Angesagt: die Pussymode!
Glänzende Schamlippen aus Satin, die am Hals schaukeln, aufgenähte Vulven an Ärmeln und Hosenbeinen und eine Perle als Klitoris am Reißverschluss einer Handtasche: Als das Berliner Label Namilia im Herbst 2017 auf der New York Fashion Week seine Kollektion „Labia of Love“ präsentierte, zwinkerten hunderte rosarote Pussys auf dem Laufsteg dem Publikum zu. Auf einem ausladenden Rokoko-Kleid prangten allein an der Vorderseite gleich 26 knallige Weiblichkeiten.
Die Vulva ist angekommen! Ihre Darstellung ist längst nicht mehr nur auf die Kunst beschränkt, irgendwo zwischen weiblichem Objekt und feministischer Kunst. Inzwischen taucht sie immer häufiger auch in der Mode und in der Popkultur auf, in Comics, Büchern, Musikvideos. Als spielerisches Element, als Zeichen der Stärke, als Gegenstück zum ewigen Penis.
Der US-Designer Thom Browne etwa näht seinen Kleidern sorgsam eingedrehte Blüten in den Schritt, der Südkoreaner Kaimin bedeckte den Vulvabereich seiner Models auf dem Laufsteg mit so genannten „vagina wigs“ (langhaarigen, buschigen Perücken) und die Firma Damnsel hat die „Pussy Pouch“ im Angebot. Handtaschen, die wie eine perfekt geformte Vulva aussehen – mit Glitzersteinchen als Klitoris. Es gibt Unterhosen, die wie in einem medizinischen Lehrbuch mit dem weiblichen Unterleib bedruckt sind. Das Modeunternehmen Monki feierte seinen zehnten Geburtstag damit, dass es Frauen vor einer Wand aus Papp-Schamlippen fotografieren ließ. Die isländische Sängerin Björk trägt auf dem Cover ihres Albums Utopia eine Vulva auf der Stirn, und die Sängerin Janelle Monáe verwandelte sich für das Video ihres Songs „Pynk“ in eine tanzende Vulva in Pussy-Pants (EMMA 4/2018).
Der wollene „Pussy Hat“, bekannt geworden als rosa Protestmütze gegen den „Pussy Grabber in Chief“ im Weißen Haus, wird inzwischen sogar im Victoria and Albert Museum in London ausgestellt. Ohne Vulva geht nichts mehr, scheint es.
„Die Darstellung der Pussy sollte heute längst kein Tabu mehr sein“, erklärt Modedesigner Nan Li von Namilia. Doch nach der Präsentation ihrer Vulva-Kollektion in New York gab es für ihn und seine Kollegin Emilia Pfohl nicht nur positives Feedback. Ein Jahr zuvor, bei ihrer ersten Kollektion mit massenhaft Penis-Symbolen, seien die Reaktionen weit weniger kontrovers ausgefallen, so Nan Li. Damals tauchte das männliche Glied als Spitze verarbeitet an Hosen auf, wurde als krachiges Symbol um Jackentaschen gestickt und zierte den so genannten „Dickini“: ein Bikini-Oberteil mit zwei dicken Schwänzen, die sich an die Brust seiner Trägerin schmiegen. „Der Penis gilt als ein Symbol für Stärke, deswegen wollten wir ihm mal die ganze Power nehmen und ihn verniedlichen“, erklärt Nan Li zwinkernd.
Mit ihrer Vulva-Kollektion zelebrieren die Berliner hingegen die Kraft des weiblichen Geschlechtsorgans. Motto: „Die Frau gehört nicht unter den Rock, sondern auf den Rock!“ Deswegen sei diese Kollektion als ein Zeichen der Gleichberechtigung zu verstehen – auch wenn man die Frau natürlich nicht nur auf ihren Unterleib reduzieren wolle. Nach „free the nipple“, wo die Brustwarzen BH-frei durch die Bluse schimmern, ist jetzt also „free the pussy“ dran.
Dabei geht es nicht nur um Provokation oder Protest. „Ich wünschte, ich hätte als junge Frau mehr über mich und meinen Körper gewusst“, sagt Liv Strömquist. Die Schwedin hat in ihrem Comic „Der Ursprung der Welt“ die Kulturgeschichte der Vulva gezeichnet und thematisiert darin die patriarchal geprägte Forschung rund um die Frau. Erst 1998 wurde die tatsächliche Größe der Klitoris erforscht. Von einer Forscherin wohlgemerkt (EMMA 4/2013). „Mit meinem Buch wollte ich meinen Teil beitragen, um Frauen aufzuklären,“ sagt die Comiczeichnerin, und „Für den Penis haben wir so viele verschiedene Namen, aber für das weibliche Geschlechtsorgan gibt es einfach kein gutes Wort.“ In Schweden hat man vor einigen Jahren mal den Begriff „snippa“ erfunden. Gemeint ist damit aber nur das Genital von Mädchen. „Für erwachsene Frauen kann man es nicht verwenden“, sagt Liv Strömquist. „Wir sind irgendwo zwischen medizinisch und vulgär hängen geblieben.“
Für Simone de Beauvoir war die Vulva „der Frau selbst ein Geheimnis, mit bedrohlichem Eigenleben“ und Gloria Steinem beklagte die „Da-unten“-Generation. So ist in unserem Alltag auch fälschlicherweise ständig die Rede von der Vagina. Dabei bräuchte man einen Röntgenblick, um die von außen zu sehen, denn damit ist lediglich der schlauchförmige Eingang gemeint, während die Vulva hingegen alles Sichtbare umfasst. Nur wissen das die wenigsten. Dazu kommt, dass viele Frauen nach wie vor sowieso keine rechte Ahnung haben, wie es „untenrum“ bei ihnen eigentlich aussieht. Auch 2018 noch nicht.
