Hustvedt: Ich habe große Angst

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Sonia Mikich Hillary Clinton gegen Donald Trump: Vernunft gegen Emotion, Kopf gegen Bauch, Weltgewandtheit gegen Paranoia? Ihr wird jedoch immer wieder vorgeworfen, nicht authentisch zu sein. Das gehört zu den Stereotypen, die ihr aufgeklebt werden. Aber kann eine Frau, die so hohe Ambitionen hat, die so begabt ist, eine Führungsaufgabe zu übernehmen – kann eine solche Frau überhaupt authentisch sein in einer Gesellschaft, die Frauen dieses Recht abspricht?

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Siri Hustvedt Wissen Sie, Frauen werden verurteilt, wenn sie etwas tun, und wenn sie nichts tun, werden sie auch verurteilt. Ich selbst habe in kleinerem Maße entdeckt, dass zum Beispiel leidenschaftliche Ausbrüche völlig anders wahrgenommen werden, wenn sie von mir kommen oder von einem Mann. Als ich meinen Doktor an der Hochschule machte, lernte ich, wann ich emotional sein durfte und wann nicht, wann ich leise sprechen musste, weil sonst meine Seriosität angezweifelt würde. Hillary Clinton hat diese Lektionen gelernt, wieder und wieder und wieder. Donald Trump kann brüllen und rot anlaufen – das scheint seinem Ansehen nicht zu schaden. Wenn Clinton so etwas täte, dann wäre ihr politisches Leben zu Ende. Und wenn das jetzt heißen soll, sie sei nicht authentisch - sei es drum.

Mikich Sie stört dieser Vorwurf also nicht?

Hustvedt Nein. Ich verehre sie sehr. Und das kommt zum Teil daher, dass ich weiß, wie hart es für Frauen ist. Wissen Sie, niemand mustert Trumps Körper so, wie Hillarys Clintons Körper bewertet wird.

Mikich Der Blick auf Clinton ist oft frauenfeindlich. Sie gilt als „zu klug“, „zu kontrolliert“, „zu erfahren“. Qualitäten, die man bei einem Mann begrüßen würde.

Hustvedt Absolut zutreffend! Männer mit solchen Eigenschaften werden respektiert. Dieselben Eigenschaften im Körper einer Frau scheinen zu überwältigen. Es ist das Drama des Zuviel. Das will man nicht. Vielleicht erinnert eine dominante Frau die Menschen, vor allem die Männer, an ihre Kindheit, als sie von einer Frau, der Mutter, so abhängig waren.

Mikich Hillary Clinton wurde viele Jahre ihres Lebens als „relativ“ zu einem Mann wahrgenommen. Sie war die First Lady, dann auch die von einem Mann ernannte Außenministerin. Jetzt strebt sie nach ganz oben, sozusagen aus eigenem Recht. Sie selbst sagt „Ich will“. Ist das die größte Herausforderung?

Hustvedt Natürlich war sie First Lady. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass sie eine sehr erfolgreiche Senatorin war. Ich habe sie nie persönlich getroffen. Ich kenne aber eine Menge Menschen, die mit ihr gearbeitet haben oder mit ihr befreundet sind, und sie sagen alle übereinstimmend, dass sie sehr charmant ist und auch charismatisch. Gleichzeitig arbeitet sie sehr hart. Das scheint bei einer Frau unsympathisch zu sein. Weibliche Führungsfiguren generell? Sind nicht besser als Männer in Machtpositionen. Allerdings haben konservative Spitzenpolitikerinnen bestimmte Vorteile gegenüber linken Spitzenpolitikerinnen. Vielleicht, weil die Linke als soft gilt? Wenn man gestählt ist durch eine konservative Ideologie, gilt man in der Öffentlichkeit als maskuliner. Und das kann ein Vorteil sein.

Mikich Donald Trump beschimpft Hillary Clinton, erniedrigt sie und kommt damit durch. Selbst bei seinen weiblichen Unterstützern. Wie kann das sein? Außerdem: Viele Frauen, gerade die jüngeren, wollen genau diese Frau nicht wählen, wieso eigentlich?

Hustvedt Der Sexismus sitzt in uns allen sehr tief. In Männern, in Frauen, in mir auch. Ich erinnere mich, wie ich bei einer Konferenz von einer wirklich klugen Frau mitten in einem Satz brutal unterbrochen wurde. Das tat sie absichtlich. Es kam mir unendlich aggressiv vor. Und als ich später darüber nachdachte, erkannte ich, dass ich sie als besonders aggressiv empfand, weil sie eine Frau war. Bei einem Mann wäre mir das wahrscheinlich nicht so aufgefallen. Ich bin eine Feministin. Und mir ist es heute peinlich, dass ich in dieser Situation solche sexistischen Gefühle hatte gegenüber dieser anderen Frau. Was ich aber zusätzlich interessant finde: Es gibt Frauen, die Donald Trump lauschen, wenn er Frauen als Hunde oder Schweine oder Nullen bezeichnet oder wenn er sich über Körper und Brüste von Frauen auslässt, ohne dass sie sich davon erniedrigt fühlen! Wie sind sie nur dazu fähig? Mag sein, dass hier der eigene Sexismus so tief sitzt, dass er zu einer Form von Selbsthass geworden ist…

Mikich … oder eine Form von Komplizenschaft mit Männern.

Hustvedt Ja, Komplizenschaft.

