Seyran Ates: Hassmails von Deutsch-Türken
Für unsereins, die wir in einem Land wie Deutschland geboren oder aufgewachsen sind, ist vieles nicht fremd, was in diesen Tagen aus Erdogans Türkei zu sehen, zu hören und zu lesen ist. So viele Parallelen drängen sich auf. Und nun auch noch der Ausnahmezustand, der passend am 20. Juli verhängt wurde.
Wer eine andere Meinung als die AKP vertritt, gilt als Staatsfeind
Aber die Türkei ist auch mitten unter uns. Mein Twitter- und Facebook-Account ist voll von Hasskommentaren der Erdogan-Anhänger. Sie bezeichnen mich als „Hure“, „Schlampe“, „Fotze“ etc., der man die Kehle durchschneiden müsste. Ich solle ja nicht mehr in die Türkei reisen. Ich solle ein Einreiseverbot bekommen etc. Was ist mein Verbrechen? Ich habe eine eigene Meinung, die sich nicht mit dem Parteiprogramm der AKP deckt. Das genügt. Ich bin ein Staatsfeind.
Was hat die deutsche Integrations- und Bildungspolitik falsch gemacht, dass so viele AKP-Anhänger mitten in Deutschland so denken und handeln? Warum konnte ihnen auch über Jahre und Jahrzehnte kein demokratisches Denken vermittelt werden? Warum haben diese Männer (Es sind quasi nie Frauen) einen so wuchtigen Hass, vor allem auch auf Frauen? Die Antwort ist einfach: Sie hassen uns, weil wir uns ihren Steinzeit-Ansichten widersetzen. Emanzipierte Frauen sind raus aus der Höhle, sie gehen einen aufrechten Gang. Das macht diesen Männern Angst, vor allem den Männern, die sich schon im Konkurrenzkampf zu anderen Männern nicht behaupten können und nun auch noch von Frauen überholt werden.
Was hat die deutsche Inte-
grationspolitik falsch gemacht?
Deutschland sollte gerade jetzt ebenfalls die Gunst der Stunde nutzen und sich die türkischen Organisationen hierzulande und deren Reaktionen auf die Ereignisse in der Türkei sehr genau anschauen. Es fallen jetzt, nicht nur auf sozialen Medien, so viele Masken, dass sich die deutsche Politik schon in einem Panicroom verstecken müsste, um der Realität nicht ins Gesicht zu schauen. AKP-WählerInnen, DITIB, Kopftuch-Feministinnen - sie alle lassen sich so fröhlich über die grauenerregenden Verhältnisse in der Türkei aus, dass sich die deutsche Politik - und vor allem auch die Deutsche Islamkonferenz - die Frage stellen muss, mit wem sie bisher über die vermeintliche Integration des Islam in Deutschland diskutiert hat.
Das Frauenbild Erdogans ist schon immer der Maßstab dieser Leute gewesen, sie haben uns die letzten 13 Jahre viel Kraft und Energie gekostet. Wir sollten uns darum nicht durch die Hetze auf die Gülen-Bewegung von dem eigentlichen Problem ablenken lassen.
Die sogenannte Gülen-Bewegung vertritt nicht absolut meine Ansichten in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter. Dennoch dürfen wir es nicht zulassen, dass AKP-Anhänger Läden, Schulen, Büros etc. von Gülen-Anhänger angreifen und Scheiben zerschlagen. Jetzt ist die Zeit, in Deutschland diesen Leuten zu zeigen, was wahre Demokratie und Rechtstaatlichkeit bedeuten.
Diese Männer haben Angst vor der Emanzipa-
tion der Frauen
Jede Demokratin und jeder Demokrat müsste beunruhigt sein, wenn der Ruf nach Todesstrafe ertönt, während Säuberungsaktionen durchgeführt werden. In der Türkei reicht es der Masse aus, wenn Erdogan jemanden als Terroristen denunziert. Wer dem widerspricht oder Zweifel anmeldet, wird automatisch zum Staatsfeind erklärt. Die Anhänger von Erdogan, der Mob, der blutrünstig auf den Straßen nur auf eine Gelegenheit wartet, weiteren Gegnern den Hals durchzuschneiden, kann einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Solche Menschen befinden sich auch hier in Deutschland.
Unabhängig davon, warum sich die beiden Männer, Recep Tayyip Erdogan und Fethullah Gülen, überworfen haben, und wir nun Zeitzeugen einer Säuberungsaktion der türkischen Gesellschaft werden, ist die Tatsache beunruhigend, dass wir schon jetzt auch in Deutschland den Terror der AKP-Anhänger erleben.
Seyran Ates - Die Anwältin und Autorin veröffentlichte zuletzt „Wahlheimat“ (Ullstein).