„Nicht genug gewehrt“
Denn: Zwar hatte das Mädchen gesagt: „Nein, ich will das nicht!“ Dann aber hatte sie die Vergewaltigung aus Angst „über sich ergehen lassen“. Das reichte der Richterin nicht. „Er wusste ja nicht, dass sie das gar nicht wollte“, erklärte sie ihr Urteil. Der zweite und eigentliche Skandal an diesem Freispruch ist, dass das Urteil der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht. Noch im Jahr 2006 hatte der Bundesgerichtshof in einem Fall erklärt: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt.“
Damit ist das deutsche Strafrecht Ausdruck eines Herrenrechts, das von der grundsätzlichen Verfügbarkeit von Frauen ausgeht: Der Mann darf das Einverständnis der Frau als gegeben annehmen. Davon muss er nur abrücken, wenn ihm massiver Widerstand entgegenschlägt. „Grundsätzlich gilt: Für den Täter muss ernsthafter Widerstand erkennbar sein. Wenn eine Frau Nein sagt und weint, reicht das nicht“, erklärte die Flensburger Oberstaatsanwältin Ulrike Stahlmann-Liebelt in EMMA „Vergewaltigung – das straflose Verbrechen“.
Dabei berücksichtigen Recht und RichterInnen weder das Risiko, das mit der Gegenwehr verbunden ist, noch die Erkenntnisse der Traumaforschung. „Es ist eine völlig normale Reaktion, dass die Frau sich in dieser unerträglichen Situation wegblendet“, erklärt Dr. Julia Schellong, Psychotraumatologin an der Uniklinik Dresden. Sie forderte im EMMA-Interview: „Die Richter müssen sich fortbilden!“.
Und die Expertinnen vom „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ kämpfen seit Jahren um eine Änderung des Vergewaltigungs-Paragrafen § 177: Strafbar soll sich machen, wer eine Person „gegen ihren Willen“ zu sexuellen Handlungen nötigt.Der freigesprochene Vergewaltiger aus Marl musste übrigens nach dem Prozess dennoch ins Gefängnis. Er sitzt gerade eine dreijährige Haftstrafe wegen Körperverletzung ab. Proteste gegen das Urteil an: pressestelle(at)lg-essen.nrw.de
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Vergewaltigung, das straflose Verbrechen (4/11)