ Kim und Beyoncé über ihre (und unsere) Macht. Sie sangen über ihre Rollen als Anführerinnen der Gangs oder über ihre riesigen Rechnungen, die sie selber beglichen. Dass sie stark und noch dazu sexy sein durften, war die Bestätigung für diese neu erworbene Machtposition.
Die Wende passierte überraschend schnell. In kürzester Zeit. Kaum war die weibliche Sexualität zum Mittel zum Zweck mutiert und hatte sich von ihrer natürlichen Rolle abgewandt, verwandelte sie sich in ein Instrument, das erneut zur Unterdrückung der Frauen benutzt wird. Die Sexualität der Frauen geriet außer Kontrolle, oder besser gesagt, unter die Kontrolle jener, die sie manipulierten, um mit ihr Geld zu verdienen.
Beyoncé, die damals „Independent“ und „I pay my own bills“ sang, tritt heute fast komplett nackt auf und singt „Watch me on your Videophone“. Die einstige Kämpferin für Frauenrechte verwandelte sich in eine aufblasbare Puppe.
Die Pornografisierung und Sexualisierung der Gesellschaft nimmt verheerende Ausmaße an. Die Medien bombardieren uns mit einem Frauenbild, das direkt von der Zeitschrift Penthouse kopiert wurde. Neue Technologien machen Pornografie zur Normalität, und das schon unter Schulkindern. Die Mädchen glauben, sie müssen voll rasiert sein, übergroßen Busen haben und stets zu Analverkehr, Gangbangs und lesbischem Sex bereit. Die Sexual- und Jugendforscher sagen, dass aufgrund der Diskrepanz zwischen Pornografie und Realität schon sehr junge Männer Probleme mit der Potenz hätten.
Und wir, die „Sex and the City“-Generation? Wir verstecken uns in unseren Ehen, in schlechten Beziehungen, hinter unseren Kindern und tauschen Sexualität gegen Konvention. Ein Versuch, unsere Schuldgefühle zu verbergen?
Die Wandlung der befreiten Sexualität zur Unterdrückung von Frauen ist nirgendwo besser zu sehen als bei den geheimen Stars der Serie: den Schuhen. Bei „Sex and the City“ hatten die Schuhe einen symbolischen Status – sie symbolisierten eine emanzipierte und selbstbewusste Weiblichkeit. Und ja, wir hatten damals alle eine Schuhkollektion.
Die ist mittlerweile verstaubt. Einem Dreijährigen auf Stilettos hinterherlaufen ist schwer. Trotzdem spazierte ich vor wenigen Tagen in ein Schuhgeschäft. Und ich begann vor Wut zu schreien. Die Regale waren bedeckt mit Schuhen, die man vor kurzen nicht einmal im Sexshop finden konnte. SM-Schuhe. Mit fünf Zentimeter hohen Plattformen und dünnen, 15 Zentimeter hohen Absätzen. Schuhe mit hunderten metallbesetzten Riemchen, die den Fuß in einen Käfig zwingen. Schuhe, die nicht nur nach Sex schreien, sondern die Trägerin auch leiden lassen: Eine Mischung aus chinesischen Fussfesseln und Fischgräten-Mieder.
Neben mir eine aufgeregte Gruppe sehr junger Mädchen, 17 schätzte ich. Sie trugen hautenge Jeans und kurze Jacken, probierten die Schuhe an – und sahen wie minderjährige Prostituierte aus. Ja, auch die Schuhe haben sich gegen uns gewandt.
Und das Shopping? Carrie, Miranda, Samantha und Charlotte shoppten. Und shoppten. Und hatten Spaß dabei. Und wir shoppten auch. Genau wie die Schuhe, hatte auch das Shoppen symbolischen Charakter: Es symbolisierte die Verbindung zwischen der errungenen wirtschaftlichen Selbstständigkeit und befreiten Sexualität.
Doch wir genießen das Shoppen nicht mehr. Die Wirtschaftskrise machte es uns klar, dass wir zu Geiseln unseres eigenen Konsums wurden. Wir arbeiteten um zu konsumieren, wir identifizierten uns mit dem Konsumieren und fühlten uns zusehends miserabel, weil wir im Konsum eine Erfüllung suchten, die dort nicht zu finden war. Auch das bedrohliche Nahen einer Umweltkatastrophe nahm dem Shopping den Spaß. „Kann man Schuhe recyceln?“ tauchte als Frage auf.
Es wurde schmerzhaft, als wir merkten, dass dieser Konsumwahn eine Verbrauchermentalität erzeugte, die sich schnell in anderen Bereichen unseres Lebens spiegelte. Wir verbrauchten Männer, Beziehungen, Erfahrungen. Wir verbrauchten uns selbst.
Und dann die Freundinnen. Die Freunde als Familie. Vier Freundinnen, die seit zwölf Jahren damit beschäftigt sind, ihre Probleme gemeinsam durchzukauen. Frauen, die von sich selbst (und ihrem engsten Kreis) besessen sind. Frauen, die die Individualisierung verkörpern, unter der unsere Gesellschaft leidet. Aber was ist mit dem Rest? Was ist mit Frauen, die aus anderen sozialen Schichten kommen, Frauen aus anderen Kulturen?
Wieder Mal kommt die Finanzkrise ins Spiel. Vor zwei Jahren zeigte sie uns deutlich, dass wir an den Punkt gelangen, an dem wir über den Tellerrand schauen müssen, wenn wir überleben wollen. Globalisierung führte uns zu gegenseitiger Abhängigkeit. Wenn die amerikanische Wirtschaft leidet oder die chinesische Wirtschaft kriselt, geht es auch unserer Emanzipierung an den Kragen – und anderen Frauen schlecht. Was ist mit den Frauen in indischen Fabriken, die für 16 Dollar im Monat unsere Designertaschen nähen? Was ist mit afrikanischen Frauen, die nach Europa als Sexarbeiterinnen verkauft werden? Was ist mit osteuropäischen Frauen, die nach dem Zerfall des Kommunismus abhängig werden von den Männern?
Es ist mittlerweile für westeuropäische Männer zum Statussymbol geworden, eine schweigsame osteuropäische Schönheit zu heiraten. Wiener Geschäftsmänner reisen zum Brautkauf nach Osteuropa. Aus Angst vor Verlust lassen viele junge westeuropäische Frauen die Emanzipation fallen - und machen mit bei der neuen Unterwürfigkeit.
Eigentlich war die ganze Serie eine einzige Suche. Die vier Frauen suchten. Die große Liebe? Den perfekten Mann? Glück und Erfüllung? Und wie es im Leben so ist, suchten sie die ganze Zeit sich selbst. Nach zwölf Jahren suchen sie immer noch. Die Welt hat sich in diesen zwölf Jahren enorm verändert. Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Durch die Finanzkrise ist eine Systemkrise klar geworden. Nur bei Frauen hat sich wenig getan. Wir sind sogar ein paar Schritte zurück gedrängt worden.
Doch hey, die Krise zeigte uns, dass wir an die Grenzen der männlichen Weltordnung gestoßen sind. Genau jetzt wäre der richtiger Zeitpunkt, eine Alternative anzubieten. Eine neue, weibliche, solidarische, humane Weltordnung. Ja, ich weiß, das ist viel verlangt. Aber träumen darf frau wohl noch, oder?
Die Autorin ist in Kroatien geboren und lebt heute in Wien. Sie veröffentlichte zuletzt „Von der Barbie zum Vibrator“ (Czernin Verlag). – www.tajder.com
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