Mikich Hillary Clinton steht als Teil des politischen Establishments in der Kritik. Zu lange im Geschäft, eben. Und gerade das macht Donald Trump attraktiv für Wähler. Sie halten es geradezu für ehrenwert, dass er dies nicht ist. Es kann ja auch attraktiv sein, sich gegen den Mainstream zu profilieren, die Dinge auf den Kopf zu stellen. Also, wie etabliert ist Hillary Clintons Agenda noch? Nachdem sie Bernie Sanders abgehängt hatte, wurde ihre Rhetorik zumindest linker…

Hustvedt Ich habe Bernie Sanders damals nicht unterstützt, aber er hat viel für Hillary Clinton und die demokratische Partei getan, nämlich insgesamt einen Linksruck herbeigeführt. Ich bin dankbar, dass er Dinge in Bewegung gebracht hat. Er hat vor allem wichtige innenpolitische Themen angesprochen. Zum Beispiel kostenlose Hochschulausbildung oder auch die enorme Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Das war sehr wichtig. Aber es steht außer Frage, dass es keinen radikalen Kurswechsel zur Obama-Amtszeit geben wird, wenn Hillary Clinton gewinnt. Wenn wir Donald Trump wählen würden, sähe die Sache schon anders aus. Denn er spricht einen radikalen Wunsch nach totaler Veränderung aus. Und ich befürchte, dass viele Menschen ihn genau aus diesem Grund wählen. Aus einer Art Wut, dem Establishment eins aufs Maul zu geben.

Mikich Was ist eigentlich Ihr persönlicher Hintergrund? Ihre Herkunft?

Hustvedt Ich wuchs auf in Minnesota. Meine Großeltern konnten lesen und schreiben, natürlich. Aber sie waren nicht sehr gebildet. Sie hatten Vorurteile. Sie hassten Banker, übrigens oft eine Umschreibung für Juden. Sie hassten die Leute aus der Stadt. Vorurteile der Populisten, ob links oder rechts. Heute denke ich, dies alles ist schon vor langer Zeit im Land gesät worden und nicht erst jetzt. Und ich liebe meine Großmutter, nebenbei bemerkt. Aber genau diese Großmutter sagte einmal: „Weißt du, ich hab mal ein schwarzes Baby gehalten und es fühlte sich genauso wie irgendein anderes Baby an“. Das ist ganz gewiss eine rassistische Bemerkung. Es wird eben sehr kompliziert, wenn wir zum Kern menschlicher Gefühle kommen. Ich möchte eine Analogie anführen: Natürlich gab es Deutsche, die die Nazis unterstützten und gleichzeitig die eigenen Kinder liebten, freundliche Menschen waren, gut arbeiteten. Man wäre ohne weiteres mit ihnen zum Abendessen gegangen und hätte gedacht, was sind das für nette Leute. Aber darum geht es nicht in der Politik. Rassismus, Sexismus, Hass sind ansteckend, zersetzen die Gesellschaft. Über solche Ansichten muss man Rechenschaft ablegen.

Mikich Fakten spielen keine Rolle mehr. Man streitet sich nicht mehr um Fakten oder widerspricht, man ignoriert sie einfach. Autoritäre Persönlichkeiten wie Donald Trump stehen für eine postfaktische Politik. Aber wie sieht es bei Hillary Clinton aus? Sie kann ja auf eine Kette von Fehlverhalten zurückblicken, die Email-Affäre, die unsinnige Kommunikation wegen ihrer Lungenentzündung, ihres Schwächeanfalls? Die Leute glauben, sie sei nicht aufrichtig. Wie kann sie das Vertrauen wieder zurückgewinnen? Wie kann man ihr glauben?

Hustvedt Zum Teil mag das daran liegen, dass die öffentliche Wahrnehmung einfach blinde Flecken hat. Also, diese Email-Geschichte, sie ist völlig überbewertet. Schaut man sich Donald Trumps Geschäfte an, die mindestens im Graubereich des Legalen sind, verblüfft mich das doch, dass dies seine Chancen auf die Präsidentschaft nicht geschmälert hat. Clintons falscher Umgang mit der Email-Affäre geschah vermutlich aus dem Bedürfnis heraus die Dinge bei sich zu behalten. Möglicherweise ist ihre Paranoia etwas größer, weil sie so oft schon angegriffen wurde. Menschen machen Fehler, aber ihr werden keine erlaubt.

Mikich Aber Wähler in Amerika wollen nun mal ihre Kandidaten lieben und ihnen nicht nur einfach folgen. Wie könnte sie sich also liebenswert machen?

Hustvedt Keine Ahnung! (Lacht) Schauen wir mal, wie es Michelle Obama gelungen ist. Sie war ja mal der Boss ihres Mannes. Das wird oft vergessen. Sie ist genauso gebildet wie er, sie hat eine große Ausstrahlung. Ein beeindruckender Kopf. Damit sie eine First Lady werden konnte, musste die Administration sie zu einer Mom-in-Chief formen. Schauen Sie sich mal den Wandel von Michelle Obama an. Während der ersten Wahlkampagne sprach sie noch unverblümt: „Endlich bin ich stolz auf Amerika“. Als First Lady musste sie sich komplett wandeln, über Kinder und Ernährung und Veteranen sprechen. Die Frauenrolle annehmen. Ich bin gespannt darauf, was sie unternehmen wird, wenn die Präsidentschaft vorbei ist.

Mikich Was ist Ihre Voraussage für den Wahlabend?

Hustvedt Ein Wahlsieg für Clinton. Sollte jedoch Trump zum Präsidenten gewählt werden, werde ich nicht das Land verlassen, sondern erst recht mehr Zeit für die Politik investieren, an die ich glaube. Aber ich habe große Angst bis dahin.

Sonntag, 6.11., ab 23.35 Uhr USA-Nacht in der ARD: „Wie ticken die Amerikaner?“

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