SOMALY MAM: Hoffnung der Mädchen

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Eine Million Euro sind sehr viel Geld. Ein Bordellbesitzer in Phnom Penh könnte rund 16.000 Mädchen davon kaufen. Diese 80 Dollar pro Kind sind ein kleines Vermögen für die Eltern, die ihre Töchter an die Zuhälter verscherbeln. Die ziehen über die Dörfer und versprechen den bitterarmen Familien mit dem Kauf ihrer Töchter die Lösung ihrer Misere.

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Somaly Mam könnte sodann von einer Million Euro rund 6.000 Polizisten mit je einem Jahresgehalt bestechen, damit die tatsächlich ausrücken und die minderjährigen Mädchen aus einem Bordell ­befreien. Oder sie könnte Tausende von Arztrechnungen für diese Mädchen begleichen, die nach ihrer Befreiung oft so zerschunden und geschlechtskrank sind, dass sie erst einmal medizinisch behandelt werden müssen. Oder sie könnte ihnen 18.000 stattliche Monatsgehälter à 70 Dollar in der projekteigenen kleinen Textilfabrik zahlen. Dennoch verliert Somaly Mam kein Wort über das Geld, als sie am 24. November im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt den mit einer Million Euro dotierten und von dem Münchner Unternehmensberater gestifteten „Roland Berger Preis für Menschenwürde“ entgegennimmt. Stattdessen spricht die Kambodschanerin über „Würde“. Es fällt ihr sichtlich schwer. Sie braucht, eingekreist von Bundespräsident Horst Köhler, Moderatorin Sabine Christiansen und Gastgeber Roland Berger, länger als die minutenlangen Standing Ovations, um sich zu fassen. Dann erklärt sie mit rauer Stimme, dass sie schon einige Preise bekommen habe, dass aber keiner dieser Preise sie so berührt habe wie dieser. Und das hinge mit dem Wort Würde zusammen. „When I was told that I will receive this price, it was the first time, that this word came to me“, erzählt sie, während ihr die Tränen über die Wangen rinnen. „Ich bin dann sofort zu unserem Schutzhaus gegangen und habe den Mädchen gesagt: ‚Sie haben uns einen Preis für unsere Würde verliehen!‘“

Die bildschöne Frau im schulterfreien Abendkleid, das die angehenden Schneiderinnen im Projekt ihr geschenkt haben, fühlt sich „sogar 15 Jahre danach noch immer schmutzig. Manchmal wasche ich mich wie eine Verrückte, trage Cremes auf und sprühe mich mit Eau de Toilette ein, um den Spermageruch zu überdecken, der mich verfolgt“, schreibt Somaly in ihrer Autobiografie „Das Schweigen der Unschuld“. Und bis heute hat sie Albträume von den Tausendfüßlern und Skorpionen, die man ihr zur Strafe auf die Haut setzte.

Man hat Somaly Mam in ihrem 38-jährigen Leben auf unendlich viele Arten ihrer Würde beraubt. Ihre Eltern lernt das kleine Mädchen, das in einem Bergdorf im Osten Kambodschas aufwächst, nie kennen. Somaly hat keine Familie, schläft mal hier, mal dort und wird schließlich einem 50-jährigen Mann mitgegeben, der das Kind „adoptieren“ möchte. Der Holzhändler lässt das Mädchen als Haussklavin für sich schuften und verprügelt es mit dem Rohrstock. Mit zwölf wird Somaly zum ersten Mal vergewaltigt, als sie Petroleum beim chinesischen Kaufmann holt. Wie sich später ­heraus­stellt, zahlt der Holzhändler auf diese Weise seine Schulden an den Chinesen zurück. Es ist die erste von zahllosen Vergewaltigungen – die erkauften durch die Freier nicht mitgerechnet.

Der einzige Mensch, der sich um das Mädchen kümmert, ist Mam Khon, der Dorflehrer, den Somaly Mam bis heute als ihren „Adoptivvater“ betrachtet. Auf seine Bitte hin lässt der Holzhändler seine Dienstmagd zur Schule gehen. Sie steht, um lernen zu dürfen, um drei Uhr morgens auf. Mit 14 wird Somaly an einen Soldaten verheiratet. Als ihr Ehemann zu einem Militäreinsatz abkommandiert wird, nutzt der Holzhändler die Gunst der Stunde und verkauft das Mädchen an ein Bordell in Phnom Penh. Acht Jahre dauert diese „Zeit in der Hölle“. Dennoch erlischt ihr Überlebensfunke nie ganz. Genährt wird er von unbändigem Hass. Von ihrem ersten ­eigenen Geld kauft sich die junge Frau einen Revolver AK 54, mit dem sie später einen ihrer Vergewaltiger in den Rollstuhl schießt.

Mit 24 ist sie zu alt fürs Geschäft geworden und darf gehen. Aber wohin ohne Perspektive? Eines Tages stößt Somaly Mam auf Pierre Legros. Der verzottelte Franzose ist Biologe und gehört zu den „armen Weißen“. Für ihn ist es Liebe, für sie Freundschaft. Sie heiratet ihn und geht mit ihm für drei nicht sehr glückliche Jahre nach Frankreich. Als das Paar, das inzwischen zwei Kinder hat, 1994 nach Kambodscha zurückkehrt, unterstützt er seine Frau bei der Gründung ihrer Organisation AFESIP – Agir pour les femmes en situation précaire (Handeln für Frauen in Notlagen). AFESIP hat heute 150 MitarbeiterInnen und drei weitere Stützpunkte: in Vietnam, Laos und Thailand. Rund 3.000 Mädchen hat die Organisation seither ­betreut, ihnen eine Schulbildung finanziert und via Mikrokredit den Start in eine neue Existenz ermöglicht.

Somaly Mam schickt ihre „Scouts“, die sich als Freier ausgeben, in die Bordelle, wo sie verschleppte Mädchen aufspüren. Sie rückt mit der Polizei zu Razzien an. Ihr größter Coup war die Stürmung des Chai II im Dezember 2004, eines der größten Stundenhotels in Phnom Penh, in dem 200 Mädchen gefangen gehalten wurden. Auf Somaly Mam wird ein Kopfgeld ausgesetzt, die französische Botschaft rät ihr, das Land zu verlassen. Die Frau, die mit dem CNN-Hero-Award ausgezeichnet wurde, bleibt.

Sie bleibt, weil sie keine Angst vor dem Tod hat: „Dann hören endlich meine Albträume auf.“ Sie bleibt, weil die Polizisten in den AFESIP-Seminaren weinen, wenn sie die Videos sehen, in denen die Mädchen von ihrer Bordell-Hölle erzählen. Und sie bleibt vor allem, weil ihr die geretteten Mädchen „Stärke geben“. In der Tat: Eine würdige Preisträgerin. Und eine gut angelegte Million.

www.somaly.org, „Das Schweigen der Unschuld“ (Ullstein, 8.95 €)

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