Sexismus im Klassenzimmer

Soma Saras Initiative gegen Rape Culture hat den Stein ins Rollen gebracht. Foto: imago images
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Pornovideos, Deepfakes oder Nacktfotos von Mitschülerinnen werden an Schulen unter Jungs auf dem Handy ausgetauscht wie früher das Pausenbrot. Lehrerinnen beklagen seit Jahren den steigenden Sexismus im Klassenzimmer und auf dem Schulhof. In Großbritannien hat sich an den Schulen eine regelrechte Rape Culture, eine Vergewaltigungskultur, breitgemacht.

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Erstmals liefert nun eine Studie von Ofsted, der obersten Aufsichtsbehörde im britischen Bildungssystem, Zahlen für das Ausmaß an Sexismus und sexuellen Übergriffen. Rund 900 Schülerinnen und Schüler von mehr als 30 Schulen in Großbritannien wurden für die Untersuchung befragt, auch LehrerInnen und SchulleiterInnen kamen zu Wort.

Neun von zehn Mädchen werden sexuell belästigt, drei Viertel erleben Übergriffe

Die Ergebnisse sind erschütternd: Neun von zehn Mädchen gaben an, oft und ungewollt explizite Bilder geschickt oder mit sexistischen Spitznamen angesprochen zu werden. Rund drei Viertel berichteten von sexuellen Übergriffen. Deutlich mehr als die Hälfte gab an, schon ungewollt berührt worden zu sein.

„Die Untersuchung hat mich schockiert. Es ist alarmierend, dass viele Mädchen das Gefühl haben, sexuelle Belästigung als Teil des Erwachsenwerdens akzeptieren zu müssen“, sagte die Ofsted-Inspektorin Amanda Spielman, die die Ergebnisse vorstellte.

Zudem seien die sozialen Medien ein wahrer Nährboden für sexuelle Belästigung. Diese machten es einfach, anonym Nacktbilder von Mädchen zu verschicken, die man gegen ihren Willen fotografiert hat. Frauen könnten im Netz ungestraft und ohne viel Aufwand herabgewürdigt werden. Diese Form von Belästigung habe massiv zugenommen.

Vor allem Mädchen kritisierten in der Befragung, dass im Unterricht nicht gelehrt werde, was respektvoller und akzeptabler Umgang miteinander sei. „Es sollte nicht unsere Verantwortung sein, Jungs zu erziehen“, sagte eines der befragten Mädchen.

Das Problem werde von Verantwortlichen massiv unterschätzt, hält der Bericht fest: „Entweder identifizierten Schulen sexuelle Belästigung und sexualisierte Sprache nicht als bedeutsame Probleme, behandeln sie nicht ernsthaft oder wissen gar nicht, dass sie passieren."

Auch in Deutschland beobachten wir stark zunehmenden Sexismus an Schulen

Dasselbe gilt auch für Deutschland. Hier hat die Erziehungswissenschaftlerin Sabine Maschke 2017 in einer Studie über sexualisierte Gewalt (EMMA 5/2017) ähnliche Zahlen aufgedeckt. Damals wurden 2.700 SchülerInnen an 53 hessischen Schulen befragt. Auch hier klagten 40 Prozent der Schülerinnen über sexistische Kommentare und Beleidigungen. Jede dritte wurde gegen ihren Willen an ihrem Körper berührt.

"Wir beobachten eine zunehmende Sexualisierung unter unseren Schülern. Für Mädchen gehört das schon zum Alltag“, sagt Kerstin Schubert. Sie ist Vertrauenslehrerin an einer Leipziger Mittelschule. Zu ihr kommen fast ausschließlich Mädchen, die von ihren Klassenkameraden sexuell bedrängt oder gemobbt werden, über das Handy oder direkt im Klassenraum. „Die Jungs tauschen Fotos und Videos aus. Hoch im Kurs stehen Nacktfotos von Ex-Freundinnen, manchmal sogar Sexvideos, die sie heimlich gemacht haben. Mädchen, die gut in der Schule oder selbstbewusst sind, kassieren ständig Sprüche. Zum Beispiel, wenn sie zur Tafel gehen. Dann kommt aus irgendeiner Bank sowas wie: ‚Gleich wackelt der Arsch wieder‘. Ich sanktioniere das sofort, aber damit werden Mädchen auf Dauer mundtot gemacht und geschwächt“, berichtet Kerstin Schubert.

Sie selbst war auch schon eine "Trophäe", die ausgetauscht wurde. Ein Schüler, der sitzengeblieben war, wollte sich rächen und hatte einen Deepfake-Porno von ihr in Umlauf gebracht, ein Video, auf dessen Protagonistin er den Kopf seiner Lehrerin gebastelt hatte. Kerstin Schubert hat ihn angezeigt, er wurde der Schule verwiesen. Trotzdem wurde sie von Schülern und von Kollegen wochenlang blöd angegrinst.

„Sexismus gibt es an jeder Schule – und er nimmt zu. Ein Problem ist, dass wir LehrerInnen durch zu große Klassen nicht allem nachgehen können. Ein weiteres Problem ist, dass Eltern von Tätern das Verschicken von Nacktfotos von Mädchen als so etwas wie die Lausbubenstreiche von heute abtun“, erklärt Kerstin Schubert. Und Schulleitungen schauten bei dem Thema einfach weg, würden es ‚ins Private‘ verschieben. Ihrer Meinung nach bräuchte es schärfere Sanktionen und eine größere Sensibilisierung an Schulen.

Soma Sara hat das Thema Rape Culture in die Öffentlichkeit gebracht

In Großbritannien hat eine Schülerin den Stein dafür ins Rollen gebracht. Soma Sara ist die Gründerin der Initiative „Everyone's Invited“ („Alle sind eingeladen“). Im vergangenen Jahr begann die 22-jährige Studentin auf Instagram, sich über sexuelle Belästigung und Gewalterfahrungen auszutauschen.

Mittlerweile sammeln sich auf der Seite mehr als 16.550 anonyme Berichte von britischen Schülerinnen und Studentinnen im ganzen Land. Manchester, Eton, Highgate, Swansea: Unbekanntere Colleges und staatliche Schulen gehören ebenso zu den Schauplätzen wie teure Privatschulen oder die renommierten Elite-Unis in Oxford oder Cambridge. Es geht um Mitschüler, die unter dem Tisch übergriffig werden. Um Lehrer, die ihren Schülerinnen auf die Brüste starren. Um vermeintliche Studienfreunde, die sich als Vergewaltiger herausstellen.

Dass es das Thema Rape Culture in den vergangenen Wochen mehrfach auf die Titel großer britischer Zeitungen geschafft hat, sieht Sara als Erfolg ihrer Initiative.

Auch die Ofsted-Untersuchung hätte es ohne die Initiative von Soma Sara nicht gegeben. „Everyone's Invited“ forderte nach der Untersuchung, an Schulen die Möglichkeit zu etablieren, sexuelle Übergriffe und Belästigungserfahrungen anonym sofort anzuzeigen. Auch dieser Stein wurde nun ins Rollen gebracht.

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