(Sexual-) Gewalt im Internet

Artikel teilen

Ein „weltweiter Weckruf!“ – als nichts Geringeres bezeichnete „UN Women“ und die „UN Broadband Commission for Digital Development“ ihren Report zur „Cyber-Gewalt gegen Frauen und Mädchen“. Ein Weckruf, der allerdings schon nach wenigen Tagen wieder verstummte. Der Report wurde aus dem Verkehr gezogen. Warum?

Anzeige

Physische Gewalt und Cyber-Gewalt nähren sich gegenseitig

Auf 61 Seiten stellten die VerfasserInnen die Online-Übergriffe auf eine Stufe mit der Gewalt gegen Frauen, wie sie in der Offline-Welt seit jeher grassiert. Mehr noch: „Physische Gewalt und Cyber-Gewalt nähren sich gegenseitig“, heißt es in dem UN-Report. „Was früher eine private Angelegenheit war, kann heute innerhalb von Sekunden an eine Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gesendet werden.“ Es gibt kein Entkommen. Wohin auch immer die Betroffenen fliehen – das Internet ist schon da.

Vor allem jüngere Frauen zwischen 18 und 24 Jahren müssen laut UN im Netz Stalking, sexuelle Belästigung und körperliche Drohungen erdulden. Es gibt bisher kaum Zahlen, wie viele Frauen davon weltweit betroffen sind. Doch ein Blick in die deutsche Kriminalstatistik verrät: Sogar die angezeigte Anzahl derer, die im Netz bedroht wurden, hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt. Von der Dunkelziffer ganz zu schweigen. Die Täter sind meistens männlich – und die Opfer weiblich.

Diese Entwicklung wird in Zukunft durch die steigende Verbreitung von Smartphones oder durch das „Internet der Dinge“, in dem jeder Gegenstand vernetzt sein soll, noch verschärft. Smartphone-Messenger wie WhatsApp, Soziale Online-Medien wie Facebook oder Twitter und auch Foren wie reddit oder 4chan sind neue Kanäle für ein altes Problem von „epidemischem Ausmaß“. Oder wie die Chefin von UN-Women, Phumzile Mlambo-Ngcuka, es nüchtern ausdrückt: „Tot ist tot. Ob du tot bist, weil dein Mann dich erschossen oder zu Tode geprügelt hat. Oder ob du dich selbst umbringst, weil du die virtuellen Schikanen nicht mehr ertragen kannst – unterm Strich verlieren wir ein Leben.“ Die Selbstmorde junger Frauen, die über die Hatz im Netz verzweifeln, werden in der Tat ein echtes Problem.

Unter Feministinnen ist diese Frauenhatz im Netz schon lange Thema. EMMA berichtete 2010 das erste Mal über Bloggerinnen, die systematisch bedroht wurden (EMMA 3/2010). Seither ist das Problem noch eskaliert. Ein Höhepunkt waren die Gamergate-Attacken gegen Frauen aus der Spiele- Industrie im vergangenen Jahr. Drei der Betroffenen, darunter die Game-Analystin Anita Sarkeesian, flüchteten nach Morddrohungen auf Twitter sogar aus ihren Wohnungen (EMMA 2/2015). Eine solche Wucht bekommen die Attacken durch die ihnen eigene Mob-Mentalität: „Belästigung im Internet ist zu einer Art Team-Sport geworden, in dem die Postenden versuchen, sich wie in einem Wettbewerb gegenseitig zu übertreffen“, heißt es in dem UN-Report.

Häme, Hass-Kommentare und Drohungen in Sozialen Online-Netzwerken sind die am meisten verbreiteten Übel. Identitäts-Diebstahl gehört genauso dazu, wie die Überwachung von Frauen im Alltag, bis hin zum langjährigen Stalking. Auch das sogenannte „Doxing“, also das Zusammensammeln, bzw. Hacken und Posten privater Daten der Betroffenen (wie Fotos, Telefonnummer und Adresse) fällt unter Cyber-Gewalt.

Das Netz hat eine eigene Form der Demütigung: den Racheporno

Nicht zufällig haben die Attacken gegen Frauen im Netz eine eigene Form der Demütigung hervorgebracht: die „Rachepornos“, sprich das Veröffentlichen intimer Fotos oder privater Sexvideos im Internet, meist durch Ex-Liebhaber oder Ex-Freunde. Oder auch: Das Posten von Fotos, die sich der Täter auf kriminellem Wege beschafft hat, indem er zum Beispiel einen Datenspeicher hackt.

