Alice Schwarzer schreibt

Sontag & Schwarzer: Ein Gespräch über Krieg, Kunst und Feminismus

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Am 12.Oktober 2003 erhält die New Yorkerin Susan Sontag in der Frankfurter Paulskirche den „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels “. Sie erhält ihn weniger für ihr schriftstellerisches und eher für ihr essayistische Werk und, so Die Zeit, „ihren politischen Interventionismus “, mit dem sie zur „Ikone der amerikanischen Linken “ wurde. Die „Vereinnahmung als Pazifistin “ verbittet sich die Friedenspreisträgerin jedoch. Sie fand,dass der Kosovokrieg „acht Jahre zu spät “ kam und sah im 11.September zunächst eine Mitverantwortung der Amerikaner, dann jedoch Parallelen zu Srebrenica und Ruanda. In Deutschland bekannt wurde Sontag vor allem mit ihren Essays „Über Fotografie“ und „Krankheit als Metapher “ (beide 1978). Weniger bekannt ist ihr feministisches Engagement der frühen 70er, das sich u.a.in dem 1972 erschienenen Buch „Frauenarbeit - Frauenbefreiung “ von Alice Schwarzer im Essay „Reflexionen über die Befreiung der Frauen “ niederschlägt (Neuauflage unter dem Titel „Lohn: Liebe“ 1985, edition suhrkamp). Auch, aber nicht nur darum ging es bei dem von Rachel Salamander moderierten Gespräch zwischen Susan Sontag und Alice Schwarzer auf der Leipziger Buchmesse 2002.

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Rachel Salamander Susan Sontag wird die Rolle der kühlen, distanzierten Intellektuellen zugeschrieben und Alice Schwarzer die der unerbittlichen, furchteinflößenden Frauenrechtlerin. Beide wollen nicht auf diese Rollen festgeschrieben bleiben. Was aber ist Teil der Selbstinszenierung bei dieser Zuschreibung, und wie können Sie beide, die jetzt über 20, 30 Jahre in der Öffentlichkeit stehen, überhaupt so ein Bild verändern?

Susan Sontag Ich bin im Grunde genommen gar nicht so interessiert an mir. Das Wichtigste für eine Schriftstellerin ist ihre Hingabe an ihre Arbeit. Eine Schauspielerin sollte über ihre Rolle nachdenken. Aber die Schauspielerin in meinem Buch will nicht unbedingt ihre Rolle ändern. Sie will ihre Seele ändern, ihre Innerlichkeit. Sie will ein besseres Leben führen. Und keineswegs geht es bei mir um die Rolle, die ich spiele. Was die Öffentlichkeit von mir wahrgenommen hat, ist im Grunde genommen eine Anhäufung von Missverständnissen, von Klischees. Aber darüber allzu besorgt zu sein, ist primitiv und macht einen dumm. Natürlich ist es falsch, dass ich kühl und intellektuell sei. Ich bin voller Leidenschaft. Ich bin alles andere als distanziert. Es ist wahr, ich lese viele Bücher. Ich bin durch Bücher geprägt worden, insofern bin ich intellektuell. Aber wenn ich allzu besorgt wäre über meine Rolle, würde ich paralysiert.

