Skandal: Amnesty und die Fundis
Sie war die Erste. Aber sie ist nicht die Einzige geblieben. Was Gita Sahgal im Februar 2010 mit ihrem Protest gegen amnesty international losgetreten hat, ist nichts weniger als ein Grundsatzstreit über die Frage: Wie halten es die Menschenrechts-Organisationen mit den Frauenrechten?
Es war am 7. Februar 2010, als die Sunday Times einen aufsehenerregenden Artikel druckte: Darin erhob Gita Sahgal, Leiterin der „Gender Unit“ von amnesty international, schwere Vorwürfe gegen ihre eigene Organisation.
Die hatte als Aushängeschild ihrer Kampagne für die Schließung von Guantanamo den Ex-Häftling Moazzam Begg ausgewählt. Der in England aufgewachsene Pakistaner hatte sich in Al Quaida-Traingscamps ausbilden lassen, die Taliban hatte er als „das Beste“ bezeichnet, „was Afghanistan in den letzten 20 Jahren passiert ist“. Jetzt sitzt Begg als Sprecher seiner Organisation „Cageprisoners“ im Rahmen der ai-Kampagne auf den Podien der Welt.
Monatelang hatte die studierte Orientalistin Sahgal, die in Indien gegen Häusliche Gewalt gekämpft und in London Dokumentarfilme über Zwangsheirat gemacht hatte, in ihrer Organisation gegen den Islamisten als Protagonisten mobil gemacht. Ohne Erfolg.
Schließlich machte sie den Skandal öffentlich. „Mit Englands größtem Unterstützer der Taliban gemeinsam auf der Bühne zu stehen, ist ein großer Fehler“, schrieb sie. „Es war richtig, sich seine Erfahrungen als ehemaliger Häftling anzuhören. Aber es ist absolut falsch, ihn als Partner zu präsentieren.“ Das schade der Integrität von amnesty und, noch mehr: „Es schadet den Menschenrechten.“ Gita Sahgal wurde gefeuert. Begründung: „unüberbrückbare Differenzen“.
Es scheint, als würde die 1961 gegründete Organisation von ihrer eigenen Geschichte eingeholt. Rund 40 Jahre galten bei ai nur jene als „politisch Verfolgte“, die von Staats wegen verhaftet, gefoltert und hingerichtet wurden. Erst Irene Khan, die 2003 als erste Frau ai-Generalsekretärin wurde, rückte die „private“ Gewalt gegen Frauen in den Fokus. „Wo bleibt der politische Wille, der Gewalt gegen Frauen Einhalt zu gebieten?“, fragte die Muslimin und Tochter einer mit 15 zwangsverheirateten Mutter. Und postulierte: „Gewalt gegen Frauen ist niemals entschuldbar.“ Unter ihrer Ägide startete amnesty die „Stop Violence Against Women“-Kampagne. Leiterin: Gita Sahgal.
Ende 2009 verließ Khan die Organisation. Ihr Nachfolger Salil Shetty findet offenbar, dass Frauenhass doch entschuldbar ist. „Wir können nicht zu sortieren beginnen, welche politischen Häftlinge wir unterstützen und welche nicht“, erklärte er.
Der Fall Begg ist nicht der einzige: Wie der Guardian berichtet, sind drei Gründungsmitglieder von ai-Algerien von ihren Posten entbunden worden, weil sie ebenfalls darüber geklagt hatten, dass die Menschenrechts-Organisation die Menschenrechtsverletzungen durch Islamisten nicht ernst nehme. „Bei amnesty gibt es eine Opfer-Hierarchie: Fundamentalisten sind als staatlich Verfolgte privilegierte Opfer, während deren Opfer, überwiegend Frauen, in den ai-Berichten überhaupt nicht auftauchen“, kritisiert die algerische Feministin Marieme Helie Lucas.
In den USA kämpft gerade eine weitere Algerierin den gleichen Kampf: Karima Bennoune, Rechtsprofessorin und Mitglied im Kuratorium des Centre for Constitutional Rights (CCR), kann es nicht fassen, dass ihre Organisation die kostenlose Rechtsvertretung für Anwar al-Awlaki übernommen hat, den Islamisten, der zum Mord an Salman Rushdie und Molly Norris aufgerufen hat.
Die Cartoonistin aus Seattle hatte, aus Solidarität mit den von Islamisten bedrohten Machern der TV-Serie „Southpark“, zu einem „Everybody Draw Mohammed Day“ aufgerufen. Auf Anraten des FBI lebt sie jetzt im Untergrund. amnesty international, CCR und andere Menschenrechts-Organisationen müssen sich fragen lassen, ob die universellen Menschenrechte bei ihnen tatsächlich für alle Menschen gelten.