Vor einem Jahr gelangten so Nacktfotos dutzender prominenter Frauen wie Jennifer Lawrence aus deren Apple-iCloud an die Öffentlichkeit. Lawrences Kommentar: „Das ist kein Skandal, das ist ein Sexualverbrechen!“

Der UN-Bericht verschweigt nicht, was diese Enthemmung auch beflügelt: „Es gibt einschlägige Statistiken, dass Pornografie 30 Prozent des Internet-Traffics ausmacht. Die Forschung offenbart auch, dass 88,2 Prozent der als am besten bewerteten Porno-Szenen aggressive Handlungen enthalten und sich diese Aggressionen zu 94 Prozent gegen Frauen richten“. Wie wissenschaftlich umfänglich belegt, neigen manche Männer nach dem Konsum von Pornografie dazu, „ein verringertes Einfühlungsvermögen für Vergewaltigungsopfer zu zeigen; gesteigerte Aggression an den Tag zu legen; oder zu schreiben, dass eine provokant gekleidete Frau es verdient, vergewaltigt zu werden.“ Die Verfügbarkeit pornografischer Inhalte habe außerdem die Konkurrenz unter den Anbietern gesteigert – und damit auch die Anzahl gewaltsamer Bilder im Internet, schreibt der UN-Report.

In der Aufzählung der vielfältigen Formen von Cyber-Gewalt erwähnen die AutorInnen auch einen Aspekt, der in der Debatte über Gewalt gegen Frauen on- wie offline selten thematisiert wird: den Zusammenhang mit Frauenhandel und Prostitution. „Nicht nur, dass die Kommerzialisierung von Sex im Internet die Nachfrage in der Sexindustrie erhöht hat. Es ist auch leichter für Menschenhändler geworden, die legalen Aspekte dieser Kommerzialisierung als Deckmantel für ihre illegalen Machenschaften zu nutzen.“ Dazu zählen: „Das Anwerben von Opfern in Sozialen Online-Netzwerken; der Austausch von Geld über Online-Transfer-Systeme; und die Organisation der vielen logistischen Fragen für den Transport der Menschenhandels-Opfer.“ Nicht zuletzt diese offenen Worte werden dem UN-Report zum Verhängnis werden.

Der Satz „Im Internet ist der Ton halt ein bisschen rau!“ ist dank seiner mantramäßigen Wiederholung zum geflügelten Wort geworden – und verhöhnt die Betroffenen. Selbst eine Autorität wie Mlambo-Ngcuka berichtet, dass sie Schwierigkeiten hatte, Verantwortliche aus der Tech-Industrie vom Ernst der Lage zu überzeugen. „Lady, Sie sind so aufgebracht, chillen Sie mal!“ – mit den Worten reagierte ein Mann aus der Spielebranche.

Es dauerte dann nur wenige Tage, bis die UN ihren „weltweiten Weckruf“ wieder zum Verstummen bringen mussten.

Was war passiert? Ein Blogger hatte kurz nach Erscheinen die 120 Quellenverweise in dem Report penibel durchforstet und war tatsächlich auf einige Ungereimtheiten gestoßen. Ungereimtheiten, die in einem anderen Zusammenhang vermutlich niemanden gestört hätten – aber wenn es um Kritik am Sexismus geht, ist man eben genau.

Sarah Parkes, Sprecherin der ebenso an der Veröffentlichung beteiligten „International Telecommunication Union“, entschuldigte sich für die „nicht den Standards entsprechenden Fußnoten“. Im Gespräch mit EMMA fügte sie ironisch hinzu: „Wir hatten bei diesem Thema durchaus mit Kritik gerechnet – aber von dieser Wucht sind wir dennoch überrascht.“ Parkes kündigte in Bälde den überarbeiteten Bericht an, „inklusive ergänzter Fußnoten.“

Die Entertainment Software Association (ESA), eine Art Unternehmerverband der Milliarden schweren Spiele-Industrie, bezeichnete das UN-Papier prompt als „uninformiert und irreführend“. Was war irreführend? Dass der UN-Report sich erlaubt hatte, darauf hinzuweisen, dass es einen Zusammenhang zwischen gewalttätigen Videospielen und realer Gewalt gibt? Als sei das neu! Und nicht längst vielfach wissenschaftlich belegt.