Alice Schwarzer Die öffentliche Frau wird natürlich anders rezipiert als der öffentliche Mann, egal, ob sie öffentlich ist, weil sie schreibt oder, weil sie Schauspielerin ist oder, weil sie politisch agiert. Ich denke, das wissen wir beide. Es fängt damit an, dass sie sich – bis heute – entscheiden muss zwischen Kopf und Körper. Hat sie die Dreistigkeit, unverhüllt denkfähig zu sein – ohne jedem halbwegs gescheiten Gedanken ein dümmliches Lächeln hinterher zu schicken – dann wird sie auf den Kopf reduziert und hat keinen Körper. Gesteht man ihr aber den Körper zu, spricht man ihr den Kopf ab. Ich habe versucht, in meiner Arbeit dem immer wieder und auf verschiedenste Art nachzuspüren, unter anderem in Biografien über zwei sehr unterschiedliche Frauen. Mein biografischer Essay über die Schauspielerin Romy Schneider und die Biografie über die Journalistin Marion Dönhoff haben für mich immer zusammen gehört: Es sind zwei Hälften, die ein Ganzes machen. Und natürlich weiß auch ich, wovon ich rede, wenn wir von den Klischees sprechen, die nicht nur die öffentliche Frau reduzieren. Dass das Klischee in meinem Fall so besonders eng ist, hat wohl damit zu tun, dass ich an das größte Tabu gerührt habe: Ich setze mich seit über 30 Jahren als Frau ernsthaft für Frauen ein. Genauer: gegen Ungleichheit und für Geschlechtergerechtigkeit – Mann sein ist ja auch nicht immer angenehm. Susan Sontag ist diese intellektuelle Kränkung des Eingesperrtseins in die „Frauenecke“ erspart geblieben, weil sie von Anfang an immer auf eine breitere Palette bestehen. Die nehme ich natürlich für mein Denken und mein Schreiben auch in Anspruch. Als Frau, die sich vorrangig für die Frauen einsetzt, erfährt man diese ungeheure intellektuelle Kränkung, auf der primitivsten Ebene darauf reduziert zu werden. Das wissen viele Frauen – und genau das versuchen sie zu vermeiden. Was ich sehr gut verstehe.

Sontag Ich bin sehr bewegt von dem, was Alice Schwarzer gesagt hat. Wir wussten voneinander über viele Jahrzehnte, aber wir haben uns vorher nicht kennengelernt. Ich kenne den Kampf von Alice Schwarzer für die Frauen und für die Frauenfragen in Deutschland und Frankreich. Ich weiß von der wertvollen Arbeit, die sie für die Frauenbewegung geleistet hat. Aber wenn ich höre, dass sie als Europas führende Feministin bezeichnet wird, dann frage ich mich, wo sind die anderen? Es war sehr interessant, was Sie gesagt haben, obwohl ich sagen muss, dass ich ein ganz anderes Leben geführt habe, als das, was Sie beschrieben haben. Ich sehe die Situation für Frauen, die in den USA denken oder sich öffentlich äußern, nicht so schlecht wie die Situation, die Alice Schwarzer beschreibt. Ich hasse es, ein gutes Wort über mein eigenes Land zu sagen. Aber es ist dort durchaus möglich, als Frau und als Intellektuelle anerkannt zu werden. Ich kenne viele dieser Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen. Ich würde sogar Condoleezza Rice anführen wollen, eine Frau, die ich verabscheue und verachte, sie ist leider die außenpolitische Beraterin dieses schrecklichen Präsidenten Bush. Aber sie ist sehr hübsch, sehr sexy, ungeheuer clever, und darüberhinaus ist sie auch noch schwarz. Und all das findet kein Mensch seltsam. Man wird nicht veralbert, und es wird einem auch nicht abgesprochen, gut aussehen, ein sexuelles Leben, ein Privatleben führen zu dürfen. Zumindest in den letzten 30 oder 40 Jahren ist das so gewesen.