Als der Künstler Jamie McCartney vor zehn Jahren seine „Great Wall of Vaginas“ enthüllte, eine neun Meter lange Wand mit 400 Gipsabdrücken von Vulven, wollte er zeigen, wie normal die Varianten seiner Modelle sind. Die Frauen waren zwischen 18 und 76 Jahre alt und ihre Vulven sind so unterschiedlich wie ihre ganzen Körper: klein oder groß, mit kurzen oder längeren inneren Schamlippen, wenig oder stark gewölbt. Mit seiner Wand wollte McCartney für etwas Aufklärung sorgen nach dem Motto „It’s not vulgar. It’s vulva.“
Getan hat sich in den vergangenen Jahren aber so einiges: Neben modernen Aufklärungsbücher („Viva La Vagina“) und Comics gibt es Webseiten wie OMGyes.com, auf denen Frauen sich in Videos gegenseitig zeigen, wie sie sich am besten selbst befriedigen, und den perfekten Orgasmus kann man in einer Art Computerspiel am Bildschirm üben.
Die französische Wissenschaftlerin Odile Fillod hat wiederum die Klitoris sichtbar gemacht und ein Modell in Originalgröße entwickelt, die man sich mit einem 3D-Drucker ausdrucken kann (EMMA 1/2017). Für Wirbel – und Aufklärung – sorgte die US-Fernsehserie „Orange is the new Black“ mit ihrer Folge „A Whole Other Hole“ (ein ganz anderes Loch). Die Sendung spielt in einem Frauengefängnis, dort wird eine Insassin von der Tatsache „überrascht“, dass sie noch eine dritte Öffnung zwischen ihren Beinen hat, die Harnröhre. Auf ihrer Entdeckungstour mit einem kleinen Spiegel hilft ihr übrigens eine transsexuelle Frau.
„Die Darstellung und Thematisierung der Vulva ist auch eine Geschichte der Wiederaneignung“, sagt Mithu Sanyal. Die Kulturwissenschaftlerin hat das Buch „Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“ geschrieben. Darin belegt sie, dass die Menschen von jeher ein tiefes Bedürfnis dafür gehabt hätten, ihre Genitalien darzustellen. „Kulturhistorisch wissen wir, dass schon die Rautenmuster auf den frühesten gewebten Stoffen explizit für die Vulva standen.“
Schon in den Homerischen Hymnen gibt es die Geschichte der Göttin Demeter, die nach dem Tod ihrer Tochter so in ihrer Trauer versinkt, dass sie nichts mehr isst und trinkt, und eine große Dürre folgt. Erst als die Göttin Iambe (auch Baubo) zu ihr kommt, ihren Rock hebt und ihre Vulva herzeigt, kann sie Demeter trösten. In jedem Kulturkreis gibt es ähnliche Geschichten. Im alten Ägypten war zum Beispiel die Tradition des kollektiven Rocklüftens unter Frauen kein Geheimnis, aber auch an mittelalterlichen Klöstern und Stadttoren in Europa, etwa an der Porta Tosa in Mailand oder an der Abteikirche Sainte-Radegonde im französischen Poitiers, kann man weibliche Figuren entdecken, die ihre Scham weit mit den Händen auseinanderziehen.
Eine gute Gelegenheit, um das Weibliche sichtbar zu machen, war für Comiczeichnerin Liv Strömquist die Einladung der Stadt Stockholm, ihre Bilder in einem U-Bahnhof auszustellen. Die Darstellung einer Eisläuferin, die mit ausgestrecktem Bein ihre Pirouette dreht, musste sie allerdings mehrfach restaurieren, nachdem es wieder und wieder zerstört worden war. Grund der Wut: Auf der Unterhose der Sportlerin war ein roter Fleck zu sehen. Eine rechtskonservative Partei nutzte die Abbildung, um darauf hinzuweisen, für „welche Abartigkeiten Geld zum Fenster rausgeschmissen wird“. Besonders im Gedächtnis geblieben ist der Zeichnerin ein Leserbrief in der Zeitung. Dort beschwerte sich eine ältere Frau darüber, was sie ihrer vierjährigen Enkelin denn erzählen solle beim Anblick des Blutflecks zwischen den Beinen. Strömquist: „Das wäre doch die perfekte Gelegenheit, einem Kind zu erklären, warum Frauen einmal im Monat bluten.“
Das erste Pussy-Kleid kam übrigens lange vor der New York Fashion Week auf den Markt. Bereits 1936 schuf die amerikanische Designerin Elizabeth Hawes ihr „Pandora Dress“. Die roten Einschübe an der großzügigen Robe aus weißer Seide erinnerten an Vulven. Ihr Leben lang hatte die Feministin mit ihren Ideen Schwung in die Modeszene dieser Zeit gebracht. Ihre Kleidung sollte vor allem praktisch, funktional und bequem sein – für Frauen wie Männer. Für eine große Überraschung sorgte Hawes sogar an ihrem Hochzeitstag: Sie heiratete in Jeans.
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