Will dieser UN-Report etwa das Internet zensieren?

Die Vice-Journalistin Sarah Jeong ging so weit zu beklagen, dass der UN-Report über die sexistische Cyber-Gewalt gewagt hatte, die Auswirkungen des Internets auf die Pornoindustrie und die Prostitution überhaupt zu thematisieren. Und einige JournalistInnen und BloggerInnen klagten, hinter dem UN-Report stecke der verdeckte Versuch, das Internet zu zensieren und die Nutzer noch stärker zu überwachen.

Als Kanzlerin Merkel am Rande der UN-Generalversammlung Mark Zuckerberg dazu aufforderte, gegen die rassistische Hetze gegen Flüchtlinge auf Facebook vorzugehen, hagelte es Schlagzeilen. Denn Zuckerberg hatte auf den Tadel der „mächtigsten Frau“ der Welt mit „Yeah!“ geantwortet. Dabei sind die Konsequenzen des Frauenhasses im Netz schon rein quantitativ mindestens so schwerwiegend wie die des Fremdenhasses. Und ganz wie in der Offline-Welt funktionieren beide nach denselben perfiden Mechanismen. In Deutschland ist bis zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser EMMA-Text geschrieben wird, so gut wie kein Medium auf das Debakel um den verhinderten Report zur „Cyber-Gewalt“ eingegangen.

Die Konsequenzen von Rassismus und Sexismus für die Gesellschaft und die Ökonomie werden enorm sein, warnen ExpertInnen schon lange. Befragungen belegen, dass Frauen sich sowohl als Nutzerinnen als auch als Macherinnen aus dem Netz zurückziehen, weil sie in der digitalisierten Gesellschaft ausgeliefert sind. Was heißt, dass diese Frauen von der Zukunft abgeschnitten sein werden. Privat wie ökonomisch.

Von den ursprünglich 61 Seiten des UN-Reports ist zurzeit nur noch eine dreiseitige Bulletpoint-Liste übrig. Die Themen Videospiele, Prostitution und Pornografie werden nicht mehr erwähnt. Wir dürfen gespannt sein auf die Reaktionen, die ohne jeden Zweifel auch auf die neue Fassung des Reports kommen werden – vor allem in Sachen Fußnoten.

Der Artikel ist ein Auszug aus dem Dossier "World Wide Women" aus der November/Dezember EMMA 2015. Zur Dossierübersicht

Artikel teilen

Willkommen im Männerland

Mark Zuckerberg: Über Facebook nicht zu erreichen.
Artikel teilen

Wenigstens darin sind die Menschen sich irgendwie einig: Wir sind ZeugInnen eines Wandels vom Ausmaß der Industriellen Revolution. Die Art, wie wir leben, arbeiten, wie wir konsumieren, kommunizieren, ja selbst wie wir uns verlieben – im digitalen Zeitalter ist alles anders. Früher gab es nach dem Aufstehen Kaffee. Heute gibt es nach dem Aufstehen Internet. Hurra, rufen die FuturologInnen und sehen uns schon auf dem Weg in die Unsterblichkeit: Sei es durch digitale Klone unserer selbst oder Mini-Roboter, die unsere Zellen putzen, sodass wir 300 Jahre alt werden.

Anzeige

Ist Unsterblich-
keit leichter zu erreichen als
50/50 in der Tech-Abteilung?

Na und? fragen die Abgeklärten, für die Digitalisierung auch nichts Anderes ist als die Erfindung des Buchdrucks anno dazumal. Und den haben wir schließlich auch überstanden. Oh nein! jammern die ApokalyptikerInnen. Schon jetzt ist der Mensch eine gläserne Marionette der Internet-Giganten geworden! Die Maschinen werden die Macht übernehmen!

Und während die FuturologInnen jauchzen, die Abgeklärten gähnen und die ApokalyptikerInnen bibbern, „schießt sich“ gerade mit Sicherheit irgendwo eine Frau ein Paar Stiefel auf Zalando. Denn viele Frauen erleben den technischen Fortschritt vor allem als lawinenartigen Wachstum im Kleiderschrank. Beim revolutionären Wandel spielen diese Frauen nur eine passive Rolle: als Konsumentinnen.

