Iran: Menschenrechtsanwältin verhaftet
2009 hatte Nasrin Sotoudeh, 55, die AktivistInnen der „Grünen Bewegung“ vor Gericht verteidigt. Darunter auch Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Dafür ist die Sacharow-Preisträgerin schon 2010 verhaftet worden. Anklage: „Propaganda-Arbeit“ und „Verschwörung zum Schaden der Staatssicherheit“. Das Urteil: Elf Jahre Haft, 20 Jahre Ausreiseverbot und für immer Berufsverbot. Der Fall erregte international Aufsehen. Nach drei Jahren wurde die Mutter zweier Kinder dann überraschend aus dem Evin-Gefängnis entlassen. - EMMA hat die Menschenrechtsanwältin noch vor wenigen Wochen für die aktuelle Ausgabe interviewt. Nachfolgend das Interview.
Nasrin, wie viele der „Mädchen der Revolutionsstraße“ vertrittst du?
Ich vertrete drei: Narges Hosseini, Shaparak Shajarizadeh und Maryam Shariatmadari. Shaparak und Maryam wurden im Gefängnis geschlagen. Ich habe die Verantwortlichen angezeigt. Aber die Staatsanwaltschaft hat nicht reagiert.
Was wird den Frauen vorgeworfen?
Dass sie andere Menschen mit ihrem propagandistischen Akt dazu ermutig hätten, ebenso zu handeln, was im Iran als „verdorben“ gilt. Das kann bis zehn Jahre Gefängnis nach sich ziehen. Zum Vergleich: Der „Verdorbenheit“ werden im Iran auch Menschen bezichtigt, die ein Bordell eröffnen.
Und wie schützt du dich selbst?
Gar nicht. Ich sehe auch keinen Grund dafür. Wenn die Regierung glaubt, dass meine Aktivitäten für sie gefährlich sind, können sie mich ja festnehmen. Aber solange ich frei bin, ist es meine Aufgabe, dass Menschen zu ihrem gesetzlich festgeschriebenen Recht kommen. Das ist mein Job als Anwältin.
Erfährst du Repressalien bei deiner Arbeit?
Ja. Ich bin bedroht worden. Bis heute kommen ab und zu merkwürdige Leute in mein Büro, die gefährlich wirken. Sie erklären mir dann, dass die Regierung sie schickt, um unsere Kanzlei zu schließen. Sie sagen zu mir: „Du müsstest ja einfach nur deine Arbeit machen, so wie das Gesetz es vorsieht. Mehr nicht!“ Einmal habe ich vor dem Gerichtssaal gewartet, weil ich ein Mädchen verteidigen wollte, das gegen den Kopftuchzwang protestiert hat. Und da höre ich aus dem Saal den Ton eines Fernsehinterviews, das ich selbst via Satellit eine Nacht zuvor gegeben hatte. Ich bin reingestürmt und habe gefragt: „Was soll das?“ Und sie haben geantwortet: „Das ist nichts Wichtiges! Das Gerichtsverfahren hat noch nicht begonnen.“
Erfährst du denn auch Unterstützung?
Ja, sehr viel Liebe und Respekt von meinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und von Menschen weltweit. Das ist mein Halt! Und trotz aller Hürden gibt es im Iran immer mehr junge Anwälte, die das Risiko auf sich nehmen und zu mir kommen. „Ich möchte die Mädchen von der Revolutionstraße verteidigen“, sagen sie.
Wie ist das eigentlich bei deiner eigenen Verhaftung 2010 gelaufen?
Diese Frage kann ich schwer in ein, zwei Sätzen beantworten. Eine Gefängnis-Erfahrung im Iran ist eine sehr spezielle Lebenserfahrung. Manchmal läuft es gut, manchmal ist es mit sehr vielen Problemen verbunden. Ich trage zwei Wünsche in meinem Herzen.
Erstens: Ich möchte nicht in die Falle tappen, mich auf das Niveau des Systems zu begeben, das uns unterdrückt. Wir müssen aber stark sein und uns zur Wehr setzen, und gerade jetzt unsere Hoffnungen und Forderungen offensiv einbringen.
Zweitens: Ich habe mich natürlich auch schon mal gefragt, ob es falsch ist, dass ich Menschen verteidige, die politisch aktiv sind und für Bürgerrechte kämpfen. Und meine Antwort lautet: Niemals! Niemals war es ein Fehler, dass ich diese Prozesse geführt habe! Egal, wie lange ich im Gefängnis saß, ich habe nie bereut, was ich getan habe.
Präsident Rohani verspricht Reformen. Wie schätzt du das ein?
Selbst wenn Rohani Reformen durchsetzen möchte – es wäre mit diesem System nicht möglich. Wir haben ja gesehen, mit wie viel Mühe sie das Atomabkommen durchgesetzt haben. Aber die Revolutionswächter konnten dennoch ungestört an ihrem Raketenprogramm weiterarbeiten. Wie soll sich die Welt da auf uns verlassen können?
Ich als eine Iranerin bin gegen alles, was die internationale Zusammenarbeit aufs Spiel setzen könnte. Und ich bin gegen Aufrufe wie „Tod diesem oder jenem Land“. Länder, in denen Millionen Menschen leben. Wenn ich so etwas höre, läuft es mir kalt den Rücken runter.
Glaubst du, dass die Proteste der Frauen diesmal eine Chance auf Erfolg haben?
Das kann man nicht voraussagen. Aber schon jetzt hat alle Welt gesehen, dass hinter der Forderung „Nein zur Zwangsverschleierung“ viele Menschen im Iran stehen. Egal ob Mann oder Frau, alt oder jung, reich oder arm. Wir Iranerinnen haben angesichts des Kopftuchzwangs nie geschwiegen. Wir waren immer aktiv, besonders gegen die Sittenpolizei. Wie häufig waren diese Auseinandersetzungen mit Gewalt verbunden! Und wenn die Frauen verhaftet werden, werden sie als erstes in die berüchtigte Wozara-Strafanstalt gebracht. Und dort werden sie geschlagen.
Und wo sind die Frauen, die du verteidigst, jetzt – und was droht ihnen?
Diese drei Frauen wurden auf Kaution freigelassen. Aber ihnen drohen nach wie vor drakonische Strafen. Bisher ist Narges in erster Instanz zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Maryam zu einem Jahr. Dagegen kann man Einspruch erheben. Und ich werde das als Anwältin auch tun! Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Justiz einen fairen Prozess machen wird.