Sina Trinkwalder: Fashion in Fair
Sina Trinkwalder ist eine Rampensau, die jede Gelegenheit nutzt, um für ihre Sache zu trommeln. Sie ist laut und unbescheiden und lacht dreckiger als Lisa Fitz. Und wenn ihr in Talkshows mal rausrutscht, dass die halt keine Eier haben, diese Unternehmer, die nichts wagen, alles so machen, wie man es schon immer gemacht hat – dass sie nur ans Geld und nie an die Menschen denken – dann tut ihr das kein bisschen leid. „So bin i halt“, sagt Sina Trinkwalder in ihrem Augsburger Schwaben-Singsang, „i verstell mich net“. Diese Frau hat Eier.
Und sie macht es anders. Ganz anders. Dafür hat die Unternehmerin vor Kurzem das Bundesverdienstkreuz bekommen. „Ein Schleifchen für die Mädels, eine Hundeplakette für die Jungs, ich hab gedacht, ich schmeiß mich weg!“ Sina Trinkwalder hat einen Blick für die kleinen und die großen Absurditäten im Leben.
Die Ex-Werberin hat das Schleifchen angenommen. In Berlin kommen sie jetzt nicht mehr an ihr vorbei. Nicht an ihren Ideen, nicht an ihrem Erfolg. Nicht daran, dass es auch anders geht. Dass man sozial, ökologisch und regional wirtschaften kann. Mit ihrer Firma manomama in Augsburg hat sie es vorgemacht.
Unten in der hellen, hohen Halle rattern die Nähmaschinen, Köpfe beugen sich über grüne und rote Stoffe, die Taschen werden sollen. Oben an der Treppe steht Sina Trinkwalder wie ein Kapitän auf der Brücke und erklärt. Dass sich ihre „Ladies und Gentlemen“ die Arbeitszeit selbst einteilen, „denn die Arbeit soll sich in die Familie fügen und nicht umgekehrt“. Dass jede der 150 NäherInnen selbst bestimmt, wie lange sie arbeitet. Dass sie die Arbeit selbst organisieren, auch ohne starren Schichtbetrieb. Und das funktioniert? „Klar funktioniert das“, sagt Trinkwalder und schaut munter durch ihre Brille, „man muss nur Vertrauen in die Menschen haben“. Daran mangelt es ihr nicht.
Mit flotten Schritten durchmisst sie die Halle. „Alles gut, Agnes?“ hier, „Das ist unsere Hannelore, die geht demnächst in Rente“ dort. „Das Kleid von der Sina ist auch von uns“, erklärt Büglerin Hannelore mit Blick auf die Besucher und streicht der Chefin über den Rücken. Klar, dass die Chefin manomama trägt.
Trinkwalders Geschäftsidee sind die Menschen. Immer mehr finden keine Arbeit, weil sie zu alt sind, alleinerziehend oder behindert. Was kann ich mit Menschen produzieren, für die in diesem Wirtschaftssystem kein Platz ist, fragte sich die Unternehmerin. Und weil Augsburg einst eine Textilstadt war, bevor die Produktion ins Ausland ausgelagert wurde, war schnell klar: Wir nähen.
Sina Trinkwalder, eine leidenschaftliche Autodidaktin, hat Textilfaser, Garne, Stoffe studiert und eine regionale Wirtschaftskette aufgebaut, vom Reißverschluss bis zum Augsburger Merinoschaf alles made in Germany und Bio und legte los. 2011 mit T-Shirts und 12 ArbeiterInnen. 2012 mit dm-Taschen und 52 ArbeiterInnen. Heute mit Taschen, Jeans, Mänteln und Unterwäschekollektion und 150 Beschäftigten.
Zehn Euro Stundenlohn für alle, Prämien und Boni gibt es obendrauf, Arbeit bis zur Rente hat sie versprochen. Acht Millionen Umsatz machte manomama im vergangenen Jahr, 80.000 Euro Gewinn nach Steuer. „Das gibt eine Feier im besten Hotel am Platz“, sagt Sina Trinkwalder. Also wird am 11. Dezember im Dorinthotel eine zwölfköpfige Band aufspielen und die Chefin wird wieder singen. Diese Frau feiert, isst und trinkt so gern wie sie arbeitet. Letzteres übrigens auch für zehn Euro die Stunde.
Sina Trinkwalder war immer schneller als andere. Mit 15 von zu Hause ausgezogen, mit Artikeln und Kabarett die Miete verdient. Mit 19 Jahren mit ihrem Mann eine Werbeagentur gegründet, kurz BWL studiert, abgebrochen, „BWL braucht keine Sau“. Die Werbeagentur lief gut, sie verdiente Millionen. Mit 27 Jahren Mama, mit 32 Jahren manomama, mit 35 das erste Buch („Wunder muss man selber machen“), am zweiten („Fairarscht“) sitzt sie gerade.
In ihrem chaotischen Büro stapeln sich zwischen Kaffeetassen, Stoffen und dünnen Menthol-Zigaretten jede Menge Auszeichnungen: Deutscher Nachhaltigkeitspreis, Zeit-Wissen-Preis, Barbara-Künkelin-Preis. Trinkwalder fährt ihr Leben auf der Überholspur, den Fuß auf dem Gaspedal und mit einer Energie, die Leichtgewichte umhaut. Das ist fast unheimlich.
„Unheimlich wird es erst, wenn ich Ihnen sage, dass ich auch hervorragend koche und meine Würste selber mache“, sagt Trinkwalder und lacht über sich selbst. Irgendwann hat sie beschlossen, trotz Neidern und Trollen guter Laune zu sein. „Nützt ja nix, wenn ich mit Hackfresse rumlaufe.“ Dabei gäbe es dafür manchen Grund. Wenn ihr etwa Aufträge auf den Tisch flattern, „bei denen ich fast noch was zahlen muss, dass ich Taschen liefern darf“. Oder wenn sie an das TTIP-Abkommen zwischen Europa und den USA denkt, weil Konzerne dann einen Staat auf Schadenersatz verklagen können. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat ihr zum Bundesverdienstkreuz einen netten Brief geschrieben. „Kümmer dich lieber um TTIP“, hat sie zurückgeschrieben. Die Sina duzt fast alle.
Jung, Frau, gutaussehend, freche Gosch, erfolgreich: Parteien und Talkshows reißen sich um die Augsburgerin. Das nutzt sie gnadenlos und mit dem Talent einer Entertainerin, um Werbung für ihr Wertesystem und ihre „Ladies und Gentlemen“ zu machen. Die „üble Gerechtigkeitsfanatikerin“ (Trinkwalder über Trinkwalder) will in aller Unbescheidenheit: die Welt verändern.
Susanne Stiefel