Es gibt keinen Ort, der so für diese Veränderung steht, wie das Silicon Valley südlich von San Francisco. Und kein Unternehmen, das so überschwänglich die Geisteshaltung des Silicon Valleys repräsentiert wie Google, neuerdings: Alphabet. Larry Page und Sergey Brin haben im ­August 2015 ihren gigantischen Tech-Konzern in eine Holding mit mehreren gleichberechtigten Schwesterfirmen umstrukturiert. 1991 startete das World Wide Web, es sollte weitere sieben Jahre dauern, bis die Suchmaschine Google folgte, die seither bestimmt, wie Menschen das Internet nutzen – und welche Informationen ihnen zur Verfügung stehen. Aber dabei blieb es nicht. 

Googles selbstfahrende Autos – kein Lenkrad, kein Gaspedal – waren das Gesprächsthema auf der diesjährigen Automobilmesse in Frankfurt. Und dank „Google Loon“ sollen bald tausende vernetzte Helium-Ballons in der Stratosphäre die Erde umkreisen und Internetempfang noch in die letzte Ecke dieser Welt senden.

Schon 2013 hat Google „Boston Dynamics“ gekauft, bis dahin finanziert vom Pentagon. Die Firma baut Roboter, die so schnell rennen können wie der Wind, auf Bäume klettern und für den Kriegseinsatz geeignet sind. Auf YouTube kann jede und jeder „BigDog“ oder „Cheetah“ im Einsatz sehen. „Google Brain“ arbeitet im Eiltempo an Computern, die das menschliche Gehirn nachahmen. Und für die Google-Schwester „California Life Company“ ­(Calico) suchen Biotechnologen nach Wegen zur Unsterblichkeit. 

Das sind nur einige Beispiele aus ­Zukunftslaboren wie „Google X“, in das der 468 Milliarden schwere Konzern ­investiert und für die er die fortschritt­lichsten Wissenschaftler einkauft. Aufgebaut wurde das X-Labor von einem Mann aus Siegen im Siegerland: dem früheren Google-Vizepräsidenten Sebastian Thrun, heute Inhaber eines eigenen Startups. So wie Thrun sind alle großen Vordenker im Silicon Valley: Männer.

Selbstverständlich gibt es in diesem Männerland auch ein paar einflussreiche Frauen. Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg, die mit ihrem Buch „Lean in“ eine Debatte über Frauen und Karriere ausgelöst hat, zum Beispiel. Oder Yahoo-Chefin Marissa Mayer, berüchtigt für ihren strengen Führungsstil; die gerade verkündete, zwei Wochen nach der Geburt ihrer Zwillinge wieder an den Schreibtisch zurückzukehren – wie schon bei ihrem ersten Sohn. Und es ist auch erst einige Wochen her, dass die 22-jährige Isis Wenger auf Twitter den Hashtag #ILookLikeAnEngineer startete. Entgegen des Klischees, dass nur weiße, pickelige Jungs programmieren können. 

Diese Frauen machen steile Karrieren in der digitalen Ökonomie. Doch es gibt kein weibliches Pendant zu Tech-Ikonen wie dem verstorbenen Steve Jobs von Apple oder Mark Zuckerberg von Facebook, die Arenen mit jubelnden Anhängern füllen. Und über die Hollywood-Blockbuster gedreht werden. Es sind Männer, die kleine Startups gründen und sie zu globalen Konzernen aufblasen: wie den Mikroblogging-Dienst Twitter, den Bezahldienst PayPal oder die private Wohnungs-Vermittlung Airbnb. Konzerne, die im großen Stil unser Denken und unser Verhalten verändert haben – privat, im Beruf, auf Reisen. „Wir sind mit einem neuen Typ Unternehmer konfrontiert: aggressiv agierende, zumeist weiße junge Männer“, sagt die deutsche Big Data-Spezialistin Yvonne Hofstetter im Interview mit EMMA. Bei den Milliarden, die diese Unternehmer scheffeln, geht es um mehr als Profit: Es geht um Macht. Macht über jeden Menschen auf der ganzen Welt. 