Schwarzer Ja, die Amerikanerinnen haben eine bedeutend breitere Palette und viele „role models“, auch für weibliche Menschen. Wir haben ja auch eine unterschiedliche Geschichte. Ihr seid die Töchter dieser Pionierinnen, die das Land gerodet haben – und wir sind die Töchter der BDM-Mädchen. Gleichzeitig aber ist es mir nicht entgangen, dass die Barbie-Puppe aus Amerika kommt. Und dann diese irrwitzige Gratwanderung, die Hillary Clinton jahrelang gemacht hat: Alle zwei Wochen wechselte sie die Frisur, um ihren Kopf zu kaschieren. Und sie wusste schon gar nicht mehr, wie sie gehen und stehen und liegen sollte, um zu zeigen, dass sie zwar eine intelligente, tüchtige Juristin ist, aber auch die Präsidentengattin, die andauernd Plätzchen bäckt und´Trippelschritte macht und eine echte Frau ist. Und trotzdem passierte ihre definitive Demütigung mit der Lewinsky-Affäre nicht zufällig im sexuellen Bereich. Es ist also wunderbar, dass in dem Land der fast unbegrenzten Möglichkeiten auch die Freiheiten für die Frauen größer sind, doch das Grundproblem scheint mir auch in Amerika noch nicht ganz behoben. 1973 habe ich in meinem zweiten Buch vermutlich Ihren ersten Text in Deutschland veröffentlicht, Susan, Ihren fulminanten Essay: Ihre „Reflektionen über die Befreiung der Frau“, ein radikales Plädoyer für Gerechtigkeit und Gleichheit. Kerngedanke war die Warnung vor dem Differenzdenken, davor, dass immer da, wo man von Differenz redet – zwischen Rassen, Völkern, Geschlechtern – die Ungleichheit gemeint ist. Vor 30 Jahren sind wir in der Hoffnung angetreten, diese Ungleichheit zurückzudrängen, auch zwischen den Geschlechtern. Wir haben gehofft, dass es irgendwann egal sein wird, ob wir Frauen oder Männer sind – und wir einfach Menschen sein dürfen. Seither hat es enorme Fortschritte gegeben, aber auch extreme Rückschläge. Mit Verve wird erneut der Differenzgedanke propagiert, dessen dramatischster Ausdruck zur Zeit der islamistische Fundamentalismus ist. Es war genau wie bei Hitlers „Mein Kampf“: Diese Leute haben nie ein Geheimnis aus dem gemacht, was sie vorhatten. Aber niemand wollte es wissen. Anscheinend gibt es Interessen, die es angebracht scheinen lasen, wegzugucken, abzuwiegeln. Wie aber konnte es sein, dass man jahrzehntelang die Frauen in den islamischen Ländern hat massakrieren lassen, ohne dass die Menschenrechtsfrage gestellt wurde? Selbst wer die weibliche Hälfte der Menschheit minderwertig findet, müsste doch inzwischen die Logik kennen: Es sind erst die Frauen, dann folgen die Juden (wo noch welche sind), dann die Intellektuellen, dann die Kreativen, und dann ist es einfach Jede und Jeder. Denn das ist der Kern totalitärer Herrschaft: die Androhung und Ausübung von Gewalt – und die Willkür. Jeder und Jede kann jederzeit dran sein.

Sontag Ich stimme völlig mit Alice Schwarzer überein, was die dramatische Erniedrigung der Frau in der islamischen Welt angeht, und natürlich nicht erst seit dem 11. September. Aber ich habe leider keine Antworten auf die Fragen. Wir wissen genau, was in Afghanistan in den letzten sechs Jahren vor sich gegangen ist, was sich im Iran abspielt, im Irak, in Saudi-Arabien, in Algerien. Es ist im Grunde genommen ja kein politischer Krieg, es ist ein Krieg, der gegen die Frauen in der islamischen Welt geführt wird.

Salamander Susan Sontag, Sie haben nach dem Anschlag und den Reaktionen in Amerika die große Befürchtung ausgesprochen – wofür Sie ja auch genügend öffentlich Prügel bezogen haben – dass Amerika aus Gründen der Sicherheit Demokratie abbaut, das heißt also im Kern eine Art Faschistoisierung erfährt. In Deutschland, Frau Schwarzer, haben wir ja auch das Problem, dass nach diesen Anschlägen und weil Deutschland, wie Sie sagen, eine Drehscheibe des Terrorismus geworden ist, Maßnahmen ergriffen werden sollen und ergriffen worden sind, die auch hier statt für Freiheit mehr für Sicherheit plädieren.