Es gibt kein weibliches Pendant zu Steve Jobs von Apple oder Mark Zuckerberg von Facebook

Wir müssen nicht paranoid sein, um uns die Frage zu stellen, wie viel Macht ein Unternehmer wie Mark Zuckerberg hat, dessen Imperium aus Facebook, Instagram und WhatsApp an die 2,6 Milliarden aktive NutzerInnen weltweit zählt. Mit der Initiative „internet.org“ sollen Milliarden Menschen in Entwicklungsländern dazukommen, denen Facebook via Smartphone den Gratis-Zugang zu ausgewählten Internet-Diensten ermöglichen will. Ein Imperium, in dem nur einer ungeachtet der ­geltenden Rechtsprechung die Regeln macht, wie mit den Billionen privaten ­Informationen dieser Nutzer umgegangen wird und welche Inhalte sie sehen dürfen: Mark Zuckerberg. 

Und wer möchte acht Jahre nach Einführung des Apple-iPhones noch auf sein Smartphone verzichten – obwohl bekannt ist, dass es sich im Prinzip um eine hübsch designte Wanze handelt? Und obwohl – das ist nicht so bekannt – die Erfinder solcher Techniken selbst lieber einen Bogen darum machen. „Erwartet hatte ich vor meiner Reise eine hypervirtuelle Welt. Heimarbeit, ständige Videokonferenzen und elektronischen Zugang zu jedermann“, berichtet Christoph Keese in seinem Buch „Silicon Valley“, für das er mit seiner Familie ein halbes Jahr in Palo Alto gelebt hat. „Doch virtuelle Welten sind out. Sie sind nirgendwo so unbeliebt wie bei ihren eigenen Erfindern.“ Die Herren der virtuellen Welt mailen wenig und telefonieren kaum. Alles Wichtige wird im persönlichen Gespräch geklärt. Sie wissen, warum. 

Die Google-Kritikerin Shoshana Zuboff gibt dieser neuen Ordnung einen alten Namen: „Absolutismus“ – sprich: ein System, in dem die herrschende Macht keiner geregelten Kontrolle durch eine andere Instanz unterworfen ist. „Uns dämmert, dass Google dabei ist, ein Reich zu errichten, dessen Stärke auf einer ganz anderen Art von Macht basiert – allgegenwärtig, verborgen und keiner Rechenschaft pflichtig. Falls das gelingt, wird die Macht dieses Reiches alles übertreffen, was die Welt bisher gesehen hat“, schreibt die emeritierte Professorin der „Harvard Business School“ in der FAZ. Shoshana ist keine Phantastin. Ihr Buch „In the Age of the Smart Machine: The Future of Work and Power“ von 1988 ist ein Standardwerk.

Im Silicon Valley hat sich in den letzten 50 Jahren aus einer Obst-Kultur eine Macht-Kultur entwickelt, die quasi ausschließlich der Geisteshaltung von weißen Männern entsprungen ist. Diese Geisteshaltung wird durch das munter gedeihende „Internet der Dinge“, in dem quasi jeder Gegenstand vernetzt ist, bald bis ins hinterste Schlafzimmer eines jeden Haushalts greifen. Und es gibt keinen Aus-Knopf.

Nun sind die Jungs ausgeschlafen genug, sich „Diversity“ zumindest auf die Fahnen zu schreiben. Selbst Travis Kalanick, der als Sexist verschrieene Chef des Taxi-Konkurrenten „Uber“, tut das. Eine Million neue Jobs für Fahrerinnen bis 2020 kündigte Uber im Frühjahr 2015 an, in Kooperation mit UN Women. Die Frauenrechtlerinnen verabschiedeten sich rasch wieder, zu laut war die Empörung über diesen Schulterschluss. Ausgerechnet der Bro-Club Uber, der damit geworben hat, das sexy Hostessen die Uber-Fahrzeuge fahren und dessen Ober-Bro Kalanick verkündete, es sei einfacher für ihn, eine Frau ins Bett zu kriegen, als ein Taxi zu bestellen.

Wie wichtig Diversity für’s Image ist, weiß auch Branchenriese Google. „Es wird dauern, bis wir dort ankommen, aber wir sind auf dem Weg, den Zugang zu erleichtern und jeder und jedem eine Chance zu eröffnen“, steht im Google-Diversity-Report. Ist es einfacher, die Unsterblichkeit zu erreichen, als den Frauenanteil von 18 Prozent in den eigenen Technikabteilungen zu erhöhen? 