Schwarzer Natürlich sind Staaten in Zeiten der Not immer in Versuchung, sich ein Instrumentarium der Kontrolle und der Repression zu schaffen, das über das Notwendige hinausgeht. In Amerika scheint das gerade der Fall zu sein. Und auch in Deutschland müssen wir sehr genau hinschauen. Aber die Aufhebung des sogenannten Religionsprivilegs war überfällig. Das wird in Deutschland seit Jahrzehnten schwer missbraucht. Unter´religiösen Etiketten propagieren gewisse Kräfte Verhetzung und Hass, auch in den Koranschulen und in so mancher Moschee. Das sind eben leider nicht immer Stätten der religiösen Kontemplation, sondern zunehmend auch Horte der politischen Propaganda. Und davor müssen wir uns und vor allem auch die Millionen Muslime schützen, die keine Fundamentalisten sind.

Sontag Im Allgemeinen wird vergessen, dass so viele Amerikaner überhaupt keine Vorstellung von der Welt da draußen haben. Entweder wird sie als gefährlich betrachtet, oder es ist eine schöne Welt, die man als Tourist besucht. Nur zehn Prozent der Amerikaner haben einen Pass. Warum? Weil sie nicht reisen. In Europa ist es schwer, über andere Länder nichts zu wissen, schon aus geografischen und aus geschichtlichen Gründen. Aber in Amerika, da sind zwar die Vorfahren von woanders hergekommen, aber dann hat dieser große Prozess des Vergessens eingesetzt, da gibt es höchstens einmal ein bisschen Nostalgie. Aber die Amerikaner kümmern sich sich nicht um die übrige Welt – sie kennen sie ja auch gar nicht. Und plötzlich ist die Rolle der islamischen Frauen sogar in den USA in das Blickfeld gerückt. Es war ziemlich komisch, aus dem Mund dieser rechten Republikaner nach dem 11. September Besorgnis über Frauenrechte in Afghanistan zu hören. Jetzt hört man plötzlich feministische Auffassungen aus den Mündern von Re-gierungsmitgliedern. Aber ich möchte nicht, dass die Amerikaner die Sprache des Dschihad verwenden. Dies darf kein Krieg zwischen Gut und Böse werden, dies darf überhaupt kein Krieg werden, weltweit, endlos, in dem die USA bereit sind, überall anzugreifen, wenn sie es für erforderlich halten. Es geht nicht um Zivilisation und Barbarentum, das könnte schlimmer werden als der Kalte Krieg. Aber ich bin auch der Meinung, dass eine Bedrohung besteht, dass der radikale Islam eine Form des Faschismus ist. Und dem muss widerstanden werden, von allen. Ich denke auch, dass es erforderlich ist, schon aus Prinzip, öffentlich Stellung zu nehmen. Aber man sollte es nur dann tun, wenn man wirklich ausgezeichnet informiert ist und Wissen aus erster Hand hat. Selbst wenn die Feministinnen die richtigen Positionen vertreten, dann schwingt doch auch manchmal ein gewisser Grad an Vereinfachung mit. Es muss einfach manchmal vereinfacht werden. Aber deswegen denke ich auch, dass Literatur, Romane, Phantasiegebilde so wichtig sind: Weil sie mit vielen Stimmen sprechen. Mein Roman über eine Frau ist von mir geschrieben, von einer Feministin. Aber beide Seiten werden vertreten, sowohl die guten Eigenschaften dieser Frau, als auch die etwas weniger guten.

Schwarzer Versteht sich. Das ist ein zentraler Punkt: die Ambivalenzfähigkeit. Neben den eindeutigen ökonomischen Interessen und Machtfragen, die hinter den aktuellen Konflikten und Kriegen stehen, ist es ja genau diese Mentalität von Gut/Böse, Richtig/ Falsch, Freund/Feind, die die Menschen so gnadenlos macht. Ob man da jetzt mit Literatur gegensteuert oder mit Essays, schreibend oder handelnd – das scheint mir eigentlich unwichtig. Es ist einfach wichtig, dass Menschen Ambivalenzen nicht leugnen – weder bei den anderen noch bei sich.

EMMA September/Oktober 2003 

Die hier gekürzte Fassung des von der Literarischen Welt veranstalteten und von Rachel Salamander moderierten Gesprächs auf der Leipziger Buchmesse am 25.3.02 erschien zuerst in der Welt.

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