Die Elite-Uni Stanford ist die Talent-Schmiede im Silicon Valley. Dort lernt der vielversprechende Nachwuchs das Handwerk und die Denke, die Voraussetzungen sind für eine Karriere in der kalifornischen Gründer-Kultur. Knapp die Hälfte der StudienanfängerInnen ist weiblich, auch in den weiterführenden Studiengängen sind rund 40 Prozent Frauen. In den Chefetagen im Silicon Valley kommen sie nicht an. Werden alle gleich nach dem Abschluss schwanger?

Eine Studie über Naturwissenschaftlerinnen, Ingenieurinnen und Technikerinnen in Unternehmen weltweit ergab: Frauen machen von Amerika bis Asien 30 bis 50 Prozent der Fachkräfte in diesem Feld aus. Sie starten hochmotiviert in den Beruf. Doch dauert es nicht lange, bis etwa jede Dritte dieser Frauen erwägt, innerhalb des nächsten Jahres zu kündigen. Jede Zweite steigt nach einigen Jahren komplett aus. Grund: Die alte sexistische Macho-Kultur in den so modernen Firmen; fehlende Förderung; das Gefühl, in eine Einbahnstraße geraten zu sein. „Können Sie sich den Paukenschlag in der Chefetage vorstellen, wenn stattdessen 50 Prozent der vielversprechendsten Produkte eines Unternehmens auf halbem Weg einfach abgeschafft würden?“, fragt Harvard Business Review. Können Sie sich vor allem vorstellen, welchen Verlust die fehlende Perspektive der Hälfte der Weltbevölkerung bei einem Wandel bedeutet, den manche als Revolution bezeichnen?

Aber der Hype um den Männer-
kult im Silicon Valley wird langsam schal

Aber es dämmert im Männerland. Nicht nur, weil der NSA-Skandal die Sensibilität für die verborgene Macht der neuen Technik-Ordnung geschärft hat, im staatlichen wie im wirtschaftlichen Bereich. Sondern auch, weil der Hype um diese Männer-Kultur langsam schal wird – und auch anderorts die Konkurrenz nicht schläft. Denn es gibt ja die Frauen, die die neuen Möglichkeiten des digitalen Wandels ergreifen, um uralte Probleme anzugehen.

Im Silicon Valley selbst ist das zum Beispiel die Amerikanerin Alaina Percival, die mit ihrer Initiative „Women Who Code“ gezielt Frauen in der Tech-Szene fördert und vernetzt – und Arbeitgeber sensibilisiert, Teams diverser zu gestalten. In Pittsburgh machte jüngst die Studentin Emily Kennedy, 25, auf sich aufmerksam, die mit „Traffic Jam“ einen lernenden ­Algorithmus zur massenhaften Auswertung von Daten über Prostitution und Frauenhandel im Internet und dem so ­genannten „Deep Web“ entwickelt hat, mit dem Menschenhändler überführt werden sollen. In Rio de Janeiro verwendet die Brasilianerin Adriane Fernandes, 22, für die Aktion „Ich werde nicht die Klappe halten!“ das bewährte Online-Ranking: Die NutzerInnen können Bars, Restaurants und Clubs danach bewerten, wie Frauen dort behandelt wurden und wie sicher sie sich gefühlt haben. Aus Pasadena kommt die Smartphone-App „The Circle of Six“ zur Prävention gegen sexuelle ­Gewalt. 

Um Frauen zu finden, die den Wandel in der Tech-Szene vorantreiben, verlassen wir also das Silicon Valley und tauchen ein in die pulsierenden Straßen von Nairobi oder in die New Yorker Kunstszene oder in die birkengesäumten Alleen der schwedischen Stadt Umeå. Denn auch hier sitzen Hackerinnen, Aktivistinnen und Forscherinnen, die ihre eigenen Visionen der digitalen Revolution verfolgen. Sie kommen von weit her – und da macht man größere Schritte (hat Simone de Beauvoir mal gesagt).       

Alexandra Eul

Alle Artikel aus der Serie „Hallo, Zukunft!“ lesen

Weiterlesen
 
Zur Startseite